Tour de France:Team Sky schafft ein Vermächtnis mit Schatten

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Mannschaft im Zweifel: Geraint Thomas, Chris Froome und Egan Bernal vom Team Sky. (Foto: AFP)
  • Geraint Thomas wird in Paris die Tour de France gewinnen. Es ist der sechste Triumph eines Sky-Fahrers in sieben Jahren.
  • Zuvor gewannen Chris Froome und Bradley Wiggins die Frankreich-Rundfahrt.
  • Das Team wird von den Zuschauern ausgepfiffen - zu viele Fragen kann die Mannschaft nicht beantworten.

Von Johannes Knuth, Paris

Die britische Radsport-Equipe Sky hat bei der Tour vor ein paar Tagen zur Pressekonferenz geladen; rund 100 Journalisten drängelten sich vor dem Teamhotel in eine Art Gartenlaube, die höchstens für ein Drittel der Gäste ausgelegt war. David Brailsford, der Teamchef, trat als Erster vor die Reporter, man verstand ihn sehr schwer - was zum einem dem Bagger geschuldet war, der durch das benachbarte Industriegebiet knatterte, zum anderen sprach Brailsford recht leise. Aber der Blick aus seinen hellblauen Augen war stechend, wie immer. Und seine Worte: voller Schärfe und Wut.

Es ging um die Anfeindungen, die sein Team bei dieser Rundfahrt bislang erduldet hatte. Zuschauer, die die Fahrer auspfiffen, bespuckten, schubsten. "In Italien oder Spanien hatten wir nie Probleme", begann Brailsford sein Impulsreferat über französische Gastfreundschaft. Aber die Fans bei der Tour, vor allem die spuckenden, "das ist offenbar etwas Französisches, oder nicht?" Wenn die Tour die besten Teams der Welt beherbergen wolle, fuhr Brailsford fort, dann solle das Publikum den Fahrern bitteschön respektvoller gegenübertreten. Ein Journalist merkte daraufhin an, dass ja nur Sky derart gepeinigt werde - ein Hinweis auf die vielen Affären der Briten, die der Reporter nicht erwähnte. "Naja, die anderen Teams gewinnen halt nicht wie wir", entgegnete Brailsford listig. Dann fragte er: "Oder wissen Sie, warum wir so unbeliebt sind?"

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Geraint Thomas wird als erster Waliser die Tour de France gewinnen, weil er als einziger Fahrer keine Schwäche zeigte. Im Ziel wird er von seinen Gefühlen überwältigt.

Von Johannes Knuth

Nun, Brailsfords Mannschaft wird auch die 105. Tour de France gewinnen. Ihr Führender Geraint Thomas wird das Leibchen an diesem Sonntag bis nach Paris tragen. Es wird Skys sechster Triumph in den vergangenen sieben Jahren, nach Bradley Wiggins (2012), Christopher Froome (2013, 15-17) und Thomas, dem das Team in den vergangenen Wochen nahezu geräuschlos Froomes Kapitänsrolle vermachte. Es wäre auch der vorläufige Höhepunkt von Skys Herangehensweise, mit der sie vor neun Jahren in den Radsport eintraten: die minutiöse Züchtung eines künftigen Toursiegers am Laptop, mit Rechenprogrammen, Experten, viel Geld.

Allerdings geht es bei dieser Dominanz längst nicht mehr um die Überlegenheit eines Systems. Sondern um ein Team, in dem sich beides bündelt, die großen Erfolge und die noch größeren Zweifel daran.

Als Sky vor neun Jahren die Szene betrat, neigte sich das Hochdopingzeitalter um Rasmussen, Basso und Ullrich gerade dem Ende zu. Eine neue, vom britischen Medienmogul Rupert Murdoch alimentierte Mannschaft wollte in fünf Jahren einen britischen Fahrer zum Tour-Sieg führen, mehr noch: "Unser Job ist es, zweifellos zu beweisen, dass die Tour sauber gewonnen werden kann. Das Vermächtnis dieses Sieges wäre phänomenal" - so hat das Brailsford damals gesagt. Der Waliser hatte Großbritanniens Bahnfahrer bei Olympia 2008 zu 14 Medaillen geführt, Bradley Wiggins gewann zwei goldene. Die Architektur dahinter wollte Brailsford nun auch bei Sky installieren: Sportliche Leiter sollten sich nur noch um die Renngestaltung kümmern, Physiologen um Trainingspläne, die Fahrer würden sich besser ernähren und auf weicheren Matratzen schlafen - viele kleine Details, die zu einem großen Vorteil verwachsen sollten. Die "marginal gains" waren geboren. "Früher gab es vor allem Doping, da mussten die Fahrer nicht trainieren", behauptete Brailsford, "unsere Fahrer trainieren richtig. Das ist eigentlich alles."

Wirklich alles?

Mittlerweile ballen sich die Affären. Medizinische Ausnahmegenehmigungen für Wiggins, die er zuvor nie erwähnt hatte, und die ihm rein zufällig vor großen Rundfahrten Zugang zu Corticosteroiden verschafften. Mysteriöse Medikamentenpakete, die von England bis nach Frankreich geschafft wurden. Eine späte Erklärung; es habe sich um einen speziellen Hustensaft gehandelt. Nachweise? Auf dem Computer des Teamarzts. Der PC? Leider gestohlen. Die Affäre? Bis heute nicht geklärt. Da waren auch Testosteronpflaster, die angeblich aus Versehen an den Teamsitz geliefert wurden, und Untersuchungen des britischen Sportausschusses. Der bilanzierte vor einem Jahr, Skys Reputation liege "in Scherben".

Und, klar: der Aufstieg von Froome, einem Hinterherfahrer, der sich vor acht Jahren von einer Wurmkrankheit erholte und dann sechs große Rundfahrten auf sich vereinte. Sky versuchte die aufkeimende Skepsis zu ersticken, indem es Froomes Leistungsdaten publizierte, doch die Werte waren wenig aufschlussreich. Als Froome im vergangenen September mit einer Überdosis Salbutamol auffiel, zog sich die Affäre bis kurz vor der Tour. Die Welt-Anti-Doping-Agentur begründete den Freispruch damit, dass Froome den Grenzwert auch mit einer erlaubten Dosis überschritten haben könnte; sie stellte die Erklärungen des Briten über ihre Regeln. Als Sky gefragt wurde, ob sie zusätzliche Daten veröffentlichen würden, verwiesen sie auf die Behörden. Die Behörden verwiesen auf Sky. Brailsford arbeitete sich derweil an den inakzeptablen, tätlichen Übergriffen auf seine Fahrer ab, die Affären seines Teams sparte er aus.

Sieht so das Vermächtnis aus, das Sky dem Sport vor neun Jahren versprach?

Fürs Erste gelten die amtlichen Bilder von bald wohl sechs Tour-Siegen, solange nicht andere Wahrheiten dahinter hervorkommen. Fürs Erste ist da der Triumph eines Teams, das sich drei Tour-Sieger züchtete, dazu eine Flotte an Helfern, die ihre Kapitäne kalkuliert von Sieg zu Sieg zogen. Thomas wäre so gesehen ein logischer Thronfolger, er, der 2008 und 2012 Olympiagold mit der Mannschaft auf der Bahn gewann, sich folg- und strebsam bei Sky hochdiente. Als Brailsford vor einem Jahr wegen der anhaltenden Dopinggerüchte vor den britischen Sportausschuss zitiert wurde, war Thomas der erste, der seinem Chef öffentlich zusprach.

Schwer zu glauben, dass Skys Hegemonie demnächst gebrochen wird. Er habe schon seine Equipe im Kopf, mit denen er in drei Jahren gewinnen wolle, sagte Brailsford zuletzt. Ob mit Froome, Thomas oder dem 21-jährigen Egan Bernal, der in diesem Jahr eingelernt wurde? Dem Teamchef dürfte das egal sein, wie immer. Der wahre Sieger der Tour heißt auch in diesem Jahr: David Brailsford. Auch wenn das eine Macht ist, die den Respekt nur noch in Spurenelementen enthält.

© SZ vom 28.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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