Englische Nationalmannschaft:"Das ist eine große Schande"

Netherlands v England - International Friendly

Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich nach wie vor die schaurigsten Dinge über den englischen Fußball: Darüber täuscht auch ein 1:0 gegen die Niederland nicht hinweg.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Von Sven Haist, London

Um zu erahnen, wie das Spiel der englischen Nationalmannschaft im Test gegen die Niederlande aussehen würde, genügte ein Blick auf den Aufstellungsbogen. In Englands Startelf befanden sich neben dem Torwart und einem Innenverteidiger gleich vier Fußballer, die ihr Geld in der Premier League als Außenverteidiger verdienen - obwohl Trainer Gareth Southgate gerade eine Formation einüben lässt, in der die Stelle des Außenverteidigers eigentlich gar nicht mehr vorkommt.

Damit dennoch keine Lücke in der 3-4-3-Grundordnung entstand, halfen Kyle Walker (Manchester City) und Joe Gomez (FC Liverpool) in der Dreierkette aus, während Kieran Trippier und Danny Rose (beide Tottenham Hotspur) jeweils die Seiten des Spielfelds abdeckten. Vor allem die Nominierung von Rose sorgte auf der Insel für Verwunderung: Er hat in dieser Saison bei seinem Klub lediglich sechs Einsätze vorzuweisen. Und fehlende Spielpraxis führte Southgate einst indirekt als Ausschlusskriterium bei seiner Zusammenstellung des Kaders an.

Es war nur ein kleines Indiz, es war bloß die Aufstellung in einem Testspiel, das England in Amsterdam mit 1:0 gewann. Doch es passte zum Bild, das der englische Fußball derzeit abgibt. Auf den ersten Blick bereitet sich dort ein Fußball-Gigant mit ganz ordentlichen Ergebnissen auf die Weltmeisterschaft vor. Doch wer genau hinschaut, der findet ein paar Risse in diesem Bild.

Dabei geht es nicht immer um Fußball. Im Vorfeld der Begegnung verwüsteten englische Fans einen Teil der Amsterdamer Innenstadt und lieferten sich eine Auseinandersetzung mit der holländischen Polizei, bei der etwa 100 Hooligans festgenommen wurden. Die meisten von ihnen kamen mit einem Platzverbot und einer Geldstrafe davon. Im Stadion gab es dann den nächsten Eklat, als die englischen Fans die niederländische Hymne gnadenlos auspfiffen. "Das ist nichts, was ich hören möchte", sagte Southgate, er sprach von einer "großen Schande".

Sexistische und rassistische Äußerungen belasten England

Die unschönen Vorfälle fügen sich nahtlos ein in eine Reihe von Skandalen, die den englischen Verband und die englische Bevölkerung zuletzt erschütterten. Es ging um den Vorwurf der Misshandlung von Nachwuchsfußballern, um sexistische und rassistische Äußerungen. "Wir zeigen immer mit dem Finger auf den Rassismus in Russland, dabei haben wir unsere eigenen Probleme nicht mal gelöst. Wir müssen erst unser Haus in Ordnung bringen. Da gibt es einiges, was nicht richtig ist", sagte Southgate vor dem Spiel: "Bis wir das gelöst haben, sollten wir aufhören, solche Dinge woanders abzufeuern."

Southgate will eine weitere Peinlichkeit verhindern

Der Fußball, den er spielen lässt, bietet derweil weder für Lob noch Kritik so richtig Anlass: defensiv stabil, offensiv eher bieder. Dem bedeutungslosen 1:0 in Litauen nach der gelungenen WM-Qualifikation folgten die beiden torlosen Remis in den Freundschaftsspielen gegen Deutschland und Brasilien. Der Sieg im Duell mit den Niederlanden am Freitag, dem ersten Erfolg über Oranje seit der EM 1996, macht die Serie nun auch nicht wesentlich aufregender. Vielmehr zeigte auch diese Begegnung wieder, dass Southgate vor allem gewillt zu sein scheint, eine weitere Blamage zu vermeiden.

Bei der WM 2014 schied England ja nach einem 0:0 gegen Costa Rica in der Gruppenphase aus, bei der EM 2016 im Achtelfinale gegen Island. Die gegenwärtige Spielweise vermittelt den Eindruck, als wolle das Nationalteam eine weitere mögliche Peinlichkeit, nun ja: abwehren. Selbst die Angreifer Raheem Sterling (Manchester City) und Marcus Rashford sowie Spielmacher Jesse Lingard (beide Manchester United) rannten gegen die Niederlande häufig mit an den eigenen Strafraum zurück, obwohl es kaum etwas zu verteidigen gab.

Es geht bisher auch ohne Harry Kane

Auf die Füße fallen könnte Southgates Sicherheitsdenken dem Team zwar gleich zu Beginn der WM, wenn England in der Vorrunde auf Tunesien und Panama trifft, die eher keinen Stürmer aufbieten werden als einen zu viel. Doch damit möchte sich auf der Insel gerade lieber noch keiner befassen, solange es noch gut geht, immerhin der Verletzung von Topstürmer Harry Kane zum Trotz, der bis Freitag sieben der vergangenen 14 Tore der Engländer erzielte hatte. Gegen die Niederlande traf erstmals Lingard im Trikot der Three Lions.

Am Dienstag geht es im heimischen Wembley im letzten Vorbereitungsspiel gegen das biedere Italien, bevor Southgate seinen Kader für die WM benennen wird. Ein rauschendes Fußballfest verspricht wohl auch diese Partie nicht zu werden. Doch aus britischer Sicht wäre es wohl schon ein Fortschritt, stünde der Fußball mal wieder im Mittelpunkt.

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