Greuther Fürth:"Der Fußball muss noch härter gegen Rassismus vorgehen"

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Sieben Jahre als Spieler in Grün-Weiß, seit 2017 verantwortlich für die sportliche Entwicklung der Spielvereinigung: Rachid Azzouzi, 49. (Foto: imago images/Michael Schwarz)

Fremdenfeindlichkeit kennt Greuther Fürths Geschäftsführer Rachid Azzouzi aus eigener Erfahrung. Im Interview spricht er über den ungleichen Umgang mit Rassismus, Dietmar Hopp und was der Sport besser machen könnte.

Interview von Thomas Gröbner und Sebastian Leisgang

Rachid Azzouzi, 49, erscheint zum Interview auf dem Bildschirm, er trägt einen grünen Kapuzenpulli. "Was heute alles geht!", freut sich der Geschäftsführer Sport der Spielvereinigung Greuther Fürth. Ein virtuelles Wohnzimmer-Gespräch über Rassismus im Stadion, die Auswirkungen der Corona-Pandemie und das Derby gegen Nürnberg.

SZ: Herr Azzouzi, Fürth ist die schlechteste Mannschaft der zweiten Liga seit der Corona-Pause, das Team scheint gehemmt zu sein. Warum?

Rachid Azzouzi: Das hat ein Stück weit mit der Mentalität zu tun, die sich den letzten Jahren in Fürth breitgemacht hat. Es ist das Selbstverständnis aufgekommen: Klassenerhalt, okay, dann sind wir zufrieden. Es fehlt uns gerade die letzte Konsequenz, die letzte Gier, da muss sich jeder Kritik gefallen lassen.

Man hat das Gefühl: Wenn es nicht um die Existenz geht, lässt die Spannung nach?

Es muss die Jungs ärgern, dass wir bis zur Corona-Pause eine tolle Saison spielen, auf dem fünften Platz stehen, auf Tuchfühlung sind zu den Aufstiegsplätzen; dass wir das verspielen, muss uns richtig ärgern. Wenn wir am Ende auf Platz zehn oder zwölf landen, ist das nicht das, was diese Saison widerspiegelt.

Am Samstag trifft Ihre Mannschaft auf den abstiegsbedrohten Nachbarn aus Nürnberg, der gerade ganz andere Probleme hat. Im Frankenderby sollte die Leidenschaft doch da sein.

Ich wünsche mir, dass die Mannschaft dieses Spiel annimmt. Ich fand das Hinspiel (0:0, Anm. der Redaktion) von beiden Seiten wenig emotional. Da hatte ich den Eindruck, dass alle zufrieden waren mit dem Unentschieden.

Ist es ein Vorteil für Fürth, dass dieses Spiel in Nürnberg vor leeren Rängen ausgetragen wird?

Es war doch in der Vergangenheit auch kein Nachteil für uns, dass wir vor Zuschauern gespielt haben. Wir haben von den letzten 21 Derbys nur drei verloren.

Eine Saison, in der man vor dem 1. FC Nürnberg steht, ist normalerweise eine gute Saison, heißt es in Fürth...

Mein Erfolg definiert sich nicht darüber, wo der Club steht. Rein sportlich sieht man, dass wir oben mithalten können, wenn wir gut arbeiten. Unser Anspruch muss deshalb sein: Wenn man so eine Saison spielt, muss man in der oberen Tabellenhälfte dabei sein.

Durch den Absturz in der Tabelle verspielt Ihr Team eine Menge Fernsehgeld, die Zuschauereinnahmen fallen im Moment weg. Das macht es sicher nicht leichter, diese Mannschaft zusammenzuhalten.

Wir in Fürth haben eh schon wenig Geld, jetzt wird es halt noch weniger. Was soll man da noch jammern?

Gerade stocken die Gespräche mit wichtigen Spielern, etwa mit Angreifer Daniel Keita-Ruel, der ein Buch veröffentlicht hat mit dem Titel: "Zweite Chance: Mein Weg aus dem Gefängnis in den Profifußball". Er steht wie kaum ein anderer für dieses Engagement, das Sie einfordern.

Bei Keita wollten wir die Option zur Verlängerung ziehen, aber die Pandemie ist dazwischen gekommen. Aktuell können wir es uns so einfach nicht leisten. Wir werden schauen, ob es noch machbar ist, aber aktuell sind uns die Hände gebunden. Das hat natürlich auch mit Fernsehgeldern zu tun.

Könnte man es so sehen: Wenn Keita-Ruel weiter trifft, sichert er seinen Vertrag?

Im Grunde genommen trifft das auf jeden Spieler zu, aber dafür spielt ein Fußballer nicht. Die Jungs, die wir holen, wollen den nächsten Schritt machen, mit uns zusammen oder mit einem Wechsel in die Bundesliga. Aber dazu muss man in der Liga vorne dabei sein.

Der überhitzte Transfermarkt scheint heruntergekühlt zu sein, kommen da schwere Zeiten auf Vereine wie Fürth zu, die sich jedes Jahr mit Spielerverkäufen finanzieren müssen?

Das Geld wird nicht locker sitzen. Gleichzeitig wird man sich hinterfragen, ob man weitermacht mit diesen hohen Millionensummen, die teils einfach total übertrieben sind. Ich glaube: Für gute Spieler werden immer noch hohe Ablösen fließen. Ich glaube nicht, dass sich nach der Pandemie sehr viel verändern wird. Ich würde es mir wünschen, es wäre notwendig. Aber der Mensch vergisst leider sehr schnell.

Jetzt wühlt auch die Rassismus-Debatte den Fußball auf, viele Profis zeigen Haltung - etwas, was man lange vermisst hat.

Klar, es ist es gut, dass wir Flagge zeigen. Aber es braucht mehr als Worte. Es ist nicht lange her, ein paar Monate, da war Rassismus schon mal Thema in der Bundesliga, als der Hertha-Spieler Jordan Torunarigha auf Schalke beleidigt worden ist. Da ist nichts passiert. Und als drei Wochen später Dietmar Hopp beleidigt worden ist, haben Bayern und Hoffenheim aufgehört, Fußball zu spielen.

Was wollen Sie damit sagen?

Der Fußball muss noch härter gegen Rassismus vorgehen und auch mal ein Spiel abbrechen. Nicht nur dann, wenn ein weißer, reicher Mann beleidigt wird. Aber es geht ja schon bei kleineren Gesten los: Manche Schiedsrichter stehen, während die Spieler vor dem Anstoß knien. Da frage ich mich: Warum ist das so? Ich verstehe es nicht.

Sie sind als Spieler selbst angefeindet worden...

Ja. Zu meiner Zeit (1989 bis 2004, d. Red.) gab es noch nicht so viele dunkelhäutige Profis. Da bin ich in Fürth mal als Kameltreiber beleidigt worden. Damals war Rassismus auch innerhalb der Mannschaft ein größeres Problem als heute. Oder ein Beispiel aus der Gegenwart: Ich bin mal auf der Straße von einer älteren Frau angesprochen worden. Sie meinte: 'Sie sprechen aber gut Deutsch.' Dankeschön, ich bin ja auch erst seit 47 Jahren in Deutschland. Die Frau hat das gar nicht böse gemeint, aber daran erkennt man, wie fest Rassismus in unserer Gesellschaft verankert ist. Und das ist schlimm.

Was machen solche Erfahrungen mit einem Menschen?

Es ist sehr verletzend, auch wenn man versucht, darüber hinwegzusehen. Man lernt ein Stück weit, damit zu leben, aber es beschäftigt dich. Auch dann, wenn man Nachrichten in sozialen Medien liest. Dann kennt man den Absender vielleicht nicht; trotzdem nimmt man das auf. Weiße können das nicht nachempfinden, aber in den Betroffenen löst das etwas aus.

Gerade hat Bundesligist Mönchengladbach mit Hetz-Kommentaren zu kämpfen unter einem Social-Media-Post, Gladbach prüft nun rechtliche Schritte.

In diesen Medien kann sich jeder anonym äußern. Das hat dazu beigetragen, dass rassistische Bemerkungen hoffähig geworden sind.

Woran machen Sie es fest?

Der Rassismus war schon immer unterschwellig da, er war nie ganz weg, aber momentan gibt es weltweit in vielen Gesellschaften einen Rechtsruck. Und wenn Donald Trump "America first" sagt, dann sagt er nichts anderes als: Erst kommen wir, dann der Rest. Das ist eine Form der Ausgrenzung.

Ist der Profifußball zu lange zu leise gewesen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit?

Der Fußball darf nicht immer für alles herhalten. Es ist ein gutes Zeichen, dass alle Farbe bekennen - nicht nur die Jungs, sondern auch der DFB und die DFL. Aber es darf nicht bei Gesten bleiben, weil viele das Problem immer noch nicht begriffen haben. Es muss gelebt werden, dass Rassismus kein Platz hat in unserer Gesellschaft.

© SZ vom 12.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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