Paul Auster war zwar nicht der Erste, wohl aber derjenige, der einen naheliegenden Gedanken am schärfsten zu Papier brachte. Als er sich vor ein paar Jahren einem Phänomen namens Fußball näherte, formulierte er nämlich einen Satz, der es in seiner Prägnanz aufnehmen konnte mit dem Clausewitz'schen Diktum vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.
"Als ich im Sommer 1998 die Weltmeisterschaft anschaute und die Fans der verschiedenen Nationen die Fahnen ihrer Länder schwenken und patriotische Lieder singen sah", schrieb der amerikanische Schriftsteller Auster, "wurde mir klar, dass die Europäer endlich einen Ersatz für Kriege gefunden haben."
105-jährige Zeitzeugin:Was die Schülerin Trudl vom Ersten Weltkrieg mitbekam
Kaiser Wilhelm II. herrscht über die Deutschen, als Gertrud Dyck 1908 in Berlin geboren wird. Sie kommt in die Schule, als der Erste Weltkrieg ausbricht. Ist Mutter, als der Zweite Weltkrieg tobt. Eine 105-Jährige erinnert sich.
Mitten im Ersten Weltkrieg, vor knapp hundert Jahren also, war nicht einmal ansatzweise daran zu denken, dass der Fußball einmal eine derart mächtige Wirkung erreichen könnte und zum Patriotismus-Methadon werden würde. Eine kleine, längst sagenumwobene Rolle spielte der Fußball dennoch, am Rande einer der bemerkenswertesten Episoden des Kriegs überhaupt. Denn wie in Briefen von Soldaten überliefert ist, ließen am Weihnachtsabend 1914 erschöpfte deutsche und britische Soldaten in Flandern ihre Waffen ruhen. Sie legten ihre Helme beiseite, kletterten schließlich aus den Schützengräben und spielten gegeneinander: Fußball.
Genau an diese, auch schon fürs Kino verfilmte Episode soll im kommenden Jahr feierlich erinnert werden - mit dem Segen der Europäischen Union. An diesem Dienstag beschlossen die Sportminister auf ihrer Ratstagung, ein entsprechendes Gedenkprojekt der europäischen Fußballunion Uefa zu unterstützen.
Erste Ideen kursieren bereits
Wie die Gedenkveranstaltung genau aussehen soll, ist zwar noch nicht festgelegt, einige Ideen aber kursieren bereits. So ist die belgische 35 000-Einwohner-Stadt Ypern als Spielort im Gespräch, außerdem sollen eher keine aktuellen Fußball-Millionäre gegeneinander antreten, sondern Jugendliche aus verschiedenen europäischen Ländern. Und auf der Tribüne würde sich die Politprominenz tummeln.
Sowohl der Ort wie auch der Einsatz von Jugendlichen trügen Reminiszenzen an die Vergangenheit in sich. Nicht nur, weil sich das erste Weihnachtsspiel nahe Ypern zutrug, nachdem übrigens ein Schotte einen Ball ins Niemandsland geworfen haben soll, der dann zwischen Toren aus Pickelhauben und Helmen hin und her gestoßen wurde. Sondern weil die in diversen Flandern-Schlachten bestialisch umkämpfte Stadt, vor deren Toren mehr als eine halbe Million Menschen starben, auch der Ort war, wo die deutsche Armee erstmals Chlor- und Senfgas einsetzte.
Der Einsatz von Jugendlichen wiederum stünde sinnbildlich für Abertausende Kindersoldaten, die auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs dem chauvinistischen Wahn zum Opfer fielen.