Bei der Fußball-WM in Russland beginnt am Samstag die K.o.-Runde. Mit Cristiano Ronaldo (Portugal) und Lionel Messi (Argentinien) stehen auch die beiden wohl bekanntesten Fußballer der Welt mit ihren Teams im Achtelfinale. Der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer, 74, erklärt, warum Ronaldo für ihn ein unsicherer Mensch ist und weshalb sich so viele Außenseiter mit Messi identifizieren können.
SZ: Herr Gebauer, Cristiano Ronaldo ist neben Lionel Messi der beste Fußballer des Planeten. Er schießt viele Tore, feiert große Titel, aber gleichzeitig polarisiert er mit seinem Kraftmeier- und Angebertum wie kaum ein anderer. Hat er das nötig?
Gunter Gebauer: Er hat ein Showgehabe auf dem Platz, eine männliche Eitelkeit, die durch viele Gesten, Haltung, Kleidung, Makeup, Hairstyling deutlich hervorgehoben wird. Das ist etwas, das dem Männlichkeitsbild des normalen Fußballfans deutlich widerspricht.
Hinzu kommt sein Filmstargehabe.
Cristiano Ronaldo inszeniert sich gern als John Wayne, als breitbeiniger Pistolenheld. Das Interessante dabei ist ja, dass diese Rolle seiner femininen Aufmachung widerspricht. Ein John Wayne mit lackierten Fingernägeln ist eigentlich undenkbar. Da kommen zwei Showelemente zusammen, die überhaupt nicht zusammenpassen. Das ist für viele total befremdend. Die Filmfreunde sind abgestoßen vom Widerspruch zu dem John-Wayne-Bild. Und die Fußballfans sind es von der weiblichen Inszenierung.
Braucht er das für sein Spiel?
Er braucht es für seine Persönlichkeit, für sein Spiel braucht er das überhaupt nicht. Sein Spiel ist brillant und absolute Weltklasse. Das kann man nur bewundern.
Deshalb rennen seine Mitspieler auch für ihn.
Seine Leistung auf dem Platz ist ganz entscheidend, die Tore fallen durch ihn. Und sie fallen in kritischen Momenten, wenn sie wirklich gebraucht werden, wie man schon oft in der Champions League gesehen hat. Oder zuletzt bei der WM im Spiel gegen Spanien, als er in der letzten Minute den Freistoß zum 3:3 verwandelt hat. Ronaldo ist da, wenn es darauf ankommt und zeigt sich als großartiger Sportsmann. Man darf ja nicht vergessen, dass er auch alles für sein Team gibt und sehr mannschaftsdienlich spielt. Er ist kein totaler Egozentriker und gibt den Ball auch in Szenen ab, in denen er hätte selbst schießen können. Als Mitspieler wäre ich sehr froh, wenn ich Ronaldo neben mir hätte. Als Zuschauer habe ich zwiespältige Gefühle.
Wann schadet der Personenkult einer Mannschaft?
Das hängt bei Ronaldo ganz stark davon ab, wie er in Form ist. Wenn er fußballerisch brilliert, technisch und taktisch, dann ist er ein sehr großer Gewinn für die Mannschaft. Wenn er nicht gut drauf ist und trotzdem sein Gehabe hat, dann schadet er der Mannschaft.
Der Argentinier Messi ist viel ruhiger, fast schüchtern und in sich gekehrt, oft mit herunterhängenden Schultern. Braucht der Fußball diese zwei Antipoden?
Ronaldo wirkt auf mich wie ein sehr unsicherer Mensch, der versucht, sich durch Showgehabe Sicherheit zu holen - und damit übertreibt. In der Linguistik nennen wir das Hyperkorrektur. Das heißt zum Beispiel, dass Menschen in den USA, die verbergen wollen, dass sie aus den Südstaaten eingewandert sind, die Vokale, die im Süden lang gesprochen werden, extrem kurz sprechen. In übertriebener Weise. Bei Ronaldo ist sein Verhalten eine Hyperkorrektur des eigentlichen Underdogs. Er muss um öffentliche Aufmerksamkeit ringen, um überhaupt sein Ich zu konzipieren.
Und Messi?
Bei ihm hat man das Gefühl, dass er in sich ruht. Er ist von seiner Qualität total überzeugt. Der kann vollkommen mannschaftsdienlich spielen, den sieht man häufig ja überhaupt nicht. Er verschwindet im Spiel und taucht dann in den entscheidenden Momenten wieder auf, macht zwei Haken und schießt sein Tor oder gibt an einen freistehenden Nebenmann ab. Messi ist ein Held für eine ganz andere Art von Bewunderern.
Für die Fußballpuristen?
Aber auch die Mädchen finden ihn großartig, weil er ein Lieber ist. Und sich nicht so aufspielt wie die Jungs auf dem Schulhof. Das gilt natürlich genauso für die Jungs. Für die Unscheinbaren, die plötzlich aus dem Dunkeln auftauchen und im Licht stehen. Da ist Messi das Ideal für sie. Das ist ihr Traum, niemand hat sie zuvor beachtet und eines Tages fällt der Scheinwerfer auf sie, weil sie etwas Besonderes können. So wie in dem Film "Good Will Hunting", wo der Außenseiter plötzlich zum Helden wird. Das ist das Gegenteil von John Wayne.