Hamburger SV entlässt Labbadia:Offenbarungseid in Hamburg

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Von Platz eins ins Niemandsland: Der Hamburger SV hat enttäuschende Monate hinter sich. Wie kam es zu dem Absturz - und der Entlassung von Trainer Bruno Labbadia?

Johannes Aumüller

Als im vergangenen Sommer das alljährliche Nachdenken einsetzte, wer denn außer dem FC Bayern eine Chance auf den Meistertitel der Saison 2009/10 haben könnte, gab es nicht wenige, die in den Norden der Republik schauten. Hatte sich der Vorjahresfünfte Hamburg nicht noch einmal großartig verstärkt, mit dem Mittelfeldstrategen Zé Roberto, dem Offensivkünstler Eljero Elia oder dem starken Nachwuchsangreifer Marcus Berg? Hatte da nicht mit Bruno Labbadia ein fachlich herausragender und zudem in der Außendarstellung gewinnender Mann das Traineramt übernommen?

Bruno Labbadia ist nicht mehr Trainer des Hamburger SV. (Foto: Foto: ddp)

Ein gutes Dreivierteljahr später passen die Begriffe Hamburger SV und Titelambitionen in etwa so zusammen wie die Begriffe Hamburg und Bergsteigen. Tabellenplatz sieben, 16 Punkte Rückstand auf die Spitze und immerhin noch acht auf die Plätze fürs internationale Geschäft, sportlich desolate Auftritte wie das 1:5 am Sonntag in Hoffenheim. Das ist zu wenig für die Ansprüche des Traditionsklubs, viel zu wenig - und entsprechend entließ die Vereinsführung am Montagvormittag Trainer Bruno Labbadia. Nicht einmal die Chance, mit einem Erfolg im Europa-League-Halbfinale in Fulham (Donnerstag, 21:05 Uhr, im Liveticker von sueddeutsche.de) die Saison zu retten, wollte ihm die Vereinsspitze lassen. Stattdessen coacht diese Partie der bisherige Techniktrainer Ricardo Moniz.

Dieser Rauswurf, zwei Spieltage vor dem Saisonende und drei Tage vor einem so wichtigen Spiel, ist der absurde Schlusspunkt einer absurden Saison. Trainer, Spieler und Vorstand sahen sich nach einer guten Hinrunde, einem tollen Sieg gegen die Bayern und der Verpflichtung von Ruud van Nistelrooy im Winter auf dem Weg nach ganz oben - ehe es Trainer, Spieler und Vorstand gemeinsam schafften, die Saison zu verkorksen. Die Situation rund um den HSV gleicht einem Offenbarungseid.

Trainer Labbadia muss sich den Vorwurf gefallen lassen, ein schlechter Krisenmanager zu sein und in Problemsituationen nicht gut mit den Führungsspielern einer Mannschaft zu harmonieren. Viele erinnerte die Entwicklung des HSV nach der Winterpause an Labbadias Zeit bei Bayer Leverkusen, wo er in der Saison 2008/09 auch einen tiefen Frühjahrsabsturz verantworten musste.

Zwar litt seine Arbeit in Hamburg gewaltig unter einem enormen Verletzungspech, doch zugleich sorgte er auch mit eigenen Entscheidungen für Irritationen. So rüffelte er zum Beispiel Abwehrspieler Jérôme Boateng nach einem Spiel, weil der trotz einer Verletzung nicht angezeigt habe, ausgewechselt werden zu wollen. Im Januar untersagte er dem Brasilianer Zé Roberto einen Rückflug in die Heimat, mit Eljero Elia stritt er sich über dessen richtige Position und Nationalspieler Piotr Trochowski verbannte er weitestgehend ins Abseits. Die Konflikte zwischen Labbadia und seinen Spielern eskalierten, als Torwart Frank Rost öffentlichkeitswirksam seinen Rücktritt aus dem Mannschaftsrat erklärte - weil Labbadia ihm zuvor Disziplinlosigkeit vorgeworfen hatte.

Doch auch die Spieler selbst haben den Absturz (mit) zu verantworten. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich nämlich nicht auf die Konstellation Trainer versus Spieler, sondern folgten auch innerhalb des Kaders. So rangelten zum Beispiel van Nistelrooy und Tunay Torun in der Kabine. Auch häufte sich die Zahl derer, die den Klub angeblich verlassen wollen. Zé Roberto vor dem Absprung, Boateng vor dem Absprung, Trochowski vor dem Absprung - im Tagesrhythmus kam es zu solchen Meldungen. Wie soll so eine zerfallende Mannschaft in einer sportlichen Krise die Wende schaffen?

Lange Suche nach einem Sportdirektor

Bleibt schließlich die Rolle des Vorstandes. Vier Trainer in den vergangenen vier Jahren belegen schon rein statistisch, dass der fromme Hamburger Wunsch nach mehr Kontinuität nichts mehr ist als eben ein frommer Wunsch. Ob Thomas Doll oder Huub Stevens, ob Martin Jol oder nun Labbadia - jeder neue Trainer sollte eine neue Ära einleiten, keinem gelang es.

Die Rahmenbedingungen waren in Labbadias Fall besonders ungünstig. So stand der HSV etwa seit Juni 2009 ohne Sportdirektor da: Dietmar Beiersdorfer, dem zuvor einige gute Transfers geglückt waren, musste gehen. Die Nachfolgesuche dauerte Wochen, umfasste etliche Namen (unter anderem Roman Grill) und sorgte für einige Zerwürfnisse, ehe am Ende die Wahl auf den Scout der DFB-Nationalmannschaft, Urs Siegenthaler, fiel. Doch noch ehe der Schweizer nach der WM sein Amt antritt, muss der HSV schon wieder suchen. Dieses Mal einen neuen Trainer.

Ein nervöses und immer umstritteneres Umfeld, kein Trainer, eine zerfallende Mannschaft. Wenn nun im Sommer das Nachdenken einsetzt, wer denn außer dem FC Bayern eine Chance auf den Meistertitel der Saison 2010/11 haben könnte, dürfte einem im Norden der Republik höchstens Bremen einfallen.

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