Fußball:Zwischen Müll und Hoffnung: DFB-Präsident Grindel in Mexiko

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Chimalhuacán (dpa) - Verwesungsgeruch liegt über den Hügeln von Chimalhuacán, Vögel ziehen am Himmel ihre Kreise und die Sonne brennt auf Tonnen von stinkendem Abfall herab: Für seine erste größere Auslandsreise hätte sich der neue DFB-Präsident sicher glamourösere Ziele aussuchen können.

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Chimalhuacán (dpa) - Verwesungsgeruch liegt über den Hügeln von Chimalhuacán, Vögel ziehen am Himmel ihre Kreise und die Sonne brennt auf Tonnen von stinkendem Abfall herab: Für seine erste größere Auslandsreise hätte sich der neue DFB-Präsident sicher glamourösere Ziele aussuchen können.

Aber jetzt steht Reinhard Grindel in blütenweißem Hemd auf einer großen Müllkippe am Rande der Millionenmetropole Mexiko-Stadt und lässt sich von Adriana Pegueros ihre Arbeit erklären. „Wir suchen in dem Müll nach Wertstoffen“, sagt die 38-Jährige. „Karton und Papier, Glas und Blech.“ Zwischenhändler kaufen ihr die gebündelten Rohstoffe ab, die sie in mühseliger Handarbeit aus den Müllbergen fischt. 100 Pesos, rund fünf Euro, verdienen ihr Mann und sie so durchschnittlich pro Tag.

Das reicht kaum zum Leben. Die vierfache Mutter sucht in dem Abfall deshalb auch nach Essbarem. „Wenn wir verpackte Lebensmittel oder geschlossene Dosen finden, essen wir das auch“, sagt Pegueros. „Das Verfallsdatum hat für uns keine Bedeutung, unsere Mägen haben sich schon an so einiges gewöhnt.“

Seit der Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko unterstützt der DFB in dem lateinamerikanischen Land eine ganze Reihe von Hilfsprojekten. Der damalige Delegationsleiter und spätere Verbandspräsident Egidius Braun hatte einige Nationalspieler in ein Waisenhaus in Querétaro mitgenommen. Rudi Völler war einer der ersten, der angesichts der katastrophalen Zustände das Scheckbuch zückte.

Später spendeten auch Franz Beckenbauer, Toni Schumacher und Oliver Bierhoff. Seit einigen Jahren kooperiert der Fußball-Bund bei seinen verschiedenen Projekten der Mexiko-Hilfe mit dem Kindermissionswerk Sternsinger. „Die Mexiko-Hilfe sehe ich schon als eine Art Lebenswerk an“, sagte Braun einmal. Bislang flossen 5,5 Millionen Euro nach Mexiko. „Wir sind einst hierher gekommen, um Fußball zu spielen, aber wir haben auch eine soziale Verantwortung“, sagt Grindel.

Der DFB-Chef inspiziert in Mexiko nun die von seinem Vorgänger angestoßene Initiative. „Können wir bei dem Einfluss der organisierten Kriminalität hier denn sicher stellen, dass auch jeder Euro Spendengeld dort ankommt, wo er hingehört“, fragt DFB-Chef Grindel vor dem Besuch der Müllkippe den Jesuitenpater Sergio Cobo González. In solchen Momenten zeigt sich der ehemalige Journalist in dem Verbandsfunktionär. Er will alles ganz genau wissen.

Auch im Gespräch mit der Müllsucherin Pegueros hakt Grindel immer wieder nach: „Wo sind Ihre Kinder?“, „Wer organisiert Ihre Arbeit hier?“, „Wer sind die Zwischenhändler?“ Im Gegensatz zu ihren Kollegen, die direkt auf der Müllkippe leben, wohnt Pegueros mittlerweile in einem gemauerten Haus in einer normalen Wohngegend.

Gleich um die Ecke liegt die vom DFB geförderte Kindertagesstätte FAE. Dort werden rund 100 Kinder betreut, von sechs Monaten bis sechs Jahren. Ihre Eltern arbeiten zum größten Teil auf der Müllkippe. „Der Schlüssel zu allem ist eine gute Bildung“, sagt Grindel. „Durch Kitas, Schulen und berufliche Ausbildung können diese Kinder einen Weg aus der Müllkippe herausfinden.“

Grindel ist eigentlich zum FIFA-Kongress nach Mexiko gekommen. Der neue Verbandschef will sich mit Kollegen aus der ganzen Welt treffen und Kontakte knüpfen. Auch mit FIFA-Chef Gianni Infantino steht ein Termin an. Vor die Verbandspolitik hat er aber bewusst den Besuch der Sozialprojekte gestellt.

„Der Fußball erreicht die Menschen auf der ganzen Welt. Wir müssen die Strahlkraft des Sports dazu nutzen, die Dinge zum Besseren zu wenden“, sagt Grindel. Dass das möglich ist, zeigten die Projekte in Mexiko. „Ich bin beeindruckt vom Engagement der Eltern, damit ihre Kinder es einmal besser haben als sie selbst. Das wollen wir unterstützen.“

Tatsächlich gibt es einen Ausweg aus der Müllkippe. Die Kinder von Adriana Pegueros sind in den Kindergarten und die Schule gegangen, einer ihrer Söhne fährt heute Motorrad-Taxi. Müll sammelt keines ihrer Kinder. „Das ist hier kein Platz für Kinder. Es ist ungesund und gefährlich“, sagt Pegueros. Die Frau, weiß, wovon sie redet: Sie arbeitet auf der Müllkippe, seit sie acht Jahre alt ist.

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