Handball-EM:Kroatien im Loch

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"Das darf uns nicht passieren": Kroatiens Domagoj Duvnjak nach dem Aus bei der EM in seiner zweiten Heimat Deutschland. (Foto: Tom Weller/dpa)

Deutschlands letzter Gegner im Kampf um das Halbfinal-Ticket ist schon raus - und schwer deprimiert. Ein Vorteil fürs DHB-Team?

Von Carsten Scheele, Köln

Domagoj Duvnjak ist zu lange im Geschäft, als dass er unbedingt diplomatische Antworten geben müsste. Der Kroate war in seiner Karriere schon Welthandballer und Champions-League-Sieger. Als er nun nach der bitteren Niederlage im EM-Hauptrundenspiel gegen Island gefragt wurde, ob sich seine Mannschaft noch für das anstehende Spiel gegen Deutschland motivieren könne, da atmete Duvnjak tief durch und sagte: "Das wird sehr schwer."

Die Kroaten sind raus bei dieser EM. Ein Spiel gilt es noch zu absolvieren, aber das Halbfinale ist bereits außer Reichweite; endgültig nach dem 30:35 gegen Island, als das Team in den letzten Spielminuten sinnbildlich in sich zusammensackte. Als es in der Crunchtime darauf ankam, spielten nur noch die Isländer, trotz einer roten Karte gegen Ymir Gislason (nach einem Schlag ins Gesicht von Zvonimir Srna) und einer Fußverletzung des Magdeburgers Gisli Kristjansson. Die Kroaten ließen es über sich ergehen.

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Für das deutsche Team könnten deprimierte und müde Kroaten am Mittwoch von Vorteil sein: Ein Sieg im finalen Gruppenspiel, und Deutschland steht sicher im Halbfinale. Bundestrainer Alfred Gislason glaubt allerdings nicht daran, dass die Kroaten das letzte Spiel nicht mehr mit dem nötigen Ernst bestreiten werden: "Wer das denkt", sagte Gislason und lachte, "der kennt den kroatischen Handball schlecht." Christoph Steinert vom HC Erlangen entlockte diese Aussage ein müdes Lächeln, er kennt Duvnjak aus zahlreichen Bundesligaduellen: "Er will jedes Spiel gewinnen, immer."

EM-Silber 2020: Vor ein paar Jahren waren die Kroaten noch ein Spitzenteam

Abschenken werden die Kroaten das Spiel vor fast 20 000 Zuschauern in Köln also eher nicht, aber Duvnjak wirkte schon extrem enttäuscht. Eine solche Niederlage in einem wichtigen Spiel "darf uns nicht passieren", sagte der Profi des THW Kiel, der von allen nur "Dule" genannt wird. Sein Team sei nach dem Auftaktsieg über Spanien "ein bisschen geflogen", danach ging es nur noch bergab. Durch die missglückte Europameisterschaft haben die Kroaten auch ihre Chancen auf das Mitwirken am olympischen Handballturnier verschlechtert. "Wir sind in einem Loch", sagte Duvnjak.

Man könnte nun böse anmerken: nicht erst seit dieser EM. Vor ein paar Jahren waren die Kroaten noch ein Spitzenteam, fester Kandidat fürs Halbfinale bei großen Turnieren. 2020 gewann das Team EM-Silber, der letzte große Erfolg. Duvnjak wurde zum besten Spieler des Turniers gewählt. Danach hörten ein paar prägende Kräfte auf; die jüngeren, die hereinkamen, taten sich schwer, die traditionelle kroatische Schlaghärte zu wahren. Langjährige Weltklassekräfte wie Duvnjak, Igor Karacic, beide 35, oder Mittelmann Luka Cindric, 30, können im Nationalteam mittlerweile nicht mehr an ihre besten Zeiten anknüpfen. "Mit dem kroatischen Handball geht es seit drei oder vier Jahren bergab", sagte Duvnjak.

Dabei hätte es für "Dule" eigentlich ein großes Turnier werden sollen. In Deutschland, seiner zweiten Heimat, er spielt schließlich seit 15 Jahren hier, erst fünf Jahre in Hamburg, seitdem beim THW Kiel. Doch ein Bazillus raffte ihn nieder, Duvnjak lag mitten im Turnier vier Tage im Bett, Fieber, Halsschmerzen. Er fehlte seiner Mannschaft in zwei Hauptrundenspielen. "Das war nicht lustig", sagte er.

Für den kroatischen Handball stellt sich eine große Frage: Ist das Team binnen eines Jahres in der Lage, sich aus dem diagnostizierten Loch zu befreien? Im Januar 2025 gibt es die nächste Handball-WM, Kroatien ist einer der Gastgeber neben Dänemark und Norwegen. Ihre Heimspiele trägt die Mannschaft vor 15 200 Fans in der großen Zagreb-Arena aus. Aber in dieser Form kann und darf sich das Team zu Hause nicht präsentieren. "Im Moment", sagte Duvnjak, bevor er sich verabschiedete, "sind wir von einem Halbfinale weit weg."

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