Handball und Olympia:Sorgen zum blödesten Zeitpunkt

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Wollen und sollen in Hannover die Olympia-Qualifikation klarmachen: Julian Köster (rechts) und Juri Knorr. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Für die deutschen Handballer und Bundestrainer Gislason geht es beim Olympia-Qualifikationsturnier um sehr viel. Ausgerechnet jetzt sind wichtige Kräfte verletzt - und Juri Knorr reist auch nicht in guter Verfassung an.

Von Carsten Scheele, Hannover

Unter Experten ist es nach wie vor umstritten, ob die Handball-EM für das deutsche Team mit Platz vier nun ein gutes oder doch eher ein mittelmäßiges Turnier war. Unstrittig scheint immerhin zu sein, dass die Fans das Team sehen möchten. Für das Olympia-Qualifikationsturnier, das an diesem Donnerstag in Hannover beginnt, waren die ersten rund 15 000 Tickets binnen einer Stunde vergriffen. Die Seite des Ticketanbieters brach regelmäßig unter der Last der Zugriffe zusammen. Als die nächsten Kontingente auf den Markt kamen, das gleiche Spiel. Dreimal wird die ZAG Arena in Hannover ausverkauft sein; deutlich mehr Karten hätten verkauft werden können, aber es passen halt nur knapp 10 000 Menschen hinein in die größte Hallenarena Niedersachsens.

Das Turnier ist eines mit großer Fallhöhe. Es geht um sehr viel für den deutschen Handball, um die Olympia-Teilnahme natürlich - nur die beiden Erstplatzierten erhalten ihr Ticket für Paris. Die Sommerspiele sind im Vierjahreskalender der Handballer das wichtigste Ereignis, weil es seltener stattfindet als Weltmeisterschaften oder Europameisterschaften. "Olympia macht etwas mit einem", sagte Außenspieler Lukas Mertens. Für viele im Team ist es das ganz große Ziel.

Handball-Bundestrainer
:Eine Kröte für Gislason

Nur wenn Alfred Gislason mit den deutschen Handballern die Olympia-Qualifikation schafft, verlängert sich sein Vertrag bis zur Heim-WM 2027. Frauen-Bundestrainer Markus Gaugisch erhält ebenfalls einen Vertrag bis 2026 - ohne Bedingung.

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Und es geht, als wäre das nicht schon wichtig genug, in den Spielen gegen Algerien (Donnerstag), Kroatien (Samstag) und Österreich (Sonntag) nebenbei um den Job des Bundestrainers. Der hat vom Verband eine klare Maßgabe erteilt bekommen: Holt Alfred Gislason, 64, mit der Mannschaft das Olympia-Ticket, darf er bis zur WM 2027 weiterarbeiten. Scheitert er, muss er gehen.

Golla und Kohlbacher können beim Handball-Turnier in Hannover wohl spielen

Der Deutsche Handballbund (DHB) hat sich mit der Moderation der Bundestrainer-Personalie (und der Vertragsverhandlung vor dem Quali-Turnier) keinen riesengroßen Gefallen getan, aber nun ist die Sache mit der doppelten Fallhöhe nicht mehr zu ändern. Einen Freifahrtschein für Olympia wollten sie Gislason nicht ausstellen; der Bundestrainer muss zwischendurch liefern. Was in der freien Wirtschaft normal erscheint, gab es in dieser Form im Handball bislang nicht.

Was sagt der Bundestrainer selbst? Zwei Tage vor dem Turnierstart gibt sich Gislason zunächst gelassen, doch die Stimmung kippt ein wenig. Der Isländer hat im Handball sehr viel erlebt, es ist glaubhaft, dass ihn eine solche Vertragssituation nicht wirklich verunsichert. Aber genervt wirkte er schon. "Wie oft muss ich das noch sagen", raunte er im Mediengespräch auf die wiederholt gestellte Nachfrage, wie er die Situation persönlich empfinde. "Ganz normal" sei die Kopplung des sportlichen Erfolgs an die Vertragslaufzeit: "Ich verspüre überhaupt keinen Druck." Basta.

Ebenso unlustig fand der Isländer, dass ihm fest eingeplante Spieler abhandengekommen oder nicht in bester Verfassung nach Hannover gereist sind. Rückraumveteran Kai Häfner fehlt verletzt, ebenso die beiden jungen Hannoveraner Martin Hanne (Rückraum) und Justus Fischer (Kreis). Am vergangenen Bundesliga-Wochenende gingen zudem in Kapitän Johannes Golla und Jannik Kohlbacher zwei weitere Kreisläufer malad vom Platz. Die Not schien so groß zu sein, dass Gislason mit dem zurückgetretenen Kieler Abwehrchef Hendrik Pekeler telefonierte, um ihn darauf vorzubereiten, dass er sich eventuell kurzfristig in den Zug nach Hannover setzen müsse. Doch Gollas Sprunggelenkverletzung ist nicht so schlimm, auch Kohlbachers Schulter hielt im Training. "Sie haben den Härtetest bestanden", sagte Gislason am Dienstag.

Der Blick aufs Turniertableau bringt den Deutschen mit Auftaktgegner Algerien zunächst das leichteste Kaliber, ein wurfgewaltiges Team, das aber spielerisch und taktisch Defizite hat. Danach wird es kniffliger. Gegen Kroatien und Österreich hat das DHB-Team bei der EM verloren beziehungsweise Unentschieden gespielt; die Niederlage gegen Kroatien muss aber als Sonderfall betrachtet werden, weil das deutsche Team zu diesem Zeitpunkt bereits fürs Halbfinale gegen Dänemark qualifiziert war. Bei den Kroaten hat sich seit Januar etwas getan, neuer Nationaltrainer ist Dagur Sigurdsson, der 2016 noch als Coach mit dem DHB-Team den EM-Titel gewonnen hatte. Ein alter Bekannter also.

Und noch ein Sorgenprojekt hat Handball-Bundestrainer Gislason: Juri Knorr

Gislason freut sich auf das Wiedersehen, erwartet aber kein kroatisches Team, das plötzlich ganz anderen Handball spielt: "Ich glaube nicht, dass Dagur in ein paar Tagen alles auf den Kopf gestellt hat." Die Österreicher zum Abschluss sind ebenfalls nicht zu unterschätzen, wobei der Verdacht nahe liegt, dass das Team bei der EM etwas oberhalb des eigenen Leistungsvermögens agierte. "Das werden knallharte Spiele", sagt Gislason trotzdem.

Und noch ein letztes Sorgenprojekt verfolgt den Bundestrainer, denn Juri Knorr, der hoch veranlagte Mittelmann, ist mit ziemlich vielen Misserfolgen im Gepäck in Hannover angekommen. Im Verein bei den Rhein-Neckar Löwen läuft es schlecht, Gislason sagt, Knorr habe dort trotz seiner erst 23 Jahre "eine riesige Rolle" und gehe zudem "sehr selbstkritisch mit sich um". Man müsse Knorr helfen, damit er im Nationalteam eine positivere Energie entwickle. "Den müssen wir ein bisschen aufpeppeln", kündigte Gislason an.

Zur Sicherheit hat der Bundestrainer drei weitere Mittelmänner eingeladen, neben dem Berliner Nils Lichtlein auch Marian Michalczik (Hannover) und Luca Witzke (Leipzig). In jeder Partie muss zumindest einer dieser vier Strategen das deutsche Spiel kraftvoll anleiten, wenn es mit dem Olympiaticket klappen soll. Es darf nichts schiefgehen.

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