Guardiolas Taktik gegen Real Madrid:Vercoacht!

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"Ein Riesenfehler vom Trainer", sagt Pep Guardiola über sich selbst (Foto: AFP)

Er habe einen "Riesenfehler" begangen, sagt Pep Guardiola selbst. In der Tat scheitert der Plan des Bayern-Trainers gegen Real Madrid krachend. Wie schon Bundestrainer Löw setzt Guardiola auf das Mittelfeldduo Schweinsteiger/Kroos. Sein wirksamster Spieler sitzt indes auf der Bank.

Von Thomas Hummel

Als der FC Bayern das letzte Mal 0:4 verloren hatte, war Pep Guardiola auch schon dabei. 8. April 2009, Camp Nou in Barcelona: Guardiolas Barça überfiel die Münchner, Udo Lattek soll in der Halbzeit geweint haben. Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge sagte, er wisse nicht, ob er schockiert, traurig oder wütend sein solle. Kurz darauf entließen die Münchner ihren Trainer Jürgen Klinsmann und stellten alles auf den Kopf.

Jetzt hat der FC Bayern wieder 0:4 verloren. Zu Hause gegen Real Madrid. Es war eine Demütigung, eine Vorführung, es war schlimm. Nur diesmal ist Pep Guardiola der Verlierer.

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Der Katalane muss nicht fürchten, demnächst entlassen zu werden. Als Guardiola nach München kam, nahm das die Fußballwelt fast als Sensation auf. Der beste, begehrteste Trainer der Welt geht nach Deutschland? Dort fand er die anerkanntermaßen beste Mannschaft der Welt vor, er führte sie mit hierzulande taktisch neuen Varianten zur schnellsten Meisterschaft der Bundesliga-Historie. Die Elogen aus dem Verein glichen fast einer Verklärung.

Und nun: Halbfinale der Champions League gegen Real Madrid - und Pep Guardiola vercoacht das Spiel.

Der 43-jährige Fußball-Analyst hat es selbst gemerkt, recht schnell sogar. War ja auch schwerlich zu übersehen, dass sein Plan in ein Fiasko mündete. Schon nach einer knappen halben Stunde schickte er Javi Martínez zum Aufwärmen, doch da war es längst zu spät.

Guardiola erklärte es später selbst: "Es war heute ein Riesenfehler vom Trainer", sagte er, "du brauchst viele Spieler im Mittelfeld, um Konter zu unterbinden. Heute hatten wir nur Bastian und Toni." Es ist eine grundsympathische, weil demütige Charaktereigenschaft des Katalanen, Fehler öffentlich einzugestehen. Dieser schmale Mann mit der buddhistischen Ausstrahlung wirkte so zerknirscht und klein, dass er einem fast leidtun konnte. Doch in diesem Millionengeschäft ist Mitleid auf Dauer keine Komponente. Und sein "Riesenfehler" wirkte sich tatsächlich fatal aus.

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Wie viele Trainer es nun schon versucht haben, mit Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos eine Doppelsechs zu bilden, ist eine spannende Rechenaufgabe für die Statistiker. Bundestrainer Joachim Löw macht das immer wieder gerne, in Erinnerung ist zum Beispiel das erstaunliche 4:4 gegen Schweden. Der Eindruck setzt sich fest: Gegen wehrhafte und vor allem schnell konternde Mannschaft ist dieses Duo ungeeignet, ihre defensive Zweikampfführung ungenügend.

Vor dem 0:2 stellte sich Kroos ungeschickt in den Weg von Gareth Bale, der anschließende Freistoß landete auf dem Kopf von Sergio Ramos. Vor dem 0:3 kam Schweinsteiger am gegnerischen Strafraum zu träge ins Gegenpressing, Kroos erkannte die Gefahr nicht und trabte zurück anstatt zu sprinten, wodurch Bale freie Bahn erhielt.

Guardiola wollte mit Schweinsteiger und Kroos in der Zentrale sowie Thomas Müller davor den Ball kontrollieren, die absolute Dominanz erzwingen. Defensiver Wellenbrecher in der Mitte? Brauchen wir nicht. Dafür allerdings verloren seine Offensivgeister viel zu oft den Ball. An der Spitze Franck Ribéry, der gegen Daniel Carvajal auf, ja wirklich, verlorenem Posten dribbelte. Mario Mandzukic prallte bei jeder Aktion gegen die Wände Pepe und Sergio Ramos. Die beiden wüteten ob ihrer Aussichtslosigkeit bald umher, Ribéry hätte wegen seiner Watschn gegen Carvajal einen Platzverweis verdient gehabt.

"Der Grund, warum wir heute nicht so gut waren, war der fehlende Ballbesitz", sagte Guardiola. Andere Trainer kämen bei einer Ballverteilung von am Ende 70:30 für ihre Mannschaft kaum auf eine solche Analyse. Der Katalane meinte eher die Kontrolle des Balles und der Aktionen. Obwohl die Münchner ständig die Kugel am Fuß führten, kontrollierte Real die Partie. Die Madrilenen hatten nur überhaupt kein Interesse am Ballbesitz, sie wollten Bayerns Angriffe stoppen, um dann im Tempo und mit der Wucht einer Büffelherde nach vorne zu rumpeln.

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Der Plan von Real-Trainer Carlo Ancelotti ging demnach wunderbar auf. Vor dem 1:0 erkämpfte sich Xabi Alonso am eigenen Strafraum gegen Müller und Arjen Robben den Ball, Angel di María schlug sogleich einen 70-Meter-Pass nach vorne. Dante konnte nur noch zur Ecke abwehren, die auf dem Kopf von Sergio Ramos landete. Und der Turbo-Konter zum 3:0 steht im Lehrbuch.

Überhaupt Ancelotti. Er schob seine Mannschaft im Vergleich zum Hinspiel viel weiter nach vorne, teilweise sahen sich die Münchner im Aufbau einem Madrider Pressing ausgesetzt. Es war ein genialer Schachzug, brachte er den Gegner doch sichtbar aus der Fassung. Zudem verstand es der Italiener, aus Künstlern Arbeiter zu formen. Was Angel di María und Gareth Bale in der Vierer-Mittelfeld-Kette auf den Außenbahnen schufteten, war beeindruckend. Sie vereitelten damit Guardiolas nächste Überlegung, die Heynckes'sche Flügelzange Ribery/Alaba-Robben/Lahm wiederauferstehen zu lassen. Die sonst oft einrückenden Außenverteidiger der Bayern hielten diesmal auffallend ihre Positionen - was im Übrigen die Löcher in der Zentrale nicht kleiner machte.

Die Fußballwelt wird nicht erfahren, ob die viel bessere zweite Halbzeit des FC Bayern der nachlassenden Intensität des Gegners oder der Einwechslung von Javi Martínez geschuldet war. Auffallend war dennoch, dass der Spanier in den ersten 15 Minuten nach Wiederanpfiff gleich eine Vielzahl Madrider Angriffe stoppte und am Ende eine Zweikampf-Quote von 100 Prozent aufwies. Zum Vergleich: Kroos gewann nicht einmal 30 Prozent seiner Zweikämpfe, Schweinsteiger etwas mehr als 40 Prozent.

Martínez ist im Übrigen auch ein guter Kopfballspieler. Der Punkt Standardsituationen war ja durchaus mitentscheidend in diesem Duell. Das Eckenverhältnis in beiden Partien lautet 24:6, während Madrid daraus ein entscheidendes Tor erzielte, war Bayerns Ertrag null.

Nun blickt in München alles auf das Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund. Ein Spiel entscheidet plötzlich über eine ganze Saison, es geht dabei auch um den begehrtesten Trainer der Welt, dessen Glanz einen tiefen Kratzer erhalten hat. Der FC Bayern spielte bis Ende März wie von einem anderen Stern, dann hörte die Mannschaft fast täglich vom Trainer, dass die Bundesliga vorbei sei und machte es sich gemütlich. Der Spannungsabfall war enorm, der Leistungsabfall verwunderlich. Geht auch dieses Pokalfinale schief, steht in Guardiolas Bilanz: drei Viertel der Saison Wundertrainer, letztes Viertel vercoacht.

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