Guus Hiddink trainiert Anschi Machatschkala:Mit dem Flugzeug zum Heimspiel

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Die Anreise zur Heimpartie dauert länger als die zu fast allen Auswärtsspielen: Guus Hiddinks neuer Klub Anschi Machatschkala zählt zu Russlands kuriosesten Fußball-Projekten. Nicht nur weil seine Spieler zum Geburtstag schon mal einen Bugatti geschenkt bekommen. Das Ziel der Mission reicht über die Grenzen des Fußballs hinaus.

Johannes Aumüller

Es ist wirklich schade, dass dieses Machatschkala im nördlichen Kaukasus liegt und nicht etwa in der südlichen Eifel. Denn wenn der dortige Klub Anschi statt in der russischen Premjer Liga in der Bundesliga spielen würde, wäre Fußball-Deutschland um eine Kuriosität reicher. Um einen Verein, dessen Budget größer zu sein scheint als das von allen aktuellen und ehemaligen Klubs von Felix Magath zusammen; der Trainer noch schneller entlässt als Hertha BSC; und der zu fast allen seinen Auswärtspartien eine kürzere Anreise hat als zu seinen Heimspielen.

Gutdotierter Vertrag, natürlich: Guus Hiddink in Russland. (Foto: AFP)

Seit Januar 2011 ist Anschi Machatschkala im Besitz von Sulejman Kerimow, der zu den reichsten Russen zählt - und den Klub mit Geld zuschüttet. Er lockte unter anderem Alt-Internationale wie Roberto Carlos oder Samuel Eto'o, zu Jahresnettogehältern im zweistelligen Millionenbereich. Zum Geburtstag eines Spielers verschenkt er gerne schon mal einen Bugatti.

Am vergangenen Freitag gelang ihm ein neuer Coup: Der Holländer Guus Hiddink, früher unter anderem für Eindhoven und Real Madrid, für die holländische und zuletzt die türkische Nationalelf verantwortlich, unterzeichnete für eine geschätzte Summe von 15 Millionen Euro einen Eineinhalbjahresvertrag als Trainer - und Vize-Präsident. "Ich verneine nicht, dass ich einen sehr guten Vertrag habe", sagte Hiddink, "aber mich reizt an diesem Projekt besonders, dass man hier viel für die Entwicklung einer ganzen Region erreichen kann."

Die Region, über die der 65-Jährige spricht, zählt zu den problematischsten in ganz Russland. Machatschkala ist die Hauptstadt von Dagestan, einer Teilrepublik am Kaspischen Meer, in der es wie im benachbarten Tschetschenien immer wieder zu Anschlägen kommt.

Doch die politische Führung des Landes will, dass der Kaukasus künftig nicht mehr für Tod und Unruhe steht, sondern für Fortschritt: Schließlich finden ganz in der Nähe, in Sotschi, bald Olympische Winterspiele statt. Da passt es gut, wenn die Region über fußballerisch erfolgreiche Klubs verfügt, um etwas Normalität zu suggerieren.

Allerdings schätzen die Verantwortlichen den Lebenskomfort als so gering ein, dass das Team seine Basis gar nicht in Machatschkala hat - sondern in der Nähe von Moskau. Das Training findet in der Regel in der Landeshauptstadt statt, erst kurz vor den "Heimspielen" geht es per Charterflug ans Kaspische Meer. Dazu kommt eine weitere politische Komponente: Vereinsbesitzer Kerimow ist gebürtig aus Dagestan, und viele sagen ihm nach, er wolle sich über sein Engagement bei Anschi fürs Präsidentenamt der Teilrepublik qualifizieren.

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Zu dieser verworrenen Lage passt es, dass Hiddinks Einstieg in Machatschkala etwas merkwürdig ablief. Nach der Entlassung von Gadschi Gadschijew hatte im vergangenen Jahr Roberto Carlos als Spielertrainer fungiert, aber als im November die Winterpause begann, intensivierten die Klub-Verantwortlichen ihre Bemühungen um eine dauerhafte Lösung.

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Schon damals gab es Kontakte zwischen Anschi und Hiddink, der in Russland unglaublich verehrt wird, seit er die Nationalmannschaft 2008 überraschend ins EM-Halbfinale führte - doch der damalige Sportdirektor entschied sich für den Russen Jurij Krasnoschan.

Dieser Jurij Krasnoschan allerdings geht nun als ein Null-Spiele-Trainer in die Geschichte ein: In der vergangenen Woche endete seine Zeit in Machatschkala plötzlich, ebenso wie die des Sportdirektors.

Zwei Begründungen für diese Entwicklung sind im Umlauf, und beide klingen etwas dubios. Variante eins zufolge stießen Kerimows Leute bei internen Untersuchungen auf finanzielle Ungereimtheiten bei Krasnoschan; Variante zwei zufolge beschwerten sich Roberto Carlos und Eto'o beim Klubeigner über dessen antiquierten Trainingsmethoden. Augenscheinlich ist jedenfalls, dass der Präsident einen großen Namen als Trainer wollte: Hätte Hiddink nicht unterschrieben, wäre Fabio Capello sein zweiter Kandidat gewesen.

Dem Niederländer verbleiben bis zum ersten Pflichtspiel mit seiner neuen Mannschaft nun zwei Wochen. Die russische Liga absolviert gerade eine besondere Saison, weil sie ihren Rhythmus an den europäischen anpassen will. Bisher wurde nach dem Kalenderjahr gespielt, künftig soll es von Sommer bis Sommer gehen, und gerade läuft die dafür nötige eineinhalbjährige Übergangsspielzeit. Die ersten beiden Saisondrittel sind absolviert, in der letzten Phase gibt es eine Meister- und eine Abstiegsrunde, die jeweils acht Teams umfassen.

Anschi qualifizierte sich gerade so für die Meisterrunde, Hiddinks Umfeld bemüht sich daher, die Ansprüche zu dämpfen. "Für dieses Jahr gibt es keine sportlichen Zielvorgaben", sagte sein Berater Cees van Nieuwenhuizen. Vom Titel träumt angesichts von 13 Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze nicht einmal Kerimow mehr - die Qualifikation für die Europa League aber ist durchaus realistisch.

Vielleicht muss sich Fußball-Deutschland bald doch mit diesem kuriosen Klub auseinandersetzen.

© SZ vom 20.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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