THW Kiel in der Handball-Bundesliga:Die großen Spieler bereiten ihr Abschiedsgeschenk vor

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Kiels Sander Sagosen (Mitte) war in der Schlussphase von den Löwen Lukas Nilsson (li.) und Jannik Kohlbacher nicht zu stoppen. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Berlin patzt, Kiel siegt: Im Kampf um die Meisterschaft fällt die Vorentscheidung, weil Spieler wie Niklas Landin und Sander Sagosen im richtigen Moment ihre Klasse beweisen. Führen sie den THW sogar zu internationalem Ruhm?

Von Ralf Tögel

Jaron Siewert war sich der Bedeutung des Moments bewusst. Zu wenige Emotionen habe seine Mannschaft gezeigt, sagte der Trainer der Füchse Berlin, in so einem Spiel müsse man "von innen brennen". Besagte Partie fand beim TVB Stuttgart statt, die Berliner unterlagen mit 28:32 Toren, gegen eine Mannschaft, die sich mit dieser Überraschung der letzten Abstiegssorgen entledigte. Ein Gegner also, der für einen Klub mit dem Anspruch auf die deutsche Meisterschaft keine unüberwindbare Hürde sein sollte.

"Natürlich ist das jetzt ein herber Rückschlag. Besonders im Meisterschaftsrennen und um die Champions-League-Plätze genauso. Da waren das sicherlich unnötige Punkte", sprach der Berliner Trainer in das Sky-Mikrofon, sichtlich geknickt.

Denn die härtesten Konkurrenten im Meisterschaftrennen haben nicht gepatzt: Der THW Kiel gewann seine deutlich schwerere Auswärtspartie beim Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen mit der Souveränität eines Titelfavoriten 31:27, Meister Magdeburg erteilte dem HC Erlangen in dessen Halle eine 38:23-Lektion. Die Füchse rutschten wegen ihres Aussetzers auf den dritten Platz ab, haben bei sechs ausstehenden Partien und 43:11 Zählern zwei Minuspunkte mehr als Primus Kiel (45:9). Zweiter ist jetzt Magdeburg (45:11), und selbst die SG Flensburg-Handewitt (43:13) ist wieder in Reichweite, zumal die Nordlichter in Berlin noch auf die Füchse treffen.

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Entschieden ist folglich noch nichts, auch weil in dieser Liga jedes Mittelfeldteam in der Lage ist, an einem guten Tag einen Favoriten zu düpieren. Jüngstes Beispiel ist die Berliner Niederlage, aber auch alle anderen Vertreter dieser fünfköpfigen Spitzengruppe mussten schon überraschende Niederlagen einstecken.

Gleichwohl könnte dieser 28. Spieltag als derjenige in die Bundesliga-Geschichte eingehen, an dem sich die Meisterschaft 2022/23 entschieden hat. Denn die Berliner wirken angezählt, kein Akteur wusste so recht eine Erklärung für die Fehlleistung im Württembergischen zu liefern. Sicher steckte den Profis die schwere Verletzung ihres Kapitäns in den Hinterköpfen: Paul Drux hatte sich im vorletzten Spiel des EHF Euro Cups gegen Schweden, jenem Vorbereitungsturnier für die bereits für die kommende Heim-EM im Januar qualifizierten Mannschaften, die Achillessehne gerissen. Als Ausrede kann dieser Verlust allerdings schwerlich dienen in einem so hochkarätig besetzten Kader.

Knackpunkt war die rote Karte für Torhüter Wiktor Kirejew in der elften Minute, der russische Nationaltorhüter war zu weit aus seinem Tor gerannt und heftig mit Stuttgarts Daniel Fernández zusammengestoßen. Zu diesem Zeitpunkt führte Berlin 9:3. Weil auch Stammtorhüter Dejan Milosavljev verletzt ist, musste U-21-Nationalspieler Lasse Ludwig ins Füchse-Tor. Dem allerdings ist das Ergebnis nicht anzulasten, vielmehr verloren die Berliner kollektiv den Faden und brachen nach dem 14:14-Halbzeitstand auseinander. Spieler wie die dänischen Weltmeister Mathias Gidsel, Hans Lindberg, Jacob Holm und der schwedische Europameister Max Darj übertrafen sich im Auslassen bester Chancen, Fehler reihte sich an Fehler.

Was war denn das? Der dänische Weltmeister Mathias Gidsel war am Boden nach der Niederlage in Stuttgart. (Foto: Oliver Schmidt/Eibner/Imago)

Auch wenn sich die Mannschaft schnell wieder finden sollte, wie Trainer Siewert versprach, ist eine Vorentscheidung im Kampf um den Titel gefallen. Denn der THW Kiel spielt seit Wochen in meisterlicher Form, auch der Sieg in Mannheim war Beleg der momentanen Stärke des zuletzt entthronten Serienmeisters. Dabei kommt den Kielern ihre enorme Breite im Kader zugute: Waren es in der ersten Hälfte Miha Zarabec und Harald Reinkind, die nach ausgeglichenem Beginn maßgeblich den 15:11-Halbzeitstand verantworteten, waren es in der Schlussphase Sander Sagosen und Nikola Bilyk, die mit ihren Treffern den Sieg sicherten. Und dann hat der THW ja noch Niklas Landin zwischen den Pfosten: Der 34-jährige Weltmeister war in Mannheim immer dann zur Stelle, wenn die Löwen gefährlich nahe kamen - das ist die besondere Qualität des zweimaligen Welthandballers.

Berlin steht im Final Four der European League, Kiel und Magdeburg im Viertelfinale der Champions League

Landin erstickte jede aufkeimende Hoffnung der Gastgeber mit seinen Paraden. Kiel stellt zudem die wohl beste Abwehr der Liga, mit dem Innenblock Patrick Wiencek und Hendrik Pekeler, der jahrelang das Herzstück der deutschen Nationalmannschaft war. Und so waren es einmal mehr die großen Spieler, die im richtigen Moment die Akzente setzten. Spieler wie Zarabec, Landin oder Sagosen, die allerdings den THW zum Saisonende verlassen werden. Zarabec wird zum polnischen Champions-League-Verein Wisla Plock gehen, Landin und Sagosen schließen sich finanzstarken Projekten in der Heimat an: Sagosen kehrt nach drei Spielzeiten in Kiel zu seinem Heimatverein Kolstad in Norwegen zurück, Landin geht zum dänischen Serienmeister Aalborg, wo er in Mikkel Hansen auf einen weiteren Welthandballer trifft. Der Verlust des Torhüters dürfte für den THW besonders schwer wiegen. Immerhin hat sich Kiel die Dienste des französischen Nationalkeepers Vincent Gérard für die kommende Saison gesichert.

Für die Möglichkeit, dass der Olympiasieger Gérard zum neuen Meister wechseln wird, spricht auch das Restprogramm der Kieler, deren Partie bei den Rhein-Neckar Löwen die letzte gegen eines der fünf Topteams war. Magdeburg, Berlin und Flensburg hingegen werden sich noch gegenseitig Punkte wegnehmen.

Immerhin haben sowohl Magdeburg als auch Berlin noch die Chance, einen internationalen Titel zu gewinnen. Die Füchse stehen im Final Four der European League am letzten Mai-Wochenende, Magdeburg spielt kommenden Mittwoch (Rückspiel 17. Mai) gegen den polnischen Tabellenführer Wisla Plock um den Einzug ins Finalturnier der Champions League. Das wollen im Übrigen auch die Kieler erreichen, die allerdings gegen Paris Saint-Germain die ungleich schwerere Aufgabe haben. In ihrer momentanen Verfassung ist ihnen auch das Weiterkommen zuzutrauen. Denn was gäbe es Größeres für die großen Spieler, als ihrem Klub zum Abschied auch noch die kontinentale Krone zu schenken?

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