Handball-EM der Frauen:Schmerz schlägt Willen

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Zupackend: Alina Grijseels wird von Verteidigerin Djudjina Jaukovic auf effektive Weise gebremst. (Foto: Savo Prelevic/AFP)

Die deutschen Handballerinnen müssen nun Spanien besiegen, um noch in die K.-o.-Runde einzuziehen. Auch das Vorrunden-Aus droht - und das wäre eine Blamage.

Von Ulrich Hartmann

Das Gesicht und der Hals waren voller roter Striemen. Alina Grijseels sah aus, als hätte sie gegen einen Löwen gekämpft. Und ein bisschen so hatte sich das Europameisterschaftsspiel gegen den Gastgeber Montenegro wohl auch angefühlt. "Der Wille muss größer sein als die Angst vor den Schmerzen", hatte Grijseels am Tag vor dem Spiel gesagt. Ein Spruch wie aus dem Poesiealbum, geeignet auch fürs ganze Leben.

Doch so groß der Wille der deutschen Handballerinnen im zweiten Gruppenspiel auch gewesen war, nach der 25:29-Niederlage überwog der Schmerz. An diesem Mittwoch braucht es im letzten Vorrundenspiel gegen Spanien (20.15 Uhr, sportdeutschland.tv) einen Sieg, um mit zwei Punkten und nur dann überhaupt mit gewissen Chancen in die schwierige Hauptrundengruppe einzuziehen. Bei einer Niederlage droht sogar das Vorrunden-Aus. Das wäre eine Blamage.

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Grijseels, im zentralen Rückraum die Spielgestalterin im deutschen Team, ist mit Emily Bölk links neben ihr bislang die überragende Spielerin der deutschen Mannschaft. Grijseels und Bölk sind mit 15 und 13 Treffern die besten Torschützinnen, sie teilen sich das Kapitänsamt und übernehmen im Spiel immer dann mutig Verantwortung, wenn es darauf ankommt.

Das deutsche Team spielt zu ineffektiv, die Pass-Genauigkeit lag nur bei 57 Prozent

Die Statistik verrät, dass die deutschen Handballerinnen insgesamt zwar bislang ganz gut spielen, dass sie aber auch einige Schönheitsfehler begehen, die ihnen das Leben erschweren. So war Grijseels nach zwei Spieltagen mit 15 Treffern zwar die zweitbeste Torschützin des gesamten Turniers, die Dortmunderin benötigte dafür allerdings 22 Versuche, womit sie in der Wurfeffektivität nur im statistischen Mittelfeld rangiert.

Ähnlich verhält es sich bei der Torhüterin Katharina Filter: Die für Kopenhagen spielende Hamburgerin zeigte mit 22 Paraden bislang zwar die meisten aller Mannschaften im Turnier, bekam mit 64 allerdings auch die meisten Würfe aller Torhüterinnen aufs Tor, was wiederum einiges über die deutsche Abwehr verrät. Und dann noch zwei Teamstatistiken: Die deutsche Mannschaft hatte nach den ersten beiden Spieltagen die geringste prozentuale Effektivität im Passspiel aller 16 Nationen. Gegen Montenegro lag ihre Wurfeffektivität zudem nur bei 57 Prozent.

Es scheint gerade darauf hinauszulaufen, dass dieses Turnier für die deutschen Frauen genauso enden könnte wie die Turniere in den vergangenen Jahren. Da haben sie zwar immer die Hauptrunde erreicht, aber nie das Halbfinale. Grijseels hat das seit 2018 bereits vier Mal mitgemacht mit einem zehnten, einem achten und zwei siebten Abschlussplätzen bei je zwei Welt- und Europameisterschaften.

Die mediale Resonanz war bei allen vier Turnieren am Ende skeptisch gewesen, und das hat die gebürtige Weselerin ein bisschen geärgert. "Es wurde eigentlich immer nur bewertet, dass wir nicht ins Halbfinale gekommen sind", sagt sie. Grijseels findet aber, "dass wir von Jahr zu Jahr einen Schritt nach vorne gemacht haben". 2019 etwa seien sie nur um ein Tor am Halbfinale gescheitert. "Es muss halt auch einfach alles passen", sagt sie.

Alles passt aber bislang auch diesmal nicht. Die beste deutsche Torfrau Dinah Eckerle fehlt, weil sie ein Kind erwartet. Die rechte Rückraumspielerin Alicia Stolle, die Rechtsaußen Amelie Berger und die Linksaußen Antje Döll (geb. Lauenroth) fehlen verletzt. Julia Maidhof im rechten Rückraum hat in zwei Spielen bislang bloß zwei Siebenmetertore erzielt, den Kreisläuferinnen Meike Schmelzer und Luisa Schulze gelang gegen Montenegro überhaupt kein Treffer. Noch knirscht und ruckelt es in der deutschen Mannschaft an einigen Stellen, die Frage ist nur, wie viele Spiele sie noch die Gelegenheit dazu bekommt, diese Probleme auszumerzen.

Mehr Spielfeldbreite, mehr Tempo, bessere Anspiele - zu verbessern gibt es noch manches

"Wir sind zu linkslastig", sagte am Dienstag etwa der Bundestrainer Markus Gaugisch. "Emily Bölk und Alina Grijseels haben jetzt zwei Spiele lang wahnsinnig viel investiert und ich wünsche mir, dass wir unser Spiel über das Feld hinweg ausgeglichener verteilen, dass wir die Spielfeldbreite verbessern." Mehr Tempo und bessere Anspiele auf die Außen sowie vor allem an den Kreis werden in der Tat vonnöten sein, um nicht schon allzu früh im Turnier zu stranden.

Auch die Spielerinnen aus der zweiten Reihe müssten sich ein bisschen mehr aufdrängen. Bislang hat etwa Mia Zschocke (linker Rückraum) erst vier Minuten Spielzeit bekommen, Maren Weigel (rechter Rückraum) 14, Silje Bröns Petersen (Mitte) 16 und Lisa Antl (Kreis) 20 Minuten. Hier verweist Gaugisch indes darauf, dass er die "Leistungsträgerinnen" favorisiert.

Sollte der Sieg gegen Spanien gelingen, würden in der am Freitag beginnenden Hauptrundengruppe mit Frankreich, dem WM-Zweiten von 2021, sowie den Niederlanden (Weltmeister 2019) zwei gewaltige Gegner warten. Selten schien ein Halbfinale für die deutschen Handballerinnen ferner zu sein. Beste Voraussetzungen für eine dicke Überraschung.

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