Deutschland bei der Handball-WM:Entsetzen bei der Schlusssirene

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Bedient: Torhüter Andreas Wolff. (Foto: dpa)
  • Deutschlands Handballer verlieren auf dramatische Weise das Spiel um Platz drei gegen Frankreich.
  • Die Entscheidung fällt in allerletzter Sekunde - die Enttäuschung ist riesig.

Von Saskia Aleythe, Herning

Ein freier Blick auf die Uhr hätte vielleicht schon genügt. Die letzten Sekunden liefen herunter auf dem Videowürfel, der in der Arena in Herning direkt über der Mittellinie hängt. 25:25 zwischen Deutschland und Frankreich prangte dort oben, Matthias Musche hatte nicht nur den Ball in der Hand, sondern auch die Entscheidung um Bronze bei der Handball-WM. Aber der Linksaußen konnte die Zeit nicht erkennen, zu spitz war der Winkel direkt zum Hallendach. "Ich wusste nicht, ob noch drei oder zehn Sekunden zu spielen sind", sagte er später, er entschied sich fürs Angreifen, einen Pass auf Kreisläufer Hendrik Pekeler. "Wenn er den fängt und reinmacht, sind wir alle Helden", sagte Musche, "so halt nicht."

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Es waren dramatische Sekunden, die vom letzten WM-Auftritt der deutschen Handballer nun in Erinnerung bleiben: Pekeler konnte den Ball nicht annehmen, bekam trotz Abwehrhand im Gesicht keinen Freiwurf und dann waren halt doch noch genügend Sekunden auf dem Würfel, dass Nikola Karabatic noch das 25:26 erzielen konnte. "Wir haben 15 Sekunden Zeit, das Spiel zu gewinnen. Und schaffen es in der Zeit, das Spiel zu verlieren. Das ist natürlich sehr sehr traurig", sagte Torhüter Andreas Wolff, der sein Team durch insgesamt zwölf Paraden überhaupt erst die Chance auf Bronze erhalten hatte.

Noch zur Halbzeit führte die Mannschaft von Christian Prokop mit 13:9. Und verabschiedete sich nun mit einem weiteren beherzten Auftritt, aber eben auch diesem Schmerz im Bauch. "Das ist brutal, das ist bitter", sagte Prokop. Es wäre die erste WM-Medaille seit dem Gold-Triumph 2007 gewesen.

"Irgendwann werden wir uns belohnen", hatte der Trainer noch in der Vorrunde angekündigt. Schon da war man auf Frankreich getroffen und hatte erst in den letzten Sekunden durch einen Freiwurf den Ausgleich kassiert. Mit traurigen Augen saß Prokop nun nach dem verlorenen Spiel um Bronze auf der Pressetribüne. "Ein Lucky Punch wäre verdient gewesen", sagte er, "aber Frankreich war heute die cleverere Mannschaft." Karabatic, zwei Plätze weiter, war anzumerken, dass er den Sieg fast schon als glücklich empfand. "Sie haben gekämpft und es uns sehr schwer gemacht", sagte der ehemalige Welthandballer mehrfach, "Deutschland hätte gewinnen können, das dürfen wir nicht vergessen."

Zwei Wochen lang waren die Zuschauer in Berlin, Köln und Hamburg in Ekstase ausgebrochen, wenn die deutschen Handballer in die Arenen einliefen, nun musste die Mannschaft um Kapitän Uwe Gensheimer erstmals auswärts antreten. Zum Glück kann man sagen: Das vorher gesetzte Ziel war ja, es ins Halbfinale zu schaffen und sich damit unter die besten vier Mannschaften der Welt zu manövrieren, um dann nach Herning zu reisen. Die Norweger hatten dem Prokop-Team am Freitagabend den Finaleinzug vermiest. Ein Halbfinale, nach dem alle Deutschen bekannten: Norwegen war einfach besser.

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Von Enttäuschung in den Gliedern war der DHB-Auswahl gegen die Franzosen nichts anzumerken: Nach fünf Minuten führten sie mit 4:2. Dann folgte ein erster Bruch im Spiel, Patrick Wiencek musste mit Zeitstrafe auf die Bank, Kentin Mahé nutzte uninspirierte Würfe von Wiede und Drux zu zwei leichten Treffern auf das verwaiste deutsche Tor und machte das 4:5 (7.).

Die Abwehr, die sich gegen Norwegen nicht in Finalform präsentiert hatte, schuftete wieder dafür, sich den Ruf als die beste der Welt zu erarbeiten. Sie verteidigten konzentrierter und flinker - und auch Andreas Wolff hatte den Ärger über das Halbfinal-Aus verkraftet. Zur Halbzeit waren ihm schon sieben Paraden bei 13 Würfen gelungen, eine überragende Quote von 54 Prozent. Deutschland führte 13:9. Das roch schon nach Belohnung. Uwe-Uwe-Rufe gingen durch die Halle, die Zuschauer hatten sich ohnehin auf die Seite der Deutschen geschlagen.

Die Glücksgefühle auf der deutschen Bank verwandelten sich allerdings acht Minuten nach Wiederanpfiff in Bangen: Wiencek musste sich mit seiner dritten Zeitstrafe die Trainingsjacke überstreifen und auf die Tribüne verabschieden. Ausgerechnet derjenige, der so viele Blocks wie kein anderer im Turnier geschafft hatte. Immer wieder geriet Deutschland nun in Unterzahl, Torwart Vincent Gérard ärgerte die Angreifer, deren Wurfgewalt abnahm. "In der zweiten Halbzeit gehen wir nicht mehr mit Traute aufs Tor", fand Prokop später, auch Ballverluste schlichen sich ein. So stand es dann nach 42 Minuten plötzlich 16:18. "Da geben wir den Franzosen wieder die Luft zum Atmen", befand Paul Drux, dem vier Tore gelungen waren, nur Gensheimer schaffte noch drei mehr.

Dass sie nach Verlust der hohen Halbzeit-Führung trotzdem immer wieder ausgleichen konnten, nötigte Prokop Respekt ab. "Das hat mit viel Charakter und Engagement und Teamgeist zu tun, dass wir uns in dieser mental schweren Situation zurückkämpfen", sagte der 40-Jährige. Zwei Minuten vor Schluss bekam Gensheimer eine Zeitstrafe, die Deutschen mussten in Unterzahl zu Ende spielen. "Eine sehr harte Entscheidung in dieser Phase", befand Gensheimer, auch andere Pfiffe der Schiedsrichter waren umstritten.

Doch noch immer blieben die Deutschen dran, die Bronze-Medaille war noch in Reichweite. Matthias Musche, der noch keine Minute in der Partie gespielt hatte, verwandelte einen fälligen Siebenmeter cool zum 25:25. Da standen noch 79 Sekunden auf der Uhr. Und auch der eingewechselte Silvio Heinevetter rettete gegen Luc Abalo, es hätte die entscheidende Parade sein können.

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Dass Musche nicht auf Verlängerung gespielt hatte, machte ihm später niemand zum Vorwurf. "Ich fand die Entscheidung gut, da mutig zum Tor zu gehen", sagte Prokop sogar. Und auch wenn allen die Enttäuschung anzusehen war, ausgerechnet die letzten zwei Partien dieser WM verloren zu haben, gelang ihnen schon ein versöhnliches Resümee. Noch im Vorjahr hatte man mit verunsicherten Auftritten und Rang neun bei der EM kein gutes Bild abgegeben.

"Mit etwas Abstand schaffen wir es vielleicht, stolz auf das zu sein, was wir die letzten Wochen geleistet haben", sagte Gensheimer noch. Sie haben sich zusammengerauft, die Spieler unter sich und das Team auch mit dem Trainer. "Man hat die Stimmung gesehen in den Arenen", ergänzte Gensheimer, "das war etwas, was wir nie mehr vergessen werden."

© SZ vom 28.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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