Handball Champions League:Erst die Wunderheilung, dann die Krone

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Die größte Trophäe im internationalen Vereinshandball: Der SC Magdeburg gewinnt im Champions-League-Finale gegen Kielce mit 30:29. (Foto: Vitalii Kliuiev/Imago)

Der SC Magdeburg gewinnt im nächsten Krimi das Finale gegen Kielce und krönt die Saison mit dem Titel in der Königsklasse. Mitentscheidend ist das überraschende Mitwirken von Gisli Kristjansson, der sich tags zuvor die Schulter ausgekugelt hatte.

Von Ralf Tögel, Köln

Plötzlich kam Christian O'Sullivan aus dem Hinterhalt. Der Abwehrchef der Magdeburger Handballer hatte wegen der dritten Zeitstrafe in den Schlussminuten vorzeitig das Feld verlassen müssen, jetzt stand er zappelnd hinter dem Tor. Dann nahm er Anlauf und warf sich auf den grün-roten Spielerhaufen. Gerade hatte der Pole Szymon Sicko den letzten Wurf in die Mauer gehämmert, der 30:29-Sieg des SC Magdeburg war Geschichte, die Sachsen-Anhalter hatten zum vierten Mal in ihrer Klubgeschichte die größte Trophäe im internationalen Vereinshandball gewonnen.

Dieser Sieg im Finale der Champions League gegen den polnischen Serienmeister KC Kielce war der wohl am wenigsten erwartete, umso höher ist dieser Triumph einzuschätzen. Denn zum besten Spieler der Partie wurde Gisli Kristjansson gekürt, der nicht nur sechs Treffer zum Sieg beisteuerte, sondern sich am Vortag beim 40:39-Sieg gegen Barcelona im Siebenmeterschießen die Schulter ausgekugelt hatte.

Ein Mannschaftsarzt als MVP - also als wertvollster Spieler des Teams

Und dieses Mal hatte alles darauf gedeutet, dass sie ihn nicht hinbekommen würden. Trainer Bennet Wiegert hatte noch nach dem Halbfinale erklärt, dass man nach "einer Schulter-Luxation lange ausfällt, das muss ich niemandem erklären". Jetzt stand er in der Halle und konnte es "selbst nicht begreifen", Titelgewinn sowie das Mitwirken des Isländers seien "einfach unglaublich". Die medizinische Abteilung der Magdeburger hat in jüngerer Vergangenheit schon einige Glanzleistungen zustande gebracht, die fast an Wunderheilungen erinnerten. Aber die ausgekugelte Wurfarmschulter des Rückraumspielers innerhalb von 24 Stunden zu reparieren, war das klare Meisterstück - vorausgesetzt die vom Verein veröffentlichten Diagnosen entstammen nicht Grimms Märchenbuch. Was nicht der Fall ist, wie der Geplagte bestätigte: "Gestern stand ich hinter dem Tor und die Schulter war raus, ich wusste heute früh nicht, ob ich spielen kann." Am Morgen habe in irgendeiner Halle ein Belastungstest stattgefunden und irgendwie habe es geklappt: "Meine Schulter ist voll mit Schmerzmitteln, eigentlich ist unser Mannschaftsarzt der MVP".

Zum besten Spieler der Partie aber wurde Kristjansson gewählt, der ja ohnehin einigermaßen überraschend dabei war, nach seinem Knöchelbruch Anfang Mai: "Ich kann nur sagen, es hat sich alles gelohnt."

24 Stunden vor dem Finale stand Magdeburgs Gisli Kristjansson mit ausgekugelter Schulter in der Halle, nun wurde er zum besten Spieler des Finales gewählt. (Foto: Marius Becker/dpa)

Somit fehlte nun im finalen Saisonhöhepunkt angesichts des unkaputtbaren Isländers nur dessen Landsmann Omar Ingi Magnusson (Fersen-OP im Februar nach der WM), der Linkshänder war der beste Bundesligaspieler der Vorsaison. Diesen zu ersetzen, war für den Magdeburger Trainer angesichts stets wiederkehrenden Ausfälle eine leichte Übung - auch weil er weitere außergewöhnlichen Profis im Team hat. Spieler wie Kay Smits, der eigentlich als Backup von Magnusson vorgesehen war und mit acht Treffern bester Torschütze war. Smits hat die Lücke schnell ausgefüllt: "Er hat sich unglaublich entwickelt", sagte Wiegert nach dem Halbfinalkrimi gegen Barcelona, "jetzt haben wir zwei Weltklassespieler auf der Position." Kleiner Schönheitsfehler: Der Niederländer wechselt zur SG Flensburg-Handewitt.

Oder Michael Damgaard, eigentlich der zweite Mann auf Halblinks hinter Kristjansson. Auch Damgaard, seit 2015 in Diensten des SCM und zu Saisonbeginn vom Trainer lediglich mit Kurzeinsätzen bedacht, spielte erneut eine tragende Rolle. Der Däne funktionierte im linken Rückraum sozusagen aus dem Stand, avancierte auch im Finale mit sechs Treffern zu einem wichtigen Torschützen und ist das anarchische Element im Magdeburger Angriff. Der 33-Jährige ist schwer berechenbar, weil er aus allen Lagen und variantenreich den Torabschluss sucht, wobei ihm sein schneller Armzug und der harte Wurf dienlich sind. "Ich habe schon so viel erlebt in meinen Leben, das habe ich einfach aufs Feld mitgenommen", sagte Damgaard über seinen großen sportlichen Erfahrungsschatz, "ich war im Kopf völlig frei."

Kielces deutscher Torwart Andreas Wolff bringt Magdeburger zwischenzeitlich zur Verzweiflung

Natürlich blieb Kristjansson anfangs auf der Bank, dennoch war der SCM sofort im Spiel. Eine aggressive Abwehr, resultierende Ballgewinne, schnelle Konter, ein sicherer Nikola Portner im Tor - und es stand schnell 4:1. Aber Kielce fing sich bald, was zuvorderst an ihrem Torhüter lag: Andreas Wolff hatte schon beim 25:24-Halbfinalsieg gegen Paris St. Germain überragt, nun brachte der deutsche Nationaltorhüter die Magdeburger Schützen zur Verzweiflung, parierte reihenweise freie Würfe. Und da war ja noch der Spiritus Rector des polnischen Serienmeisters: Alex Dujshebaev. Der Wahl-Spanier ist nicht nur Dreh- und Angelpunkt im Spiel von Kielce, er war mit acht Toren auch gefährlichster Torschütze. Überhaupt ist diese Mannschaft eine Art Familienbetrieb, neben dem überragenden Linkshänder spielt Bruder Daniel im linken Rückraum und Vater Talant, ehemals einer der weltbesten Spielmacher, ist Kielces Trainer.

Filius Alex führte die Polen zu einer 15:13-Halbzeitführung, lange wirkten die Polen souverän, aber Magdeburg hat sich in dieser Saison eine große Wettkampfhärte angeeignet und kam in den Schlussminuten immer besser ins Spiel. "Wir sind solche engen Phasen, in denen das spiel hektisch wird und Details entscheiden, mittlerweile gewohnt", erklärte Smits mit der riesigen Trophäe in der Hand.

Finale überschattet: Journalist stirbt nach Zusammenbruch auf Pressetribüne

In der Schlussphase wurde das Spiel zu einem typischen Magdeburg-Krimi: Kielce lag vorn, aber Damgaard glich zum 26:26 aus: Verlängerung. Nun war jedem einzelnen Magdeburger Spieler der unbedingte Wille anzusehen, diesen Titel zu holen, die Rot-Grünen kämpften in der Abwehr verbissen um jeden Ball - und wehrte mit vereinten Kräften den letzten Wurf ab.

Überschattet wurde das Finale von einem Todesfall: Mitte der zweiten Halbzeit sackte ein Journalist auf der Pressetribüne zusammen und musste aus der Halle transportiert werden, das Spiel wurde minutenlang unterbrochen. Der europäische Verband EHF teilte nach dem Spiel mit, dass der Pole gestorben ist, die Pressekonferenzen wurden abgesagt, beide Teams hielten eine Schweigeminute ab.

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