Handball-EM:Bitter ist schon im Flow

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Johannes Bitter: Zurück in der Nationalmannschaft und gut in Form. (Foto: Simon Hofmann/Bongarts/Getty Images)
  • Die deutschen Handballer gewinnen ihren letzten Test vor der EM gegen Österreich mit 32:28 (15:14).
  • Insgesamt sieben deutsche Rückraumspieler haben für die EM aus Verletzungsgründen abgesagt - die Spielsteuerung in der Zentrale müssen nun Männer übernehmen, die alle keine gelernten Regisseure sind.
  • Mit der Torwartposition ist Bundestrainer Prokop schon zufrieden: "Wenn wir diese Torhüterleistung ansatzweise halten können, haben wir ein tolles Fundament für die Europameisterschaft."

Von Joachim Mölter, Wien

Ein guter Handball-Torwart bleibt im Tor und wehrt dort die Würfe ab. Ein sehr guter wartet gar nicht so lang, sondern schnappt sich den Ball auch schon mal vorher. So wie Johannes Bitter am Montag in der Wiener Stadthalle gegen Österreich. Da eilte der deutsche Nationalkeeper aus seinem Kreis heraus, fing einen Pass auf den freistehenden Kreisläufer Fabian Posch ab, Österreichs besten Werfer mit acht Toren, und leitete umgehend den Gegenangriff ein.

Mit seiner gedankenschnellen Reaktion hatte Bitter auch die beste Phase der deutschen Handballer eingeläutet: In der zogen sie bis auf fünf Tore davon (24:19/44.). Am Ende gewannen sie 32:28 (15:14) gegen Österreich, gemeinsam mit Norwegen und Schweden Gastgeber der am Donnerstag beginnenden Europameisterschaft. Mit dem Erfolg hat die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) ihre EM-Vorbereitung abgeschlossen. Am Samstag hatte sie in Mannheim Island besiegt, 33:25 (16:13).

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Die deutschen Handballer fahren nun in einer "positiven Grundstimmung" zum Turnier, wie Bob Hanning sagt, der für den Leistungssport zuständige Vizepräsident. Bundestrainer Christian Prokop war zwar "nicht hundertprozentig zufrieden", weil sein Team phasenweise im Angriff "zu leichtfertig die Chancen vergeben" hat und zum anderen in der Verteidigung "Österreich zu leichten Toren hat kommen lassen". Aber in der Summe überwog, dass er auch "sehr viel Positives gesehen" hatte, wie er bereits nach dem Island-Spiel bekundete. Sein Fazit: "Wir können Schwung mitnehmen."

Im Team sind etliche junge, unerfahrene Spieler

Dabei vernachlässigte Prokop freilich, dass er sich mit Island und Österreich nicht die größten Stolperfallen ausgesucht hatte beim Anlauf auf die EM. Islands Medaillengewinne bei internationalen Turnieren sind jedenfalls lange her: 2008 gab's Olympia-Silber, 2010 EM-Bronze, aber seit 2014 keinen Top-Ten-Platz mehr. So weit hat es Österreich zuletzt nur einmal gebracht: als Neunter bei der Heim-EM 2010.

Offensichtlich spornt die Gastgeber-Rolle Österreichs Handballer wieder an, denn sie machten es ihren deutschen Gästen lange schwer. Just als Prokops Männer sich erstmals etwas abgesetzt hatten (7:4/11.), kamen die Österreicher mit vier Toren in Serie zurück. Danach versäumten es die deutschen Handballer, sich einen Vorsprung zu erspielen, auch, weil viele Wechsel den Spielfluss hemmten. Für den Bundestrainer war ja am wichtigsten, dass sich seine neu zusammengestellte Mannschaft einspielt. Insgesamt sieben Rückraumspieler hatten ihm wegen diverser Blessuren abgesagt: die Linkshänder Steffen Weinhold, Fabian Wiede und Franz Semper, dazu Tim Suton, Simon Ernst, Niclas Pieczkowski und Martin Strobel, die für gewöhnlich in der Mitte oder halblinks positioniert sind.

Die Spielsteuerung in der Zentrale müssen nun Männer übernehmen, die alle keine gelernten Regisseure sind: Paul Drux, Philipp Weber, Marian Michalczik. "Wir werden niemanden im Rückraum dabei haben, der das Spiel über fünfzig Minuten an sich reißen muss, der aber über zwanzig, dreißig Minuten seine Topleistung ins Team bringen soll", sagte Prokop.

In seinem Kader hat er etliche international eher unerfahrene Spieler wie Michalczik, Rechtsaußen Timo Kastening oder Kreisläufer Johannes Golla. Die Stuttgarter Patrick Zieker (Linksaußen) und David Schmidt (Rückraum rechts) debütierten sogar erst an diesem Wochenende. Zieker war gegen Österreich gleich bester Schütze mit sechs Toren; gegen Island waren Drux und Kapitän Uwe Gensheimer am erfolgreichsten (je viermal).

Während Zieker debütierte, gab sein Klubkollege Johannes Bitter ein Comeback im Nationalteam nach rund sechs Jahren. Der 37 Jahre alte Weltmeister von 2007 bildet mit Andreas Wolff, dem Europameister von 2016, das Torhüter-Gespann. Bitter überzeugte bereits gegen Island mit zwei vereitelten Siebenmetern; wie Wolff kam auch er auf eine Abwehrquote von annähernd 50 Prozent der Würfe. "Heute hatten beide einen guten Tag", lobte Prokop am Samstag: "Wenn wir diese Torhüterleistung ansatzweise halten können, haben wir ein tolles Fundament für die Europameisterschaft."

Die beginnt für die DHB-Auswahl am Donnerstag in Trondheim/Norwegen mit dem Vorrundenspiel gegen die Niederlande (18.15 Uhr/ZDF); anschließend geht es gegen Titelverteidiger Spanien (Samstag, 18.15 Uhr/ARD) und Lettland (Montag, 18.15 Uhr/ZDF). Die besten Zwei der Gruppe kommen in die Hauptrunde, in der die deutsche Auswahl vom 16. Januar an wieder in der Wiener Stadthalle spielen würde. Ziel ist das Halbfinale, das ebenso wie das Endspiel in Stockholm ausgetragen wird.

Dorthin zu kommen, wird nicht einfach für die deutschen Handballer angesichts ihrer Verletztenmisere, ist aber auch nicht unmöglich, wie sie aus Erfahrung wissen. Vor vier Jahren hatten sie unter ähnlichen Umständen ja sogar den EM-Titel geholt. "Wir müssen wieder dieses Gefühl von 2016 schaffen", fordert Torhüter Wolff. Bitter findet: "Es wird erst einmal wichtig, gut in das Turnier zu starten und einen Flow zu entwickeln." Zumindest er ist ganz offensichtlich schon drin in diesem Flow.

© SZ vom 07.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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