Handball:Schritt für Schritt mit Schorle

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Spieler im Europapokal, Trainer in der Bundesliga: Michael Roth hat die großen Zeiten am Untermain mitgemacht. (Foto: Michael Täger/Jan Hübner/Imago)

Trainer Michael Roth kehrt zum TV Großwallstadt zurück und hat mit dem Zweitligisten Großes vor. Über einen, der schon ganz anderes geschafft hat.

Von Sebastian Leisgang

Michael Roth hat die Geschichte schon ein paar Mal erzählt: wie er, gut vier Jahrzehnte ist es jetzt her, bei einem Mannschaftsabend in Leutershausen war - und wie er dann, weil er zu den Jüngsten im Team gehörte, seine Mitspieler auf einem Weinfest bedienen musste. "Ich habe ein Tablett mit 20 Weinschorlen an den Tisch gebracht", erzählt Roth, "dann hat einer gerufen: ,Da ist der Schorle.' Und das hat sich dann durchgesetzt." Seitdem heißt Michael Roth nur noch Schorle, selbst Trainerkollegen nennen ihn so, wenn sie bei Pressekonferenzen vor laufenden Kameras am anderen Ende des Podiums sitzen.

Schorle, einerseits, ist nur ein Spitzname, könnte man meinen. Andererseits darf man sich nicht so ernst nehmen, wenn man wie ein Getränk heißt. Wer sich also seit 40 Jahren Schorle nennen lässt, der muss verstanden haben, was wirklich wichtig ist.

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Ein Vormittag in dieser Woche, Michael Roth, 61, spricht über das, was jetzt kommt, und über das, was hinter ihm liegt. Über seine Anfänge als Handballer in Leutershausen, über seine acht Jahre als Trainer in Melsungen und über seine Zeit beim TV Großwallstadt. Roth hat die guten Tage miterlebt, die Spiele im Europapokal, das Finale 1986 gegen den FC Barcelona, die deutsche Meisterschaft 1990. Es waren die ganz großen Zeiten, die Blüte des TVG, die erfolgreichsten Jahre der Klubgeschichte - und als Roth später als Trainer an den Untermain zurückkam, da war Großwallstadt immer noch Bundesligist.

Als Roth 2009 zum zweiten Mal ging, fiel der gesamte Klub in sich zusammen. Finanzielle Probleme, Abstiege, "ich habe das mit einem weinenden Auge gesehen", sagt Roth, "aber mittlerweile sind die Scherben wieder aufgelesen und zusammengeklebt. Das war das Wichtigste: dass der Verein mit Geduld wieder Struktur reinkriegt."

"Die Gegend ist toll, die Menschen sind lebenslustig - und ich habe das Gefühl, dass ich was bewegen kann."

Jetzt ist Roth, zuletzt beim österreichischen Erstligisten Bregenz, nochmal zurückgekommen. Er sagt: "Es gab nicht viele Vereine in der zweiten Liga, zu denen ich gegangen wäre. Aber hier hatte ich eine erfolgreiche Zeit als Spieler und als Trainer, die Gegend ist toll, die Menschen sind lebenslustig - und ich habe das Gefühl, dass ich was bewegen kann." Irgendwann, sagt Roth, wolle der TVG wieder erstklassig sein. Das Ziel für die kommende Saison sei aber zunächst einmal ein einstelliger Tabellenplatz, dann soll es immer weiter nach oben gehen, Schritt für Schritt, von Zeit zu Zeit. Und tatsächlich kann man inzwischen wieder den Eindruck gewinnen, dass es Hand und sogar Fuß hat, wie sich dieser große Traditionsverein entwickelt.

Den TVG umgibt ja schon lange eine stille Sehnsucht, und nun könnten auch die richtigen Leute zur rechten Zeit am rechten Ort sein: Roth, die Stefan Wüst und Michael Spatz, der zu den Bundesliga-Zeiten unter Roth noch Rechtsaußen war und nun mit Wüst den gesamten Klub lenkt.

Zu dritt wollen sie hoch hinaus, dorthin, wo Großwallstadt früher schon einmal war. Es sind ambitionierte und große Pläne, doch Roth hat schon ganz andere Aufgaben bewältigt. Als er jetzt im Laufe des Gesprächs zu seinem herausforderndsten Kampf kommt, den er bisher ausgetragen hat, wird er tiefgründig. "Man entwickelt ein ganz anderes Gefühl fürs Leben", sagt Roth und spricht dann über Freizeitstress, seinen alten Alltag und das Hamsterrad, das sich drehte und drehte, bis er 2009 auf einmal eine Diagnose erhielt, die vieles relativierte: Prostatakrebs.

"Männer gehen nur zum Arzt, wenn was kaputt ist" - das will Roth ändern, mit Büchern und Vorträgen

Roth blieb zwar Schorle, doch seitdem sieht er die Welt mit anderen Augen. "Es kann schnell zu Ende sein, wenn man nicht aufpasst", sagt Roth, "es gibt keinen klassischen Männerarzt - das ist bei Frauen anders. Männer gehen nur zum Arzt, wenn was kaputt ist. Und sie haben eine große Klappe und sind deshalb nicht erreichbar für Themen wie Vorsorge. Dabei kann es einem zum Verhängnis werden, wenn zu spät was entdeckt wird."

Als Roth 2009 die Diagnose bekam, vergingen nur drei Monate, ehe sein Zwillingsbruder Uli dieselbe Nachricht erhielt. Inzwischen haben sich die beiden längst daran gemacht, andere Männer aufzuklären, sie zu sensibilisieren und ihnen die Vorsorge nahezulegen. "Das ist unsere zweite Lebensaufgabe geworden", sagt Roth. Mit seinem Bruder hat er zwei Bücher geschrieben, hält Vorträge, schafft ein Bewusstsein.

Es ist eine derart große Aufgabe, die die beiden da verfolgen, dass es geradezu mickrig erscheint, worum es nun in Großwallstadt geht. Doch Roth sagt: "Natürlich sind wir trotzdem alle mit maximalem Ehrgeiz dabei." Er weiß ja, zu welchen Höhenflügen der TVG imstande war - und das alleine ist vier Jahrzehnte später immer noch Antrieb.

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