Tour-de-France-Radprofi Geschke:Gepunkteter Kämpfer am Berg

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Das weiße Hemd mit den roten Punkten ist am Straßenrand der Tour fast öfter zu sehen als das Gelbe Trikot des Gesamtführenden - wegen der Karawane, die das immer als Präsent rauswerfen, vermutet Simon Geschke. (Foto: Pool Alex Broadway/dpa)

Simon Geschke ist eher kein Spezialist fürs Gebirge, trägt bei der Tour aber das Trikot des besten Kletterers. Als erster Deutscher könnte er es bis nach Paris verteidigen - davor liegt aber noch eine letzte schwere Pyrenäen-Etappe.

Von Johannes Aumüller, Loudenvielle/Saint-Gaudens

Der Bergkönig aller Bergkönige ist natürlich Federico Bahamontes. Den "Adler von Toledo" nannten sie im Peloton ehrfürchtig den Spanier, der in den Fünfzigern und Sechzigern des vergangenen Jahrhunderts besser die Tour-Anstiege hinaufkam als jeder andere. Und der nur das Problem hatte, dass er sich nicht so gerne in Abfahrten stürzte, weswegen ihn die Kontrahenten auf dem Weg ins Tal meist wieder einfingen. Bahamontes, heute 94 Jahre und der älteste noch lebende Etappensieger der Tour, ging die Sache halt etwas lockerer an. Einmal, so besagt es die schöne Legende, musste er auf einem Gipfel sein Rad reparieren lassen und orderte erst mal bei einem vorbeikommenden Verkäufer eine Kugel Eis.

Von Adlerqualitäten kann bei Simon Geschke nur bedingt die Rede sein. Wenn der 36-jährige Berliner einen der vielen fiesen Tour-Berge hochfährt, sieht das meistens nicht nach Fliegen, sondern eher nach Kämpfen aus. Und das mit dem spontanen Eiskonsum wäre für ihn auch schwierig, weil er sich seit fünf Jahren komplett vegan ernährt. Da haben nur die wenigsten vorbeikommenden Eisverkäufer etwas Passendes im Sortiment. Aber Bergkönig kann Geschke jetzt trotzdem werden.

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Am Mittwochmorgen steht Geschke auf dem Boulevard Charles de Gaulle in Saint-Gaudens, am achten Tag nacheinander gekleidet in das weiße Hemd mit den roten Punkten. Er bewertet die Chance als klein, sagt er im Gespräch, aber natürlich träume er inzwischen davon, in Paris das Bergtrikot zu gewinnen. Und das, so findet er, "würde ein bisschen deutsche Radsport-Geschichte schreiben". In der Tat: Ein deutscher Tour-Sieger (Jan Ullrich, 1997) ist zwar in der Chronik vermerkt, und das Grüne Trikot für den besten Sprinter holten Erik Zabel (6), Rudi Altig (1) und Olaf Ludwig (1) zusammen acht Mal. Aber einen deutschen Sieger der Bergwertung gab es noch nie.

Das olympische Straßenrennen verpasste er: Geschke lag mit Corona im Hotelzimmer

Dieses Hemd ist eine der vielen Zutaten, mit denen die Tour-Direktion das Rennen würzt. Seit 1933 schreibt sie eine Bergwertung aus, seit 1975 erhält der Leader das weiße Trikot mit den roten Punkten; die Farbkombination geht auf den damaligen Sponsoren zurück, einen Schokoladenhersteller. Dem Bergkönig - ein Wort, das es wohl nur im Radsport oder in der Oper gibt - kommt oft mehr Aufmerksamkeit zuteil als einem Klassementfahrer, der auf Rang sechs oder acht ankommt. Und gerade in Frankreich hat das Shirt großes Prestige. Es ist kein Zufall, dass in Saint-Gaudens zwei Zuschauer hinter Geschke just dasselbe Outfit tragen. Das Hemd ist am Straßenrand der Tour fast öfter zu sehen als das Gelbe Trikot des Gesamtführenden - wegen der Karawane, die das immer als Präsent rauswerfe, vermutet Geschke.

Auch wegen dieser Bedeutung in Frankreich hat seine Cofidis-Equipe Geschkes Bemühungen in den vergangenen Wochen befeuert. Die französische Mannschaft gehörte vor zwei Jahrzehnten mal zu den stärksten Teams des Pelotons, war dann in einen riesigen Dopingskandal verstrickt und wartet seit 2008 (!) auf einen Etappensieg bei der Tour. Seitdem der Klassementfahrer Guillaume Martin wegen eines positiven Corona-Tests ausstieg, ist Geschke der Kapitän der Equipe, dem sich der Rest unterzuordnen hat.

Oft vorne zu finden, wenn es um die Punkte geht: Simon Geschke vor dem Belgier Wout Van Aert im Grünen Trikot, das den Führenden in der Sprintwertung ausweist. (Foto: Nico Vereecken/Panoramic International/Imago)

Dabei ist Geschke kein Mann fürs absolute Hochgebirge, sein Terrain sind eigentlich die mittelschweren Etappen. Aber das Reglement fürs Bergtrikot ändern sie bei der Tour de France schneller als Adler einen Berg hochfliegen, und in der Tendenz kommt es Profis entgegen, die wie Geschke nicht auf einen vorderen Klassementrang fahren - wenngleich der Tour-Dominator Tadej Pogacar in den vergangenen beiden Jahren so stark war, dass er das Shirt quasi en passant abstaubte. Wer das Berghemd will, der muss die Etappen ein wenig anders gestalten als das Gros des Pelotons - es kommt ja nicht drauf an, am Ende vorne zu sein, sondern zu ausgewählten Punkten zwischendrin. Geschke ist deswegen oft in Ausreißergruppen zu sehen gewesen, auch am Dienstag und am Mittwoch wieder. Und am Donnerstag, auf der letzten schweren Pyrenäen-Etappe, muss er das wieder tun - weil Pogacar und Jonas Vingegaard so nahe an ihn herangerückt sind, dass sie ansonsten an ihm vorbeirauschen können.

Es ist erstaunlich, dass Geschke in dieser Saison noch einmal so in Schwung kommt. Seit etwas mehr als zehn Jahren ist er nun im Peloton dabei, sein bisher größter Erfolg war ein Etappensieg bei der Tour 2015. Im Vorjahr wurde er eine tragische Figur der Olympischen Spiele, weil er nach der Landung in Tokio positiv auf Corona getestet worden war - und dann ein paar Tage im Hotel feststeckte statt das Straßenrennen zu absolvieren. Zu Beginn der Pyrenäen-Tage schreckte er wohl auf, weil just sein Team- und Zimmerkollege Max Walscheid positiv war und aussteigen musste. Aber dass Corona ihm nun erneut einen Strich durch die Rechnung mache, davor habe er keine Angst, sagt Geschke.

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