Geraint Thomas:Triumph des Pinguins

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Tour-Sieger Geraint Thomas (Mitte) mit dem Zweitplatzierten Tom Dumoulin (l.) und dem Dritten Christopher Froome. (Foto: AP)
  • Geraint Thomas gewinnt die 105. Auflage der Tour de France. Für Team Sky ist es der sechste Tour-Erfolg bei den vergangenen sieben Rundfahrten.
  • Thomas arbeitet stets gewissenhaft, vertraut der kühlen Rennplanung mehr als dem Gefühl - und spiegelt damit die Firmenphilosophie der Equipe.
  • Teamchef David Brailsford hat es geschafft, sich Tour-Sieger am Computer zu züchten, mit einem Heer an Experten und strengem Regiment.

Von Johannes Knuth, Paris

Als es so gut wie vollbracht war, nach 3351 Kilometern und drei Wochen im Sattel, ließ sich der Radprofi Geraint Thomas doch noch überraschen. Er war gerade Dritter geworden beim Zeitfahren in Espelette, dann nahm ihn plötzlich seine Frau in Empfang, sie hatte ihm nichts von ihrer Anreise erzählt. "Das hat es noch schlimmer gemacht", scherzte Thomas später; er meinte die Emotionen, die er so lange von sich ferngehalten hatte und die ihn nun heftig überrollten. "Das letzte Mal, als ich geweint habe", sagte er, "war bei meiner Hochzeit." Dem Vernehmen nach übrigens ebenfalls vor Freude.

Es war also wahrhaftig ein Mensch, der sich dann am Sonntag auf der zeremoniellen Schlussetappe nach Paris hochleben ließ. Mit Emotionen! Kaum zu glauben bei dieser kühlen Stärke, mit der Thomas in den vergangenen Wochen durch Frankreich gefahren war. Man hatte sich schon ausgemalt, wie der 32-Jährige wohl jubeln würde: Womöglich würde er dem Publikum auf den Champs-Élysées mit einer hochgezogenen Augenbraue zuwinken, Blumen in Empfang nehmen, die in seinen kalten Händen sofort verwelkten ... Aber dann: Tränen, heul, schluchz! "Es fühlt sich noch alles surreal an", sagte Thomas, als er, mit Glückwünschen überhäuft, im Ziel stand, der erste Waliser, der das wichtigste Radrennen der Welt gewann. Seine mechanische Arbeitsweise hat dann doch eher die Firmenphilosophie seiner Sky-Equipe gespiegelt, weniger sein Naturell.

Auch wenn der neue Tour-Dominator schon für das steht, was Sky ausmacht. Und einiges über die Generation erzählt, die mittlerweile über die Szene herrscht.

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Sky hatte Thomas in den vergangenen Jahren im Schatten der vier Tour-Siege geschult, die sein Teamgefährte Christopher Froome den Briten beschafft hatte. Er gewann im Juni die Dauphiné, die Tour-Generalprobe, reiste als Co-Kapitän nach Frankreich. Sollte Froome schwächeln, der den Giro in den Knochen hatte, stünde Thomas bereit. Und tatsächlich: Froome stürzte auf der ersten Etappe, verlor in der Bretagne weiter Zeit, auch die Konkurrenz stürzte, hatte Defekte. Thomas zog derweil unbeeindruckt durchs Land, ließ die Schmähungen gegen sein affärenumtostes Team über sich ergehen. Er gewann die erste Bergetappe in den Alpen, auch die zweite in Alpe d'Huez. "Das hat mir einen enormen Schub gegeben", erinnerte er sich; auch wenn er beteuerte, dass er bis zum finalem Wochenende nicht so recht an seinen Sieg geglaubt habe. Aber das musste man ihm nicht zwingend abnehmen.

"Geraint war in der Form seines Lebens", sagte der Niederländer Tom Dumoulin, der am Samstag das Zeitfahren gewonnen hatte und schließlich Gesamtzweiter wurde. "Er hatte in den Bergen sogar noch Reserven." Froome, der am Samstag den Aufsteiger Primož Roglič vom dritten Platz im Klassement verdrängte, befand: "Es macht mich wirklich stolz, dass ich Teil von Geraints Sieg war." Er habe schon in den Alpen gespürt, dass sein ewiger Adjutant diesmal stärker war, sagte Froome, so sei halt der Sport. Hatte Froome sich mit dem Giro überhoben, den er im Mai unter großen Qualen gewonnen hatte? Wirkte sein undurchsichtiger Freispruch in seiner Salbutamol-Affäre nach, die Pfiffe gegen sein Team? "Diese Negativität hat unser Team noch näher zusammengebracht", sagte Froome nur, "es hat sich ein bisschen angefühlt, als würden wir gegen den Rest der Welt kämpfen."

Thomas war also der Mann, der Sky den sechsten Sieg bei den vergangenen sieben Frankreich-Rundfahrten beschaffte. Er war den Trainern schon als Junior durch seine große mentale Wehrhaftigkeit aufgefallen (anders als Froome, der sich erst spät in einen Podiumsgast verwandelte). Bei seinem Tour-Debüt 2007 wurde er Vorletzter, sie riefen ihn Pinguin, wegen seiner pausbäckigen Figur. Er machte sein Glück zunächst auf der Bahn, wo er seine Zeitfahrqualitäten erwarb, gewann Olympia-Gold 2008 und 2012 mit der Mannschaft. Auf der Straße versuchte er sich zunächst nicht immer erfolgreich bei den Eintagesklassikern, mal erlitt er einen Milzbruch, weil er mit einem Pfosten kollidierte, mal prallte er auf ein Begleitmotorrad. Er schüttelte das ab, auch, weil er den Sport nicht zu ernst nahm. "Klar will ich gewinnen, aber am Ende ist es ein Radrennen", hatte Thomas vor ein paar Tagen gesagt: "Wir sind hier nicht im Afghanistan-Krieg, das ist das echte Leben. Mein echtes Leben sind meine Familie und Freunde."

Thomas ist kein Großkotz wie Lance Armstrong, kein Patron wie Bernard Hinault, der einmal Werftarbeiter verprügelte, die auf der Rennroute demonstriert hatten. Thomas trinkt auch mal ein Pint (oder drei), arbeitet aber stets gewissenhaft, vertraut der kühlen Rennplanung mehr als dem Gefühl. Und er wird von einer Flotte unterstützt, die das Tempo so hoch hält, dass kaum ein Widersacher entwischen kann. Die Dominanz von Thomas und Sky geht auch mit dem Aussterben der angriffslustigen Kletterer einher, Vincenzo Nibali, der in Alpe d'Huez stürzte, oder Alberto Contador, Toursieger a.D.

Thomas ist das jüngste Gesicht dieses Trends, aber der Stratege dahinter ist der Teamchef David Brailsford. Der Waliser, kahler Schädel, fester Blick, hat es geschafft, sich drei Tour-Sieger am Computer zu züchten, mit einem Heer an Experten und strengem Regiment. Einen streitbaren Geist wie Bradley Wiggins, Skys ersten Tour-Champion, trieb das oft zur Verzweiflung. Froome und Thomas sind da willigere Schüler. Und wer schwächelt, wie Froome in diesem Jahr, hat den Nachfolger schon im Nacken. Froome fügte sich, fürs Erste, sein Vertrag läuft noch bis 2020. Thomas' Kontrakt läuft nach dieser Saison aus. Und im Hintergrund wartet schon der 21 Jahre alte Kolumbianer Egan Bernal.

Der Fahrer sei Brailsford letztlich egal, hat dessen einstiger Angestellter Wiggins bei dieser Tour gesagt, für den Teamchef zähle der Sieg, sonst nichts. Dafür spiele er die Fahrer schon mal gegeneinander aus. Der ehemalige Trainer Ken Matheson, der Brailsford aus dessen Zeit beim britischen Rad-Verband kennt, hat das Klima unter dem Waliser mal beschrieben als von "Angst und Einschüchterung" geprägt; Brailsford nennt es "intensiv". Unterstützung erfuhr er stets von Thomas; der neue Vorfahrer sprang seinem Chef auch bei, als Brailsford erst in diesem Frühjahr vom britischen Sportausschuss ein katastrophales Anti-Doping-Management attestiert wurde. "Ich kann nur sagen, dass wir sauber und hart arbeiten", sagte Thomas am Samstag, dann fügte er an: "Mein Sieg wird den Test der Zeit überstehen."

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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