Wie ein Feldmarschall steht Stanislaw Tschertschessow in der Mitte des Platzes, um den Hals Trillerpfeife und Stoppuhr. Der Trainer von Russlands Nationalelf gibt sich als eher altmodischer Übungsleiter. Um ihn herum läuft in weißen T-Shirts ein großer Pulk Nationalspieler seine Runden. Im Stubaital in Österreich bereitet sich die Sbornaja gerade auf die Heim-WM vor. Größtmögliche Ruhe soll das Trainingslager garantieren, dabei begleitet Russland aber nicht zuletzt ein Problemthema: der Dopingverdacht gegen zumindest einige der Herren in den weißen Hemden - und der Umgang damit durch den Fußball-Weltverband.
Ende Mai versuchte die Fifa, das Thema für beendet zu erklären. Die Untersuchungen gegen alle Mitglieder des vorläufigen WM-Kaders seien eingestellt worden, hieß es - mangels "ausreichender Beweise" für einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln. Es ist ein offensichtlicher Versuch, die Causa vor dem Turnier im Sommer abzumoderieren. Doch das dürfte vergeblich sein: Das Thema ist noch lange nicht vorbei, die Fragen sind zahlreich.
Die Fifa sei eine von vielen internationalen Sportorganisationen, die "den russischen Doping-Betrug unter den Teppich kehren wollen", sagte etwa Jim Walden, der Rechtsanwalt des Doping-Kronzeugen Grigorij Rodtschenkow.
Fußball:Fifa sieht keine Doping-Verstöße in Russlands aktuellem WM-Kader
Der Fußball-Weltverband entlastet den WM-Gastgeber "mangels ausreichender Beweise". Im McLaren-Report zum Staatsdoping waren 154 russische Fußballer erwähnt worden.
Der komplette russische Kader der WM 2014 gilt als verdächtig
Es gibt inzwischen zahlreiche Stränge, bei denen in dieser jahrelangen Staatsdoping-Affäre der Fußball ins Spiel kommt. Da ist zunächst der Bericht von Sonderermittler Richard McLaren für die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada aus dem Dezember 2016. Unter rund 1000 verdächtigten Athleten sind auch, in anonymisierter Form, 34 Fußballer.
Das heißt nicht, dass Doping-Beweise vorliegen - ist aber nach McLarens Ansicht ein Grund für Nachforschungen. Zu den 34 zählt der komplette WM-Kader 2014 in Brasilien, weil es damals zu einem seltsamen Vorgang kam: Am 3. Juni 2014, kurz vor der Abreise nach Brasilien, gab das komplette Team in Moskau eine Dopingprobe ab, begleitet von einer auffälligen Mail zwischen zwei Eckpfeilern des Manipulationssystems. "Wir müssen herausfinden, ob sie gesund sind", schrieb ein Mitarbeiter des Sportministeriums an Moskaus Laborchef Rodtschenkow.
"Herausfinden, ob sie gesund sind"? Das ist ein Vorgang, der an die Ausreisekontrollen erinnert, mit dem etwa die DDR früher sicherstellte, dass zu Hause gedopte Athleten im Ausland nicht auffallen. Russlands Fußballverband RFS weist das zurück; er bezeichnet den Vorgang als absolut standard- und gesetzesmäßig.
Aus dem damaligen WM-Kader stehen heute noch acht Akteure im Aufgebot. Doch wie intensiv ging die Fifa dem nach? Der Weltverband sagt generell, er äußere sich zu Einzelfällen nicht. Der RFS teilt mit, dass es zu diesem Vorgang keine Rückfragen der Fifa gegeben habe.
Neben dem 2014er-Kader tauchten elf weitere Fußballer in McLarens Unterlagen auf. Darunter waren einige Nachwuchsfußballer, von denen zwei sogar schon früher gesperrt worden waren. Laut RFS resultierte aus dieser Liste nur ein weiteres Ermittlungsverfahren der Fifa, bei Nicht-Nationalspieler Iwan Knjasew, aber das sei inzwischen eingestellt.
Doch ein anderer Name fällt auf: Ruslan Kambolow von Rubin Kasan. Der stand im vorläufigen WM-Kader, wurde aber wegen einer Verletzung herausgenommen. In einer Probe von ihm aus dem Jahr 2015 war die verbotene Substanz Dexamethason aufgetaucht, ein Mittel, das entzündungshemmend wirkt. Nach RFS-Angaben eröffnete die Fifa kein formales Verfahren, sondern es habe nur "einige weitere Fragen" an den Spieler gegeben. Der Weltverband sagt dazu nichts.
Aber nicht nur aus dem McLaren-Report ergaben sich Verdachtsfälle, sondern auch aus anderen Vorgängen. So stellte die Wada im Dezember 2014 nach ersten Medienberichten über Russlands Staatsdopingsystem bei einer Razzia im Moskauer Labor mehr als 3000 Proben sicher; darunter auch 154 aus dem Fußball. Zudem erhielt die Wada im vergangenen Jahr von einem Kronzeugen eine Datenbank, in der alle Vorgänge aus dem Moskauer Labor von 2012 bis 2015 aufgezeichnet sind.
Im Dezember 2017 übersandte die Wada Erkenntnisse daraus an verschiedene Spitzenverbände, kurz danach landete ein Schreiben der Fifa beim RFS. Die Bitte: Zu 19 Proben, die offenkundig der Wada verdächtig waren, sollten die jeweiligen Spieler genannt werden. Aus dem Antwortschreiben ergibt sich, dass der Verband zu acht der 19 Proben keine Angaben machte. Diese seien nicht in Russland genommen worden, teilt der RFS mit. Die Proben der übrigen elf Spieler sind demnach alle aus den Jahren 2012 und 2013.
Darunter sind auch drei Akteure, die zum aktuellen WM-Kader gehören - und einer aus dem Kader eines anderen WM-Teilnehmers, der in Russland spielt. Nach Angaben des RFS führte aber nur eine dieser elf Proben zu Ermittlungen durch die Fifa; der entsprechende Spieler, Pjotr Nemow, spielte ebenfalls nie für die Sbornaja und beendete seine Karriere bereits. Die Fifa will nichts sagen, obwohl es doch einen Grund gegeben haben muss, warum diese 19 Proben bei der Wada Klärungsbedarf hervorriefen.
"WL", also Witalij L. Mutko, entschied über Positivproben
Aber offenkundig entstanden aus den Erkenntnissen der Wada aus der Datenbank weitere Fragen. So berichtete die ARD kürzlich von einer anderen Liste, auf der verdächtige Proben von aktuellen Nationalspielern verzeichnet seien. Offenkundig stammen diese aus dem Jahr 2014.
Für die Fifa ist der Fall mit Blick auf aktuelle Nationalspieler aber abgeschlossen, nur gegen Fußballer, die nicht im Kader stehen, werde noch ermittelt. Und die Fifa verweist darauf, dass die Wada damit einverstanden gewesen sei. Dabei ist die Frage, wie intensiv der traditionell russland-nahe Weltverband seine Investigation zu Doping-Hinweisen einzelner Fußballer tatsächlich betrieb. So erklärt die Fifa etwa, dass sie die 154 sichergestellten Proben sowie sämtliche noch verfügbaren Proben aller im McLaren-Report genannten Spieler noch einmal untersucht habe.
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Aber auf welche Wirkstoffe genau sie dies getan habe und wie viele Proben von Spielern aus dem McLaren-Report genau sie nachgetestet habe, will sie nicht mitteilen. Und der RFS sagt, er sei von der Fifa nur auf die elf Fälle aus dem McLaren-Report und die 19er-Liste aus dem Dezember 2017 angesprochen worden. Dabei ergaben sich doch zu deutlich mehr aktuellen russischen Nationalspielern Fragen.
Aber die Prüfung der einzelnen Fälle ist ohnehin nur das eine. Das andere ist die Bewertung des Systems. Es war ja der Sinn des ganzen Konstrukts, dass sich nur noch wenig nachweisen lässt. Ein Beispiel von vielen: Als die Affäre begann, zerstörten Verantwortliche im Moskauer Labor eine vierstellige Anzahl an Proben. Sollte darunter keine aus dem Fußball gewesen sein?
Zudem sprach Wada-Ermittler McLaren von Hinweisen auf eine Urinbank speziell für Fußballer, mit deren Hilfe kontaminierte Proben in saubere umgewandelt wurden. Und dass der Fußball Teil des russischen Vertuschungssystems war, legt nicht zuletzt eine Mail nahe, laut der "WL" darüber befand, ob eine Positivprobe eines Kickers zu melden oder zu ignorieren sei: WL - die Initialen des damaligen Sportministers Witalij Leontjewitsch Mutko. Aber auch das scheint die Fifa nicht zu interessieren.