Wenn sich alle Trainer des Hamburger SV in einer Reihe aufstellen würden, stünde Ernst Happel natürlich ganz vorn. Mit ein bisschen Abstand würden Branko Zebec, Kuno Klötzer und Günter Mahlmann folgen, sie alle haben in Hamburg einen schicken Nachlass dagelassen, den man sich in ein gut sortiertes Klubmuseum stellen kann. Doch danach wird's ein bisschen wild: Einige weitere große Namen stehen in dieser Reihe, die blöderweise alle denselben Makel mitschleppen. Sie haben ihre Namen und den HSV ein wenig kleiner gemacht, wenngleich nie geklärt werden konnte, wer da jetzt eigentlich Schuld dran war - waren es sie selbst oder der HSV?
Irgendwo am Ende dieser Reihe ist nun ein Mann aufgetaucht, der fast so grimmig schauen kann wie Ernst Happel, dessen Markenzeichen aber keine Zigarette im Mund, sondern eine Schiebermütze auf dem Kopf ist. Man kann das schon so sagen: Der Trainer Steffen Baumgart ist nach Hamburg gekommen, um sich ein wenig vorzudrängeln. In der verwirrend langen Reihe tauchen Meister- und Europapokalsiegertrainer auf, darunter einige Herrschaften, die noch Übungsleiter genannt wurden. Einen Aufstiegstrainer hat der HSV aber noch nie gehabt. Und den hat es lange auch gar nicht gebraucht, weil sich der HSV und die zweite Liga nur vom Hörensagen kannten und keiner der beiden vorhatte, daraus eine mindestens sechsjährige Zwangsehe zu machen.
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Steffen Baumgart, 52, will also schaffen, was vor ihm keiner geschafft hat. Es wirkte ein bisschen wie eine Heimkehr, als er am Dienstag neben dem Hamburger Sportvorstand Jonas Boldt vorn auf dem Podium saß, weil Baumgart genau die Sätze sagte, die sich das Auditorium und die Hamburger Fans von ihm erhofft hatten: Baumgart sprach von einem "Traum", den HSV coachen zu dürfen - und bestätigte damit, was ohnehin alle wissen. Als Kind hatte er die Hamburger stets angefeuert, später hat er als Profistürmer vergebens auf ein Angebot gewartet, das jetzt in seiner Rolle als Trainer doch endlich eintraf.
Das klang geradezu herzerwärmend, aber mit Sentimentalitäten hat diese Arbeitsgemeinschaft in erster Linie natürlich nichts zu tun. "Der Aufstieg ist der Grund, warum ich hier bin", sagte Baumgart in seiner berüchtigten Bestimmtheit. Dabei wusste er in diesem Moment wahrscheinlich ganz genau: Wenn er es schafft, diesen Arbeitsauftrag zu erfüllen, dürfte sich Ende Mai eine ziemlich sentimentale Aufstiegsfeier am Hamburger Rathaus kaum vermeiden lassen.
Der HSV wäre nicht der HSV, wenn diese Trainerpersonalie unfallfrei eingefädelt worden wäre.
Was emotional zusammenpasst, ergibt aber auch unter weiteren Gesichtspunkten Sinn. Ein Blick ins Archiv beweist, dass Baumgart ein doppelter Aufstiegstrainer ist, weil er den SC Paderborn von der dritten in die zweite Liga und dann direkt weiter in die Erstklassigkeit gecoacht hat. Dem Archiv lässt sich außerdem entnehmen, dass Baumgart in seinen zweieinhalb sehr erfolgreichen Jahren beim 1. FC Köln gezeigt hat, dass er Traditionsklub kann. Das ist eine unersetzliche Kernkompetenz, die sich an keiner Akademie lernen lässt - und die in Hamburg in einer fast schon gemeinen Frequenz abgefragt wird, weil sich dort immer wieder kleine bis mittelgroße Unwägbarkeiten in den Alltag schleichen, die sich zu riesengroßen Betriebsunfällen auswachsen können.
Wahrscheinlich sieht es ja deshalb so aus, als gäbe es in der Hamburger Klubsatzung einen versteckten Paragrafen, der festlegt, dass dieser komplizierte Traditionsverein nur Erfolg haben darf, wenn er von harten Burschen trainiert wird. Auch Baumgarts Vorgänger Tim Walter war eher rustikal, nur war er mitunter fußballideologisch motiviert und deshalb auf Dauer unbelehrbar. Natürlich weiß auch der neue Coach um die Risiken und Nebenwirkungen, die in dieser Aufgabe stecken, aber er sieht auch ihr Potenzial: Der Kader ist theoretisch hervorragend durchkomponiert und für Baumgart "einer der klar besten" in der zweiten Liga. In der Praxis hat dieser Kader schon einige hervorragende Fußballspiele abgeliefert, die in der Rückschau allerdings deutlich besser aussehen würden, wenn zwischen ihnen nicht so einige konfuse Auftritte gewesen wären. Der ebenfalls vor allem nach vorn denkende Baumgart will Walters Nachlass nicht einreißen, sondern um ein wichtiges Detail ergänzen: Er will in schöner Regelmäßigkeit ein Tor mehr schießen als der Gegner - ein nicht allzu geheimes Erfolgsgeheimnis, das in Tim Walters Schlussmonaten in Hamburg nur selten in die Praxis überführt werden konnte.
Der HSV wäre aber nicht der HSV, wenn diese Trainerpersonalie komplett unfallfrei eingefädelt worden wäre. Wie das Hamburger Abendblatt berichtete, hätten Teile des HSV-Aufsichtsrats nämlich noch vor wenigen Wochen gerne Felix Magath als Sportvorstand und Trainer in Personalunion installiert; eine Forderung, die wohl nicht gerade zufällig auch vom HSV-Investor Klaus-Michael Kühne in die Öffentlichkeit posaunt wurde. Beteiligte bestreiten gegenüber der SZ zwar derartige Umsturzpläne, aber klar scheint zu sein, dass dem aktuellen Sportvorstand Jonas Boldt immer mehr Gegenwind ins Gesicht bläst.
HSV entlässt Trainer Walter:Vom Glauben abgefallen
Ein klarer Negativtrend hat die HSV-Verantwortlichen dazu veranlasst, es von nun doch ohne den offensiven Radikalansatz von Tim Walter zu versuchen. Wer sein Nachfolger wird, ist offen. Nur das Ziel des neuen Trainers ist vollkommen klar.
Vier der mittlerweile fünf Hamburger Nicht-Aufstiege fallen in seine Amtszeit - und es lässt sich behaupten, dass Boldt die Chancen in dieser Saison nicht erhöht hat, als er sich vor Weihnachten beharrlich weigerte, Walter durch einen Trainer auszutauschen, dem seriöses Gewinnen wichtiger ist als fußballerische Selbstverwirklichung. Bevor Walter freigestellt wurde, durfte er in zwei Heimspielen noch schicke acht Gegentreffer kassieren; einen neuen Trainer hat Boldt trotzdem erst geholt, nachdem beim 2:2 am Samstag in Rostock auch noch ein Testballon mit dem jungen Interimscoach Merlin Polzin zerplatzt war. Baumgart wartete dennoch geduldig auf einen Anruf aus Hamburg, er war dem Vernehmen nach allerdings nicht der erste Kandidat, der am Sonntagabend von Boldt kontaktiert wurde. Trotzdem bleiben Fragen: Wie viel Boldt steckt in Baumgart - und wieso war der für die Branche naheliegendste Trainer offenbar nicht auch sofort der naheliegendste Coach für Boldt?
"Ich freue mich, dass Jonas sich gemeldet hat", sagte Baumgart und wehrte sich nicht gegen das Lächeln, das sich in seinen Mundwinkeln ausbreitete. Wann Boldt sich gemeldet hat, verriet Baumgart zwar nicht, aber sowohl der Coach als auch der Sportchef wissen: Danach wird keiner mehr fragen, wenn Baumgart der erste Aufstiegscoach in der Geschichte des HSV werden sollte.