Er hatte schon lange geahnt, in einer dieser Fußballdateien zu stehen. Bei Verkehrskontrollen waren die Beamten besonders gründlich. Wenn er in ein Land außerhalb Europas reiste, ließen ihn die Schranken am Flughafen oft nicht durch. Er musste dann Fragen beantworten: Wohin geht es, mit wem, warum? Einmal sei es nicht dabei geblieben, erzählt der Münchner Fan Florian Marzell, der eigentlich anders heißt. Ende 2016 wollte er mit Freunden ein Länderspiel in Osteuropa besuchen, nebenbei Land und Leute kennenlernen. Doch daraus wurde nichts.
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Beim Einsteigen in den Flieger führten ihn die Bundesbeamten ab und teilten ihm mit, dass gegen ihn ein Ausreiseverbot ausgesprochen werde: Er dürfe die Bundesrepublik für vier Tage nicht verlassen. Zudem müsse er an seinen bayerischen Wohnsitz zurückkehren und sich täglich beim Amt melden. Dass Fans von Dortmund und Schalke ebenfalls an Bord waren, ließe nur einen Schluss zu, so die Begründung: Deutsche Hooligans hätten sich zum gemeinsamen Randalieren im Ausland verabredet. Und er sei einer von ihnen.
"Völlig absurd" nennt Marzell die Anschuldigungen. Er ist Monteur, ein Mann mit brummender Stimme, er schüttelt den Kopf, wenn er davon spricht. Erst habe er Wut, dann "Hilflosigkeit" empfunden. Er ist nie von einem Gericht verurteilt worden, nicht vorbestraft.
Die Datei "Gewalttäter Sport" jährlich kontrollieren?
So wie Marzell geht es vielen Fans in Deutschland. Mehr als 10 000 werden derzeit in der Datei "Gewalttäter Sport" geführt. Schon eine Feststellung der Personalien, eine oft präventive Maßnahme im Rahmen eines Fußballspiels, Beleidigungen oder Platzverweise können ausreichen, um hineinzugelangen. Eingetragen werden Personendaten, äußerliche Merkmale bis hin zu Tattoos und Schuhgröße, letzte Aufenthaltsorte und Begleitpersonen. Das passiert meist heimlich, die Betroffenen werden nur in Bremen und Rheinland-Pfalz über eine Speicherung informiert. Alle eingeleiteten Verfahren werden erfasst, nicht aber deren Ausgang oder der Grund für die Aufnahme in die Datei.
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Es gehört zur polizeilichen Praxis, gegen eine Gruppe von Fans, in der Einzelne straffällig geworden sind, pauschal Anzeige zu erstatten, um überhaupt ermitteln und Übeltäter identifizieren zu können. Wenn die Verfahren eingestellt werden, wirkt sich das aber nicht auf die Datei aus: Auch Unbeteiligte bleiben gespeichert.
Zur WM in Russland könnten nun auch diese Fans mit Einschränkungen rechnen müssen. Bei der Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS), die die Datei verwaltet, sind bereits Anfragen russischer Behörden eingegangen, Informationen über deutsche Fans zu übermitteln. Das geht aus den Antworten des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine kleine Anfrage der Grünen hervor. Schon beim Confed-Cup 2017 wurden Fandaten nach Russland weitergereicht, es ging um fünf Personen.
Nun erscheint die Weitergabe einerseits sinnvoll - die Bilder pöbelnder Fans beim Länderspiel in Prag im vergangenen September, als eine Gruppe deutscher Anhänger rechtsextreme Parolen rief, sind noch präsent. Das Verfahren wurde laut einem Bericht des WDR eingestellt, weil keine sogenannten Störer zu identifizieren waren. Die Anwesenheit deutscher Hooligans in Russland sei wahrscheinlich, heißt es.
Anderseits ist die Weitergabe nach Russland umstritten. Gewöhnlich obliegt es der EU-Kommission, das Datenschutzniveau in Drittstaaten zu bewerten, für Russland gibt es einen solchen Beschluss aber nicht. Der Datenschutz in Russland entspreche "im Wesentlichen Regelungen in EU-Staaten", betont zwar die Bundesregierung. Monika Lazar, Obfrau der Grünen im Sportausschuss, bezweifelt jedoch, dass die Daten in Russland adäquat geschützt werden.
Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern seien vor dem Confed-Cup nicht befragt worden: "Man muss also von einer rechtswidrigen Datenweitergabe an ein autoritäres Regime sprechen", sagt sie: "Der Schutz von sensiblen Informationen über Fans wird auch im Vorfeld der WM kaum gewährleistet sein." Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU) warnte vor einer "pauschal präventiven Übermittlung" nach Russland, der Einzelfall müsse geprüft werden.
Fananwalt Marco Noli kennt zahlreiche Fälle wie den Marzells. Oft gebe es Probleme mit Ausreiseverboten zu Fußballspielen, "es passiert relativ willkürlich", sagt er. Noli sieht in der "unsichtbaren" Datensammlung das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Ähnlich äußert sich Lazar, die eine "grundlegende Reform" fordert. Wer in der Datei gespeichert werde, müsse davon erfahren, um sich wehren zu können. "Fußballfans", sagt sie "geben ihre Grundrechte nicht am Stadiontor ab." Zudem glaubt sie, dass es auf tatsächliche Gewalttäter eine abschreckende Wirkung haben könnte, würden sie über die Speicherung informiert. Fans, deren Verfahren eingestellt werden, müssten dagegen gelöscht werden: "Wir brauchen keine aufgeblähte Datei, sondern eine, mit der die Polizei effektiv arbeiten kann."
Es bleibt unklar, ob sich etwas ändert
Änderungen sind in Planung. Laut BMI gibt es einen Entwurf zur Überarbeitung der Datei. Empfehlungen der zu diesem Zweck gebildeten Bund-Länder-Arbeitsgruppe sollen eingeflossen sein. Ihr Abschlussbericht wurde nie veröffentlicht, ist aber auf netzpolitik.org zu finden. Darin spricht sich die Arbeitsgruppe für eine jährliche Kontrolle der Daten aus. Namen von Fans könnten so vor Ablauf der Speicherfrist von fünf Jahren gelöscht werden. Sie könnten aber auch einfacher in der Datei landen, etwa durch den Tatbestand der Bedrohung. Eine Pflicht, die gespeicherten Personen zu informieren, sei "nicht erforderlich". Es bleibt unklar, inwieweit die Empfehlungen umgesetzt werden.
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Marzell geht gegen sein Ausreiseverbot gerichtlich vor. Ihm wird es mulmig zumute, wenn er daran denkt, russische Behörden könnten bald alles über ihn wissen. Er überlegt trotzdem, zur WM zu fahren. "Wenn es sich mit einer coolen Tour verbinden lässt", sagt er.