Deutschland vor der Handball-EM:Ein Verlust, der wehtut

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Das wird nix: Patrick Groetzki (Mitte) wird von Bundestrainer Alfred Gislason (re.) und Sebastian Heymann getröstet. (Foto: Tilo Wiedensohler/camera4+/Imago)

Die deutschen Handballer ziehen nach zwei Erfolgen in den letzten Testspielen gegen Portugal zuversichtlich in die Heim-Europameisterschaft - wäre da nicht der Turnierausfall von Routinier Patrick Groetzki.

Von Ralf Tögel

Die 18. Spielminute im letzten Testspiel vor der Handball-Europameisterschaft im eigenen Land könnte noch enorm wichtig werden für die deutsche Nationalmannschaft. Denn in dieser 18. Spielminute der Partie gegen Portugal zeigte Torhüter Andreas Wolff eine Andreas-Wolff-Parade.

Der Zwei-Meter-Hüne klappte seine mächtigen Gliedmaßen in einer Mischung aus Habachtstellung und Yoga-Einbeinstand zu einem Gebilde zusammen, an dem für Portugals Rechtsaußen António Areia trotz akrobatischen Luftstands kein Vorbeikommen war. Auch fortan führte der deutsche Torhüter jene Aktionen vor, die für den Gastgeber des Kontinentalturniers unabdingbar sein werden, um nur in die Nähe des Halbfinales vorzustoßen. Dieses ist das offiziell postulierte Ziel der Auswahl, das auch Bundestrainer Alfred Gislason nach diesem Hoffnung spendenden 35:31-Erfolg am Samstagabend gegen die Portugiesen bestätigte. Er spannte allerdings eine Überschrift, aus der auch Vorsicht tönte: "Unser Traum", nannte Gislason das Vorhaben.

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Weniger traumhaft ist der Ausfall von Routinier Patrick Groetzki; für den erfahrensten Akteur im Team fand das Heimturnier ein Ende, bevor es begonnen hat: An der rechten Fußsohle des 34-Jährigen brach im letzten Test ohne Fremdeinwirkung eine alte Verletzung auf. Dass Hendrik Pekeler nicht dabei sein wird, war hingegen schon hinlänglich bekannt, der Abwehrchef wurde in seiner Heimhalle in Kiel vom Deutschen Handball Bund (DHB) nach dem Spiel verabschiedet. Der 32-Jährige hatte mit seinem Kieler Teamkollegen Patrick Wiencek, der seine Zeit im Nationalteam schon vorher beendet hatte, jahrelang den Innenblock und damit eine tragende Achse gebildet. Nun hinterließ er neben bewegenden Worten immerhin die Aussicht, Gislason im Falle ärgster Not für Olympia-Qualifikationsspiele zur Verfügung zu stehen.

Der Isländer hatte nach der ersten Testpartie in Flensburg noch Irritationen ausgelöst: Er hatte sich verwundert über diese Verabschiedung gezeigt, die ohne sein Wissen geplant worden sei. Ein Versehen, wie sich herausstellte - Gislason hatte es ob der Fülle an Informationen schlichtweg vergessen - und freute sich nun über Pekelers Ankündigung.

Auch über "ein paar Schritte nach vorn" im Spiel seiner Mannschaft war Gislason erfreut, denn der 34:33-Erfolg zwei Tage zuvor gegen denselben Gegner war doch recht zäh geraten. So nutzte der Bundestrainer das finale Vorbereitungsspiel bis zur letzten Sekunde, um Abläufe und Formationen zu testen. Im Ernstfall am kommenden Mittwoch vor mehr als 50 000 Zuschauern in Düsseldorf wird Gislason kaum so munter durchwechseln. Neben Torhüter-Routinier Wolff, der augenscheinlich gerade rechtzeitig seine EM-Form zu erreichen scheint - was dem Kollegen David Späth, 21, gegen die Portugiesen nicht gelingen wollte -, hat sich auch die Defensive im Gegensatz zum ersten Spiel in turniertauglicher Verfassung präsentiert.

Torhüter und Innenblock präsentierten sich in turniertauglicher Form, der Angriff ist selten ein Problem

Vor allem dem Innenblock um Kapitän Johannes Golla und Julian Köster darf man zutrauen, auch gegen Kontrahenten von größerer Qualität zu bestehen. Zudem hinterlegte deren Vertretung mit U21-Weltmeister Justus Fischer und Sebastian Heymann ebenfalls einen guten Eindruck. Auch Christoph Steinert und Jannik Kohlbacher, beide in den diversen Großturnieren jüngerer Vergangenheit gestählt, gaben dem Bundestrainer ein gutes Gefühl.

Dem Erlanger Steinert fällt nach dem Ausfall von Groetzki noch mehr Bedeutung zu, denn der 33-Jährige kann auf der rechten Halb- wie auf der Außenposition spielen. Ob Trainer Gislason nach den jüngsten Ausfällen noch einen Spieler nachnominieren wird, ließ er offen. Seine Auswahl besteht nach der vorzeitigen Abreise des ebenfalls verletzten Marian Michalczik nun aus 17 Akteuren, von denen pro Partie 16 eingesetzt werden dürfen. Die endgültige Formation muss am Tag vor dem Turnierstart am 10. Januar benannt werden. Allein für die Teamchemie wiegt der Verlust des allseits geschätzten Groetzki schwer, zumal der Routinier auch in der Partie gegen Portugal mit seinen Laufwegen viel Unordnung in der gegnerischen Abwehr verursacht hatte.

Torgefährlicher Spielmacher: Juri Knorr zeigt sich in starker Form. Vom Regisseur der deutschen Mannschaft wird bei der EM einiges abhängen. (Foto: Frank Molter/dpa)

Aber auch ohne Groetzki entsendet der DHB eine sehr begabte Mannschaft, vor allem die Offensive bereitete den Zuschauern schon in den Testspielen viel Freude. Der Angriff ist ohnehin selten ein Problem, auch der aktuelle Kader bietet eine interessante Mischung aus erfahrenen Kräften und juvenilen Nachrückern. Martin Hanne etwa, 22-jähriger Novize aus Hannover, verzückte das Publikum im ersten Spiel auf der halblinken Position mit flinken Aktionen, einer fast fehlerfreien Wurfquote und fünf Treffern. Im rechten Rückraum bekam Renars Uscins viel Einsatzzeit, auch Nils Lichtlein, ein Kollege Uscins aus der U21-Weltmeisterauswahl, durfte sich vorstellen. Deutlich erkennbar war das Bemühen des Nationaltrainers, vor dem Turnier alle Akteure auf Betriebstemperatur zu bekommen.

Dass die Formationen, die Gislason aufbot, meist von sehr jungem Zuschnitt waren, ist auch der Tatsache geschuldet, dass Spieler wie Köster und Juri Knorr zwar zu den erfahrenen Kräften zählen, aber beide erst 23 Jahre alt sind. Knorr gab gegen die Portugiesen den erhofft starken Regisseur, der sein herausragendes Spiel mit den Kreisläufern zeigte und selbst mit jeweils sechs Treffern gefährlichster Torschütze war. Selbst Kapitän Golla, gefühlt seit Jahrzehnten im Kader, hat im November erst seinen 26. Geburtstag gefeiert; Lukas Mertens, verlässlicher Vollstrecker auf Linksaußen ist 27. Und die biologisch reiferen Akteure wussten sich zuletzt ebenfalls gewinnbringend einzufügen: Neben Steinert überzeugte vor allem Kai Häfner. Der 34-Jährige hatte großen Anteil daran, dass der finale Test mit einem deutlichen Sieg und der damit erhofften atmosphärischen Anschubhilfe endete.

Denn auch unter diesem Eindruck ziehen die Deutschen in ihr Heim-Turnier: dass auf dem Weg zum erträumten Halbfinale ganz andere Kaliber warten.

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