Handball Champions League:Hechtsprung ins Finale

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Jetzt ist die Saison endgültig beendet: Magdeburgs Gisli Kristjansson verletzte sich im Champions-League-Halbfinale schwer an der Schulter. (Foto: Marco Wolf/Imago)

Der SC Magdeburg bezwingt in einer intensiven und nervenaufreibenden Partie den Titelverteidiger und großen Favoriten Barcelona 40:39 nach Siebenmeterwerfen und steht im Finale. Dort wartet Kielce - mit dem deutschen Nationaltorhüter Andreas Wolff.

Von Ralf Tögel, Köln

Bennet Wiegert schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Nach einem bangen Blick auf das Spielfeld sank er auf seinen Trainerstuhl am Spielfeldrand und blickte ins Nichts. In der Kölner Lanxess Arena lag Gisli Kristjansson auf dem Boden, eine Traube an Spielern und Sanitätern um ihn herum, jeder wusste, es ist etwas Schlimmes passiert. Der Isländer war gerade rechtzeitig zum Champions-League-Finale wieder fit geworden, was ohnehin wie ein medizinisches Wunder anmutete. Anfang Mai hatte er sich im Viertelfinale der Königsklasse beim polnischen Vertreter Plock den Knöchel gebrochen. Nun stürmte er im Halbfinale gegen den großen FC Barcelona mit Wucht in die gegnerischen Abwehrreihen - als wäre nichts gewesen. Dort allerdings nahmen ihn der französische Olympiasieger Ludovic Fabregas und der brasilianische Nationalspieler Thiagus Petrus in Empfang, zwei Abwehrspezialisten im Wandschrankformat. Fabregas konnte Kristjansson mit seinem ersten blitzschnellen Schritt noch überlaufen, dann knallte er in den zu Hilfe eilenden Petrus. Es war kein schlimmes Foul, eines, das auf diesem Niveau zum Spiel gehört, aber eines mit bösen Folgen. Der Isländer kugelte sich die Schulter am Wurfarm aus, wird lange fehlen: "Was eine Schulter-Luxation für einen Handballer bedeutet, muss ich niemandem erklären. Ich rechne mit einer langen Ausfallzeit", erklärte Wiegert.

"Was eine Schulter-Luxation für einen Handballer bedeutet, muss ich niemand erklären": Die Verletzung Kristjansson schmälerte die Freude von Magdeburgs Trainer Wiegert empfindlich. (Foto: Franziska Gora/Jan Huebner/Imago)

Folglich auch im Finale am Sonntag, denn die Magdeburger schafften das nicht für möglich Gehaltene und warfen den großen Favoriten aus Spanien mit 40:39 nach Verlängerung und Siebenmeterwerfen aus dem Rennen. Im Finale wartet der polnische Serienmeister Kielce, der dank eines starken deutschen Nationaltorhüters Andreas Wolff den französischen Serienmeister Paris St. Germain mit 25:24 bezwang.

Bennet Wiegert muss dann einmal mehr auf einen seiner Besten verzichten, es war ein weiteres Déjà-vu-Erlebnis der schlimmsten Sorte für den SCM-Trainer. Erst kehrte Magdeburgs bester Torschütze, der vergangene Saison auch zum besten Spieler gewählt worden war, Omar Ingi Magnusson, mit einer Fersenverletzung von der WM in Polen und Schweden zurück - Saison im Februar beendet. Kurz darauf verletzte sich der dänische Weltmeister-Kreisläufer Magnus Saugstrup - Rückkehr fraglich. Dann verletzte sich Philipp Weber, dann Kristjansson und schließlich im Pokal-Final-Four der schwedische Kreisläufer Oscar Bergendahl. Das kostete in Summe die Meisterschaft - Titelverteidiger Magdeburg kam zwei Pünktchen hinter dem neuen Titelträger THW Kiel ins Ziel - und den Pokal. Da zog der SCM gegen die Rhein-Neckar-Löwen den Kürzeren, nach Verlängerung und Siebenmeterwerfen.

Spieler aus der zweiten Reihe wie Smits und Damgaard waren zur Stelle, als sie gebraucht wurden

Doch dieses Mal, in der Königsklasse, hielten die Nerven - trotz aller Rückschläge. Lange schien es zwar in einer hochklassigen und intensiven Partie, als sei der große Favorit einen Tick abgeklärter, die Katalanen haben unzählige dieser Schlachten geschlagen. Aber Magdeburg hielt dagegen: "Wir haben in der ersten Halbzeit gemerkt, dass wir nicht schlechter sind, dann haben wir die Chance verpasst, es früher zu beenden", analysierte Wiegert. In der Tat, nach dem 16:18 zur Pause legte der SCM in der zweiten Halbzeit meist vor, verpasste aber die Vorentscheidung. Und hatte Glück, dass Kay Smits, einmal mehr bester Torschütze mit 12 Treffern, zum 31:31- Ausgleich nach der regulären Spielzeit traf. Und Michael Damgaard im Hechtsprung einen Wurf aufs Tor in letzter Sekunde für seinen Torhüter abfing, der wegen eines zusätzlichen Feldspielers auf der Bank war und nicht rechtzeitig zurückeilen konnte.

Es sind Spieler wie Smits und Damgaard, die den SCM in der Endphase der Saison tragen, eigentlich Akteure aus der zweiten Reihe, die plötzlich gefordert waren und auf Weltklasseniveau lieferten. In der Verlängerung sahen die Magdeburger erst wie die Sieger aus, dieses Mal glich Barcelonas bester Werfer Timothey N'Guessan (neun Tore) zum 38:38 aus. Im Siebenmeterwerfen schließlich waren die Magdeburger Torhüter Mike Jensen und Nikola Portner, die sich abwechselten, nur einmal zu bezwingen. Für den SCM trafen Smits und Tim Hornke.

Beim FC Barcelona schlägt der Sparkurs durch

Für die Katalanen hingegen könnte diese Niederlage das Ende einer Ära bedeuten. Barca war klarer Favorit, beherrscht seit mehr als einem Jahrzehnt den nationalen Betrieb, wollte seinen zwölften Königsklassentitel holen und zum dritten Mal in Folge in Köln triumphieren - alles selbstredend Rekordmarken. In den kommenden Jahren hingegen wird der seit geraumer Zeit laufende Sparkurs spürbar bei den Handballern durchschlagen. Der Verein hat nicht nur exorbitant teure Fußballer, traditionell legen die Katalanen viel Wert auf eine große Spartenvielfalt. Vor allem aber im Basketball und Handball leistet sich der Verein neben den Fußballern Auswahlen, die zur europäischen Spitze zählen.

Legte die Handball-Abteilung bis zu den 90er-Jahren noch großen Wert auf spanische Talente - idealer Weise Eigengewächse aus Katalonien - entwickelte sich der Klub auch dank großzügiger Finanzierung zum Maß aller Dinge im Vereinshandball. Der FC Barcelona nämlich bezahlt alle Sparten aus einem Topf, da fiel angesichts der schwer defizitären Fußballer ein Minus von zuletzt knapp sieben Millionen Euro bei den Handballern nicht sonderlich stark ins Gewicht - bisher.

Für die kommende Saison allerdings sind starke Einbußen angekündigt, im Verein und dessen Umfeld nimmt die Debatte, ob man die teuren Unterabteilungen nicht besser ganz eindampft, an Schärfe zu.

So weit freilich wird es nicht kommen, aber der Sparkurs zeitigt bereits erste gravierende Änderungen im Kader: Der französische Olympiasieger Fabregas wechselt zum finanziell potenten ungarischen Champions-League-Konkurrenten Veszprem. Auch der kroatische Spielmacher Luka Cindric wird wohl gehen. Ersetzt werden derlei Schlüsselspieler nicht wie üblich durch international erfahrene Akteure, sondern durch spanische Talente. Barca findet also erstmals seit Jahren und notgedrungen auf seinen ursprünglichen Weg zurück. Die erdrückende Dominanz im nationalen Spielbetrieb wird wohl weiter bestehen, in der Königsklasse wird sich das angesichts der Konkurrenz aus Deutschland, Polen, Ungarn und Dänemark ändern.

Am Sonntag werden alle Barca-Stars noch einmal zu bewundern sein in der ausverkauften Lanxess-Arena in der Champions League - im Spiel um Platz drei.

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