Hinterher ging es auch noch darum, die Standards zu wahren, und das hatte ausnahmsweise nur indirekt mit ruhenden Bällen zu tun. Eine Frage bezog sich zwar auf Heidenheims Standardspezialisten Jan-Niklas Beste, der im Kräftemessen der Aufsteiger gegen den SV Darmstadt 98 mit seinen drei Torvorlagen bei einem Freistoß und zwei Eckbällen maßgeblich zum 3:2 (1:0)-Sieg beigetragen hatte. Doch die Frage zielte weniger auf Bestes herausragenden linken Fuß ab, sondern vielmehr darauf, ob Frank Schmidt sein Engagement als Trainer der Heidenheimer überdenken werde, sollte Beste einen Vereinswechsel in Erwägung ziehen.
Schmidt, seit 2007 beim 1. FC Heidenheim im Amt und der dienstälteste Trainer im deutschen Profifußball, wirkte einigermaßen perplex. "Ich habe schon viele dämliche Fragen gehört, aber das ist Top drei. Das ist despektierlich, so was hier in den Raum zu stellen", sagte der 49-Jährige, "mehr sage ich nicht dazu, weil dann wird's beleidigend." Schon zuvor hatte Schmidt wenig Verständnis gezeigt für jene Frage, ob die neue Stärke bei Standards Heidenheims Versicherung sei im Abstiegskampf? "Wenn Sie das neue streichen, ja", antwortete Schmidt und fügte vorsichtshalber hinzu: "Das war immer schon eine Stärke von uns, das ist nicht neu."
Bayerns Abwehr in Frankfurt:Fatale Kettenreaktionen
Beim 1:5-Debakel des FC Bayern in Frankfurt leisten sich alle Verteidiger grobe Fehler, die zu Gegentreffern führen. Das ist in dieser Saison zwar bisher die Ausnahme, zeigt aber deutlich auf, welche Defensiv-Qualitäten der Mannschaft fehlen.
Neben dem Trainer Schmidt gehört die Standardstärke zu Heidenheim wie die Stadtmusikanten zu Bremen oder der Dom zu Kölle. Allein in dieser Saison sind aus Freistößen, Elfmetern und Eckbällen schon elf der 21 Heidenheimer Tore hervorgegangen, also mehr als die Hälfte. Eigentlich hat sich das längst ligaweit herumgesprochen. Doch wenn es tatsächlich noch eines Anschauungsunterrichts bedurfte, was die Spielweise und die Erfolge des FCH zu einem wesentlichen Teil ausmacht, dann kann die Begegnung mit Darmstadt von nun an als Erklärvideo verwendet werden. Denn es handelte sich um einen Sieg nach Heidenheimer Standard, wenn man so will.
"Wir wissen, was auf uns zukommt. Wir trainieren das - und wir kriegen drei Standardtore"
Zunächst hatte Beste mit seinem starken linken Fuß einen Freistoß auf Jan Schöppner geschlagen, der den Ball mehr mit seiner Schulter als mit seinem Kopf zum 1:0 ins Tor beförderte (42.). Später trat Beste mit links zwei Eckbälle scharf vors Darmstädter Tor, zunächst von der linken, dann von der rechten Seite. Beide Male hielt Kapitän Patrick Mainka den Kopf hin und kam so zu seinen ersten beiden Bundesligatoren (69./71.). "Ich glaube, in den letzten anderthalb Jahren, wenn ich ein Tor gemacht habe, war immer Jan-Niklas Beste der Vorlagengeber", sagte der Innenverteidiger, "das ist Wahnsinn. Er ist so unfassbar wichtig für uns."
Tatsächlich zählt Beste mit seinen nun schon acht Vorlagen sogar zu den besten Vorbereitern der Bundesliga. Und obwohl die Gegner seine Stärke bei ruhenden Bällen inzwischen kennen, können sie wenig dagegen ausrichten. "Wir wissen, was auf uns zukommt. Wir trainieren das - und wir kriegen drei Standardtore", sagte Tim Skarke fassungslos. Dem Darmstädter Mittelfeldspieler sind Heidenheims Stärken besonders vertraut, weil er in der Stadt auf der Ostalb geboren und aufgewachsen ist sowie auch fußballerisch sozialisiert wurde. Von 2008 bis 2019 spielte Skarke beim FCH, die letzten vier Jahre davon bei den Profis unter Trainer Schmidt. Doch auch Skarke konnte seine Kollegen nicht davor bewahren, in Heidenheims Standardfalle zu tappen. "Die Heidenheimer können schon kicken, auch richtig gut kicken", sagte Darmstadts Trainer Torsten Lieberknecht, "aber heute waren's die Standards."
Seine Darmstädter waren durchaus gleichwertig aufgetreten und hatten ihren 0:1-Rückstand nach der Pause in eine 2:1-Führung verwandelt. Zunächst traf Skarke zum 1:1 (52.), acht Minuten später lenkte Lennard Maloney eine Flanke von Skarke versehentlich ins eigene Tor. Doch die Heidenheimer bewiesen wieder einmal ihre besondere Widerstandskraft, mit der sie in dieser Saison schon mehrfach nach Rückschlägen zurückgekommen waren. Die erneute Wende durch Mainkas Kopfballtore nach Bestes Eckbällen unterstrich zudem die typische Heidenheimer Heimstärke, noch so ein traditionelles Phänomen auf der Ostalb. Bisher hat Schmidts Mannschaft in ihrer ersten Bundesligasaison 13 ihrer 14 Punkte im eigenen Stadion geholt.
Es ist wohl keine allzu gewagte Prognose, dass die Standard- und Heimstärke Heidenheims Schlüssel zum Klassenverbleib werden könnten. Schmidt wünscht sich allerdings, dass es auch auswärts besser läuft. Am kommenden Samstag steht das Spiel beim 1. FSV Mainz 05 an. Die Frage, ob die Mannschaft reif sei für den ersten Auswärtssieg, erzeugte bei Schmidt immerhin kein Unbehagen. "Reif weiß ich nicht, das müssen wir zeigen", antwortete er, "aber es würde mal Zeit werden, auswärts auch zu punkten."