Erling Haaland beim BVB:Wenn die Realität noch besser ist als die Fiktion

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Dortmunds Neuzugang Erling Haaland jubelt nach seinem Tor zum 3:4 mit Raphael Guerreiro, Jadon Sancho und Marco Reus. (Foto: dpa)
  • Erling Haaland stellt gegen Augsburg unter Beweis, dass er tatsächlich das Puzzleteil zu sein scheint, das Dortmund gefehlt hat.
  • Mit seinen drei Toren egalisierte er den Rekord von Pierre-Emerick Aubameyang - dabei hatte er im Vorfeld von zwei Toren geträumt.
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Von Anna Dreher, Augsburg

Erling Haaland ist erst nach links abgebogen, etwas zögerlich am Anfang, aber diesen Laufweg hatte er nun wirklich nicht einstudieren können. Eine kleine scharfe Kurve, dann blieb er vor einer Fernsehkamera stehen, wartete, beantwortete ein paar Fragen und lief zur nächsten Station, wo sich der Ablauf wiederholte. Eine Weile war er trotz seiner beeindruckenden Körpergröße von 1,94 Metern hinter den vielen Menschen, die um ihn herumstanden, nicht zu sehen. Aber er tauchte wieder auf und lief, untermalt vom Klackern seiner Stollenschuhe, auf die andere Seite des Raumes.

Als Haaland Journalisten aus seinem Heimatland Norwegen gegenüber stand, gönnte er sich zur Entspannung ein paar Schluck von einem rosafarbenen Eiweißshake, redete ein bisschen mehr, die Sendezeit überzog er aber auch hier nicht. Die viel entscheidenderen Antworten hatte er ja zuvor schon gegeben.

Haaland beobachtete all die Leute um ihn herum bisweilen mit einem verschmitzten Lächeln, als habe er Spaß am Interesse an seiner Person gefunden. Von Borussia Dortmund hatte es geheißen, es gebe eine Vereinbarung mit der Familie und dem Management des Winterzugangs: nur nicht zu viel Rummel am Anfang, Haaland sei schließlich erst 19 Jahre alt. Verständlich. Und das 5:3 (0:1) zum Start in die Rückrunde beim FC Augsburg war ja sein erstes Spiel für den BVB. Aber nach so einer Premiere? Kein Aufsehen? Unmöglich.

Meinung5:3 gegen Augsburg
:Haaland gibt dem BVB, was ihm zuletzt gefehlt hat

Nach seinem Auftritt gegen den FC Augsburg weiß man, warum dem Stürmer eine Weltkarriere zugetraut wird. Es könnte sein, dass der BVB seinetwegen nun um die Meisterschaft mitspielen kann.

Kommentar von Sebastian Fischer

Für Rummel hatte Haaland zuvor innerhalb von 23 Minuten mit dem schnellsten Dreierpack eines Bundesliga-Debütanten selbst gesorgt: "Das war der absolut beste Tag", sagte Haaland, den Spielball mit beiden Händen fest umklammert. "Das fühlt sich absolut fantastisch an: Jetzt bin ich sehr entspannt, es ist schön."

183 Sekunden. So wenig Zeit hatte sich Haaland nach seiner Einwechslung gelassen, um seinem Ruf als eines der größten Sturmtalente des europäischen Fußballs gerecht zu werden. Und um aus einem vermeintlich schlechten Rückrundenstart des BVB ein Spiel zu machen, an das sie sich nicht nur im Ruhrpott noch lange erinnern dürften. "Ich wollte mit positiver Energie reinkommen und das Spiel drehen", sagte Haaland.

Und so pragmatisch, wie er seine Herangehensweise beschrieb, hatte er diese zuvor auf dem Platz gezeigt: spektakulär in puncto Schnörkellosigkeit und Effizienz - und für Dortmund weit mehr wert als die 20 Millionen Euro Ablöse, die für ihn an RB Salzburg überwiesen wurden. "Er ist gut angekommen. Er hat sofort seine Stärke gezeigt, seine Läufe in die Tiefe - drei Tore sind natürlich unglaublich", sagte Trainer Lucien Favre und ergänzte einen Satz, den sie in Leipzig, München und Mönchengladbach nun wirklich nicht gerne hören dürften: "Er hat Potenzial, sich zu verbessern, das ist das wichtigste."

Haaland ist als Versprechen nach Dortmund gekommen, als jener Mittelstürmer, der als entscheidendes fehlendes Teil das Kaderpuzzle des BVB komplettieren könnte - auch wenn Favre nicht unbedingt als Freund einer strikten taktischen Ausrichtung auf einen Zentrumsangreifer gilt. In welch kurzer Zeit Haaland sich eingewöhnt hat, wie unbekümmert, selbstbewusst und zielstrebig er sich auf dem Rasen bewegte und vor allem, wie all seine Energie und Körpersprache auf die Mitspieler übertragen wurde, das war beeindruckend.

Mit seiner Einwechslung wirkten die Dortmunder wie ausgewechselt. Plötzlich hatten all die schönen letzten Offensivpässe einen Abnehmer, einen, der intuitiv dort auftauchte und abschloss, wo sonst oft verzweifelt ein Spieler in gelbem (oder schwarzem) Trikot gesucht wurde. Wie viel besser der BVB mit der Zuspitzung durch einen Mittelstürmer wie Haaland künftig spielen dürfte, wurde in Augsburg deutlich. "Ich habe kurz mit ihm gesprochen. Er hat gesagt: Na das ist doch der Grund, warum ihr mich gekauft habt", erzählte Sportdirektor Michael Zorc und lachte: "Und das stimmt!"

2019 hatte Haaland für RB Salzburg 28 Tore in 22 Pflichtspielen erzielt, acht davon im Herbst in der Champions League. In Augsburg zeigte er auf Anhieb, dass er auch beim BVB auf eine ähnlich gute Quote kommen könnte. Knapp drei Minuten nach seiner Einwechslung schoss der Norweger aus zehn Metern ins rechte Eck zum 2:3-Anschlusstreffer, der sein Team wiederbelebte. Sancho glich in der 61. Minute aus. Dann legte Hazard quer auf Haaland, der aus kurzer Distanz zum 4:3 einschob (70.) und nur kurz wegen vermeintlicher Abseitsstellung vom Videoassistenten im Jubel unterbrochen wurde. In der 79. Minute überfiel Haaland dann noch die Abwehr der Gastgeber und zog aus etwa 15 Metern kaltschnäuzig zum 5:3 ab.

Beide - Haaland und Aubameyang - hatten ihren Einstand gegen Augsburg, beide mit der Trikotnummer 17

"Das war verrückt, ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen", sagte Favre kopfschüttelnd. Haaland ist der erste BVB-Spieler seit Pierre-Emerick Aubameyang 2013, dem bei seinem Debüt ein Dreierpack gelang. Beide schafften dies gegen Augsburg, beide mit der Trikotnummer 17. Ein Drei-Tore-Einstand war Haaland im September auch in der Champions League geglückt, bei Salzburgs 6:2 gegen Genk.

Favre sagte, er habe Haaland unabhängig vom Ergebnis in dieser Phase einwechseln wollen. Er stellte das System auf 4-2-3-1 um, Haaland zeigte dies seinen Mitspielern mit den Fingern an und rief es ihnen zu. Die veränderte Statik bereitete Augsburg große Probleme, hinzu kamen Haalands Präsenz und Läufe in die Tiefe. So ergaben sich zwei Spiele in einem. Dortmund hatte zwar schon vor der Einwechslung Haalands fußballerische Klasse gezeigt. Im Defensivverhalten aber wirkte die Mannschaft, als wolle sie genau dort weitermachen, wo sie in der Hinrunde aufgehört hatte: als Team unter den Top-sechs mit den meisten Gegentoren. Und auch, wie Marco Reus und Jadon Sancho erneut Chancen vergaben, ließ befürchten, dass Favre sich nach Abpfiff ähnlich in Rage reden könnte wie vor Weihnachten nach dem 1:2 in Hoffenheim, als er sagte: "Das ist dumm. Das kostet sehr, sehr viel. Wir schießen, wenn wir flanken sollen. Und wir passen, wenn wir schießen sollen."

Die Augsburger hatten überraschend so mutig begonnen, dass Dortmund Probleme hatte, sich gegen den Tabellenzehnten durchzusetzen. Nach einem Abspielfehler von Thorgan Hazard landete der Ball bei Florian Niederlechner, der den FCA in Führung brachte (34.). Marcel Richter erhöhte auf 2:0 (46.), bevor nach dem Anschlusstor von Julian Brandt (49.) erneut Niederlechner für den FCA traf (55.). Dortmund schien einmal mehr besiegt zu sein. Bis eine Minute später Haaland die Bühne betrat - und sogar seine eigenen Träume übertraf: "Wenn ich ehrlich bin, habe ich nicht von drei Toren geträumt, sondern von zweien", sagte er, bevor er mit dem Ball in die Kabine verschwand. Manchmal ist die Realität eben besser als die Fiktion.

© SZ vom 20.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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