Handball:Stimmungstest in Mittelhessen

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Noch nicht angekommen: Erlangens Schwede Jonathan Svensson konnte bisher zu selten seine Klasse beweisen. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink/Imago)

Der Erstligist HC Erlangen ist trotz eines verstärkten Kaders auf den drittletzten Platz abgerutscht. Die Integration der Neuen läuft schleppend, das Spiel ist fehlerhaft. Noch bleibt die Klubführung gelassen, ein Sieg bei der HSG Wetzlar würde Ruhe bringen.

Von Ralf Tögel

Der kommende Donnerstag wird für das Stimmungsbild der Erlanger Handballer ein prägender Termin. "Wir sind in einer gefährlichen Lage", sagt Hartmut Mayerhoffer. "Wenn wir verlieren, wäre das erst mal blöd", sagt Carsten Bissel. Trainer und Aufsichtsratsvorsitzender des Handball-Bundesligisten HC Erlangen wissen natürlich um die Bedeutung der Auswärtspartie bei der HSG Wetzlar, spätestens der Blick auf die Tabelle dürfte diese Einschätzung unterstreichen. Da stehen die Mittelfranken nämlich knapp über dem roten Bereich. Erlangen ist Drittletzter mit 6:14 Punkten, die Abstiegsplätze belegen der TBV Lemgo und Balingen-Weilstetten, beide haben aber nur ein Pünktchen weniger als die Erlanger.

Das entspricht sicher nicht den Vorstellungen des ambitionierten bayerischen Erstliga-Vertreters, der seinen Kader ja nicht nur zusammengehalten, sondern auch noch verstärkt hat. Eigentlich rangeln die Erlanger immer um einen einstelligen Tabellenplatz, das Thema Klassenerhalt war in den vergangenen Spielzeiten entweder ein untergeordnetes oder frühzeitig erledigt. Nun aber würde eine weitere Niederlage dem Personal den nächsten Stimmungsdämpfer versetzen, auch noch vor der Länderspielpause, die sich für den HCE wegen des verlegten Heimspiels gegen Champions-League-Sieger Magdeburg auf drei Wochen erstreckt: viel Zeit zum Grübeln. Ein Erfolg allerdings würde die Franken in diesem äußerst kompakten Mittelfeld sogleich ein ordentliches Stück nach oben befördern und Schwung für die Arbeit an der Feinabstimmung geben. Die Erlanger haben es also selbst in der Hand, die Gefahr einer Abwärtsspirale abzuwenden und Selbstvertrauen zu tanken.

So ganz aus dem Nichts kommt der holprige Saisonstart indes nicht, schließlich wirkt in Hartmut Mayerhoffer ein neuer Trainer an neuralgischer Position. Für ihn gilt es im neuen Umfeld vier Zugänge zu integrieren - was erfahrungsgemäß Zeit einfordert. Die aber ist in dieser exponierten Liga Mangelware, zumal sich das Feld nicht nur am oberen Ende weiter verdichtet hat. Gibt es mittlerweile fünf, sechs Vereine, die für den Titel infrage kommen, haben auch die vermeintlich schwächeren Teams signifikant aufgeholt. Beispielhaft sei der TVB Stuttgart genannt, der ähnlich wie Erlangen im Mittelfeld einzuschätzen ist, in Kai Häfner und Torhüter Silvio Heinevetter aber zwei routinierte Nationalspieler in seinen Reihen weiß - beide sicher keine günstigen Verpflichtungen. Donnerstagsgegner Wetzlar ist zwar ebenfalls nicht unter den Spitzenklubs gelistet, hat aber insgesamt sechs Auswahlspieler aus Slowenien, Montenegro, Norwegen und Schweden im Team, davon in Anadin Suljakovic (Katar) und Till Klimpke (Deutschland) ein starkes Torhüterduo. Der Erlanger Stimmungstest in Mittelhessen ist also alles andere als ein Selbstläufer.

Die Probleme der Erlanger liegen in der Offensive: Die Fehlerquote ist zu hoch, die Wurfeffizienz zu niedrig

Zwar hat der HCE in Christoph Steinert (Tim Zechel wurde nicht nominiert) sowie dem slowenischen Torhüter Klemen Ferlin und Jonathan Svensson (schwedische B-Auswahl) drei international aktive Spieler, doch gerade Steinert und Svensson stehen exemplarisch für den Zustand der Mannschaft. Steinert war bei der WM in Polen und Schweden im Januar noch einer der besten deutschen Spieler, läuft aber nach einer langwierigen Verletzung seiner "Form der vergangenen beiden Jahren hinterher", wie er selbst sagt. Svensson kam vom schwedischen Erstligisten Ystadt, war auch in der European League ein verlässlicher Torschütze aus dem Rückraum. Die Bundesliga aber ist die größtmögliche Prüfung. Bisher bleibt der wuchtige Rechtshänder bis auf seinen starken Auftritt bei der Pokalniederlage gegen die Füchse Berlin den Beweis seiner Klasse schuldig. Auch für Mayerhoffer eine überraschende Erkenntnis: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Neulinge in der Bundesliga einige Zeit brauchen." Das gilt auch für den dänischen Rechtsaußen Mads-Peter Lonborg (Kolding). Der spanische Welt- und Europameister Gedeon Guardiola (aus Lemgo) kennt die Bundesliga zwar seit elf Jahren, im Erlanger Kader fremdelt der als Abwehrchef geholte Routinier dennoch.

Läuft noch nicht: Trainer Hartmut Mayerhoffer hadert mit dem Spiel seiner Mannschaft. (Foto: Daniel Marr/Sportfoto Zink/Imago)

Der 39-Jährige bekommt überschaubare Spielanteile, was auch daran liegt, dass die Abwehr des HCE der am besten funktionierende Mannschaftsteil ist: Nikolai Link spielt derzeit in überragender Form und harmoniert im Innenblock besonders gut mit Sebastian Firnhaber. Die Probleme der Erlanger sind in der Offensive zu suchen: "Unsere Fehlerquote ist viel zu hoch und unsere Wurfeffizienz viel zu niedrig", erklärt Mayerhoffer.

Die Verantwortlichen immerhin werden dem neuen Trainer die nötige Zeit zugestehen, zumal der Klub noch nie mit panischen Reaktionen auffällig geworden ist. HCE-Boss Bissel jedenfalls will von aufkommender Nervosität nichts wissen: "Nervös werde ich dann, wenn ich eine Situation nicht einschätzen kann." Was nicht der Fall sei, denn zum einen weiß Bissel, dass der Prozess der Integration neuer Spieler Geduld erfordert. Zum anderen sei der schlechte Tabellenstand ein Stück weit dem Spielplan geschuldet. Erlangen musste zuletzt gegen Pokalsieger Rhein-Neckar Löwen, Primus Berlin, die wieder erstarkten Melsunger sowie Flensburg-Handewitt ran, allesamt Topteams. Mayerhoffer hatte im Übrigen mit der Kaderzusammenstellung nichts zu tun, worüber er auch gar nicht nachdenken will: "Es fehlt an Kleinigkeiten und Konstanz", sagt der 54-Jährige, und: "Ein Sieg in Wetzlar wäre in dieser Phase hilfreich."

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