Handball-WM:Wiede wird zum Problemlöser

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Sechs Tore und sieben Vorlagen gelangen Fabian Wiede gegen Kroatien. (Foto: Wolfgang Rattay/Reuters)
  • Rückraumspieler Fabian Wiede ist der entscheidende Spieler im deutschen Handball-Nationalteam beim schwer erkämpften 22:21 (11:11) über Kroatien.
  • Jedes Tor und jede Vorlage von ihm kamen zur rechten Zeit, um die deutsche Mannschaft vor einer Krise zu bewahren oder sie aus einer zu retten.
  • Bundestrainer Christian Prokop war von Wiedes Mumm beeindruckt: "So einen Diagonalpass traut sich nicht jeder in dieser Situation."

Von Joachim Mölter, Köln

Der deutsche Handball-Torhüter Andreas Wolff hat ja nicht so sehr viele Würfe abgewehrt an diesem Montagabend, aber er wusste genau, wann er zupacken und festhalten musste - nämlich exakt in dem Moment, in dem ihm Fabian Wiede nach der Schlusssirene in die Arme hüpfte. Wolff umschlang seinen Mitspieler, er trug ihn ein paar Schritte durch die Kölner Arena und hob ihn dabei so hoch er konnte, damit alle 19 250 Zuschauer sahen und verstanden, was er später vorsichtshalber trotzdem noch einmal erklärte: "Er hat überragend gespielt. Er hat uns ins Halbfinale getragen."

Der Rückraumspieler Fabian Wiede, 24, war unstrittig der entscheidende Mann gewesen beim schwer erkämpften 22:21 (11:11) über Kroatien, mit dem sich die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) vorzeitig die angestrebte Halbfinal-Teilnahme bei der Weltmeisterschaft sicherte - bereits vor dem letzten Hauptrundenspiel am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) gegen Europameister Spanien. Zu diesem Erfolg hatte Wiede sechs Tore und sieben Vorlagen beigesteuert, jeweils die Höchstwerte in dieser Partie. Aber es waren nicht die Zahlen an sich, mit denen der 1,94 Meter große Linkshänder beeindruckte - es war der Umstand, dass jedes Tor, jede Vorlage immer genau zur rechten Zeit kam, um die deutsche Mannschaft vor einer Krise zu bewahren oder sie aus einer zu retten. "Troubleshooter" nennt man so einen Mann im Englischen, Problemlöser.

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Nach der Pause übernimmt Wiede die Spielgestaltung

Das erste Problem hatte sich dem deutschen Team nach nicht einmal neun Minuten gestellt, als Spielmacher Martin Strobel umknickte und mit gerissenem Kreuz- und Innenband aus der Halle getragen wurde. In die Schockstarre hinein warf Wiede das 4:3, es war wie ein Zeichen an seine Mitspieler: "Sorgt euch nicht, ich bin da!" In der Pause ordnete Bundestrainer Christian Prokop seine Mannschaft neu, der gelernte Halbrechte Wiede übernahm die Spielgestaltung in der Angriffsmitte. Nachdem er seine Mannschaft 18:15 in Führung gebracht hatte (46.), durfte er sich ein paar Minuten auf der Bank ausruhen. Ohne ihn fiel die DHB-Auswahl zurück, beim 18:19 (55.) war er wieder da.

Weil die Offensive ins Stocken geraten war, griffen die Deutschen in Überzahl an, also mit einem siebten Feldspieler anstelle des Torwarts gegen die sechs Verteidiger. Der Ball kreiselte um die kroatische Abwehrmauer, immer wieder hin zu Rechtsaußen Patrick Groetzki - immer wieder kam der Ball zurück zu Wiede. Groetzki hatte zuvor schon zwei geniale Anspiele des Regisseurs nicht verwerten können, er scheute offensichtlich vor einem weiteren Versuch zurück. "Ich glaube, Patrick hat einfach nicht den Pass bekommen, den er hätte gebrauchen können. Von daher mussten wir weiterspielen", schilderte Wiede später die Situation aus seiner Sicht.

Als die Schiedsrichter Zeitspiel anzeigten, also drohenden Ballverlust für die deutsche Mannschaft nach maximal sechs weiteren Pässen, nahm sich Wiede den Ball und laserte ihn fast aus dem Stand in den linken oberen Torwinkel zum 19:19. "In einer Überzahlsituation und bei Zeitspiel aus dem Rückraum zu werfen, ist eigentlich keine gute Idee", fand selbst Wiede: "Aber wir hatten einfach keine Lücke gefunden." Kreisläufer Patrick Wiencek schwärmte: "Gerade in den Situationen, in denen es nicht lief, hat er die Verantwortung übernommen."

Kurz vor Schluss gab Wiede noch die Vorlage zum entscheidenden 22:20 durch Linksaußen Uwe Gensheimer - einen riskanten Pass quer durch die kroatische Abwehr. Der Kapitän schwärmte vom guten Auge seines Spielmachers: "Mein Gegenspieler rückt ein, näher zum Kreisläufer; Fabi hat das sofort gesehen und den Pass direkt rausgefeuert." Prokop war zudem vom Mumm des Rückraumspielers beeindruckt: "So einen Diagonalpass traut sich nicht jeder in dieser Situation."

Wiede kann das, er mag das, "er ist nicht für Vorrundenspiele gegen Korea geboren", sagt DHB-Vizepräsident Bob Hanning, "aber wenn es um etwas geht, wird er die richtige Entscheidung treffen." Hanning muss das wissen, er ist hauptberuflich Geschäftsführer beim Bundesligisten Füchse Berlin, bei dem Wiede unter Vertrag steht, und er ist dort bis heute auch Jugendtrainer. Hanning hat den gebürtigen Potsdamer Wiede selbst ausgebildet, er sagt: "Es war persönlich mein größtes Werk, ihn dahin zu bringen, wo er jetzt ist."

Als pubertierender Jugendlicher hat Wiede alle in den Wahnsinn getrieben, mit seinem überdurchschnittlichen Talent und seinem unterdurchschnittlichen Ehrgeiz. In der B-Jugend revoltierte mal eine ganze Mannschaft gegen ihn. "Er war ein Solist, er musste erst lernen, dass er ein Orchester braucht, um wirklich schön zu spielen", sagt Hanning und versichert: "Fabi hat alles zurückgezahlt, was wir in ihn investiert haben." Die Erfolge der Füchse - Jugendmeisterschaften, DHB-Pokal, Weltpokal - wären ohne Wiede nicht möglich gewesen.

Trotz des Ausfalls von Strobel sagt Prokop: "Es hat sich nichts verändert an Fabians Rolle." Beim DHB wissen sie natürlich, dass dem gelernten Halbrechten noch Erfahrung fehlt als Spielgestalter, "er darf mehr Fehler machen als jeder andere im Team, weil er auch mehr finale Entscheidungen trifft", sagt Hanning deshalb. Aber Wiede hat wenigstens keine Angst vor Fehlern. "Man darf nicht zweifeln", sagte er über die kritischen Situationen am Montag, "sonst hat man schon verloren."

© SZ vom 23.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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