Maik Machulla wirkte ratlos. Das war in den vergangenen Tagen meist der Fall, wenn er vor die Kameras trat und die Leistung seiner Mannschaft zu erklären versuchte. Er sprach dann von technischen Fehlern, vergebenen Torchancen, unerklärlichen Aussetzern einzelner Spieler. Wie auch ist ein Pass seines isländischen Nationalspielers Teitur Einarsson in die Hände des vor ihm stehenden Gegners zu erklären, der dann alleine auf das Tor zustürmen kann?
Es blieb der Eindruck, dass es auch dem Trainer der SG Flensburg-Handewitt ein Rätsel war, was seine Mannschaft da in den vergangenen Tagen zusammenspielte. Eine Mannschaft, die nach durchwachsenem Start so bravourös durch die Saison gestürmt war. 21 Spiele war Flensburg wettbewerbsübergreifend ungeschlagen geblieben, diese Serie legte das Team wohlgemerkt in der weltbesten Liga und dem zweithöchsten europäischen Wettbewerb hin. Und diese Serie legte den Verantwortlichen nahe, dass in dieser Saison wieder etwas Großes möglich sein könnte, nachdem der Champions-League-Sieger von 2014 und deutsche Meister der Jahre 2018 und 2019 (unter Machulla) seither vergeblich einem Titel hinterhergerannt war.
Doch die berechtigten Hoffnungen wurden innerhalb von nur neun Tagen zunichte gemacht. Dem Pokal-Aus im Halbfinale vor Wochenfrist folgte drei Tage später das Aus im Viertelfinale der EHF European League, und vergangenen Sonntag nun verabschiedete sich Flensburg mit der 19:29-Klatsche beim THW Kiel aus dem Kampf um die deutsche Meisterschaft. Letztere ist bei vier Punkten Rückstand auf die punktgleichen Tabellenführer Kiel und Berlin bei acht ausstehenden Partien natürlich rechnerisch machbar. Angesichts der gezeigten Leistungen der SG und denen der Konkurrenz fehlte den Verantwortlichen aber die Fantasie, wie Machulla die Abwärtsspirale stoppen will. Was in der für die Flensburger eher untypischen, im Leistungssport aber gängigen Reaktion endete: Machulla wurde am Montag von seinen Aufgaben freigestellt.
Die Vereinsführung sah unter Trainer Machulla sogar das internationale Geschäft in Gefahr
"Wir haben uns intensiv mit der Situation und dem Auftreten der Mannschaft auseinandergesetzt und sind zu dem Entschluss gekommen, dass wir jetzt einen neuen Impuls setzen müssen. Es gilt jetzt, in den verbleibenden acht Spielen die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb abzusichern", teilte Geschäftsführer Holger Glandorf mit. Offenbar sah die Vereinsleitung um Beiratschef Boy Meesenburg sogar das internationale Geschäft ernsthaft in Gefahr. Nun übernimmt Co-Trainer Mark Bult. Der 40-jährige ehemalige niederländische Nationalspieler war zuletzt für die SG aktiv und seit 2017 Machullas Assistent.
Aber wie konnte es angesichts eines Kaders, der sich wie eine skandinavische Auswahl von dänischen, schwedischen und norwegischen Nationalspielern liest und von Kapitän Johannes Golla angeführt wird, der bekanntlich auch Spielführer der deutschen Nationalmannschaft ist, so weit kommen? Zumal nichts auf einen derartigen Einbruch hindeutete.
Rückblende.
Angesichts jener beeindruckenden Serie, mit der die Flensburger zum Pokal-Final-Four in die Kölner Lanxess-Arena gereist waren, hatten sie sich gegen angeknockte Rhein-Neckar Löwen, die ihrerseits in der Bundesliga viermal nacheinander verloren hatten, höchstselbst in den Favoritenstatus gehievt. Das Vorhaben war klar und von nicht wenigen Fachleuten auch erwartet worden: Gleich die erste Gelegenheit zu einem Titelgewinn nutzen! Stattdessen begann für die Flensburger eine weniger schöne Serie, dem Pokal-Aus folgte eine Heimpleite in der European League gegen den spanischen Vertreter BM Granollers und zuletzt die Demütigung im Nordderby. Gerade das internationale Scheitern war "ein riesiger Imageschaden" für den Verein, wie Geschäftsführer Glandorf befand, denn die SG hatte den Zuschlag für die Ausrichtung des Final Four vom europäischen Verband EHF erhalten. Und nach dem 31:30-Sieg im Hinspiel in Katalonien schien die Teilnahme an der Endrunde Formsache zu sein.

Doch da hatten sich bereits die Zweifel an der eigenen Stärke in die Spielerköpfe gegraben, dem Pokal-Aus folgte der zweite unerklärliche Auftritt gegen nominell klar schwächere Spanier. Die Abwehr fand nie Zugriff, die Torhüter agierten schwach, beste Chancen wurden versiebt. "Man sieht, dass wir den Kopf sehr schnell hängen lassen und den Glauben an unser Spiel verlieren", stellte Spielmacher Jim Gottfridsson konsterniert fest. Ein Offenbarungseid.
Dabei kann der schwedische Europameister beispielhaft für die Ursachen der Misere stehen. Der 30-Jährige hatte sich bei der Weltmeisterschaft Ende Januar die linke Hand gebrochen, kehrte Anfang April ins Team zurück und läuft seither seiner WM-Form hinterher. Weil sich nahezu der komplette Kader aus Nationalspielern zusammensetzt, steht die gesamte Mannschaft seit Saisonbeginn praktisch ohne jede Pause in einem Spielbetrieb, der angesichts der drei Wettbewerbe ständig englische Wochen bereithält. Diese brutalen Belastungen kumulierten in besagten zwei K.-o.-Spielen und dem Derby in Kiel, zudem musste im Pokal noch die Partie um den dritten Platz gespielt werden: Vier Spiele in neun Tagen, das sind Anforderungen wie bei einer Weltmeisterschaft. Aber Handball ist Ergebnissport, daran hatte Maik Machulla schon nach dem Pokal-Aus in Köln erinnert.
Letztlich zollten die Spieler dieser Mischung aus Erwartungshaltung, Belastung und Erschöpfung Tribut, gleichwohl kann ein Verein, der seinerseits wirtschaftlichem Druck unterliegt, darauf keine Rücksicht nehmen - zumal es der Konkurrenz kein bisschen besser ergeht.
Er sei froh, dass die Spieler nun in der Länderspielpause die Köpfe frei kriegen und bei ihren Nationalteams auf andere Gedanken kommen, sagte Machulla sichtlich ratlos auf dem Kieler Spielfeld. Es waren seine letzten Worte als Trainer der SG Flensburg-Handewitt.