Fußball-WM: Gesellschaft:Bitte, habt uns lieb!

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Bei dieser WM wurde die Leistung der deutschen Nationalelf nicht mehr nur respektiert, sondern begeistert aufgenommen. Die Freude der Deutschen darüber zeigt: Wir wollen nicht mehr geachtet, sondern auch geliebt werden.

Jürgen Schmieder

Es war eine kleine Umfrage der britischen Times, und weil die Zeitung während der WM jeden Tag eine Umfrage durchführte, stand das Ergebnis auch nur am unteren Rand einer Seite weit hinten im Sportteil. Doch war dieses Resultat derart überraschend, dass nicht wenige deutsche Zeitungen und Radiosender und TV-Stationen darüber berichteten - und zwar nicht am unteren Rand einer Seite weit hinten im Sportteil, sondern prominenter. Die Frage lautete: Welche Mannschaft soll der Brite nach dem Ausscheiden der englischen Nationalelf anfeuern? Ergebnis: Rund zwei Drittel votierten für die deutsche Elf.

Zwei deutsche Fans nach dem Sieg der deutschen Elf gegen England. (Foto: afp)

Überraschender als das Ergebnis der Umfrage war der Umgang der deutschen Medien damit. Guckt mal her, selbst die Briten, die uns beim Thema Fußball meist mit Stahlhelmen und SS-Uniformen konfrontieren, diese Briten mögen unsere Elf. Dazu passte, dass in einem Bericht über die Partie der deutschen Mannschaft gegen Australien der nicht gerade als Fußballkenner bekannte Nicolas Sarkozy zitiert wird, wie er den Charme und die Spielfreude der Deutschen lobt.

An anderer Stelle wird Cafú zitiert, der ehemalige Kapitän der brasilianischen Nationalelf: "Deutschland hat das Militärregime beendet." Die deutsche Elf wurde nicht mehr nur zur Kenntnis genommen und respektiert, sondern begeistert aufgenommen - und in Deutschland wurde das nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern begeistert aufgenommen.

Wir wollen nicht mehr nur geachtet, sondern auch geliebt werden.

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"Jeder Mensch buhlt um Anerkennung", sagt Murat Mermer, Soziologe und Deutschland-Chef der englischen Agentur Harvard. Er beschreibt ein Phänomen, das der Sozialphilosoph Axel Honneth bereits im Jahr 1992 in seinem Buch Kampf um Anerkennung genannt hat. "Anerkennung gab es in den vergangenen Jahren auch, aber auf eine andere Weise. Es war aber vielmehr der Respekt vor den Erfolgen - aber keine Bewunderung dafür, wie diese Erfolge erreicht wurden", sagt Mermer.

Zwei Symbolfiguren der deutschen Elf bei der WM 2002: Carsten Jancker und Jens Jeremies. (Foto: ap)

Die Achtung des Erfolgs und die gleichzeitige Schmähung, wie er erreicht wurde, kulminierte in zwei Aussagen über den deutschen Fußball. Gary Lineker sagte: "Fußball ist ein Spiel, bei dem 22 Spieler 90 Minuten lang hinter einem Ball herjagen und am Ende gewinnt immer Deutschland." Und in Holland gibt es den Spruch: "Bevor wir so spielen wie ihr, scheiden wir lieber früh aus."

"Diese respektvolle Anerkennung ließ sich auch auf andere Bereiche wie Wirtschaft, Gesellschaft und Politik übertragen", sagt Mermer. Die sogenannten deutschen Tugenden wie Genauigkeit, Pünktlichkeit und harte Arbeit und daraus resultierenden Produkte und Leistungen wurden auch in diesen Bereichen bestaunt und respektiert, nachahmen wollte sie indes kaum jemand.

"In Deutschland entwickelte sich aus dieser Form der Anerkennung - Respekt ohne Begeisterung - eine Trotzreaktion, die auch bei Kindern zu beobachten ist", sagt Mermer. Die Menschen kokettierten damit, zwar nicht ansehnlich, aber eben erfolgreich zu sein. Deutlich zu sehen war das während der Weltmeisterschaft 2002, als die Spieler der Nationalelf noch Marko Rehmer und Carsten Ramelow und Carsten Jancker waren.

Es war ein bizarres Bild, das sich da bot: Die deutschen Journalisten prügelten vehement auf die Spielweise der deutschen Elf ein, die sich da von 1:0 zu 1:0 mühte - und die Menschen in Deutschland trafen sich trotzig auf den Straßen und feierten den Einzug ins Finale. "Wir haben so getan, als wäre es uns egal, was die anderen von uns denken", sagt Mermer. Es hätte eine Form der Abgrenzung gegeben, die im trotzigen Satz mündete: "Neid muss man sich erarbeiten." Erarbeiten, nicht erspielen.

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Beim Turnier 2010 indes, als die Spieler Mesut Özil und Sami Khedira und Jérôme Boateng hießen, wären nicht wenige Menschen außerhalb Deutschlands froh gewesen, hätte ihre Nationalelf so gespielt wie die deutsche. Klar, es ist nur Fußball - und die Wirkung kickender Männer auf die Gesellschaft der Nation, für die sie spielen, wird meist falsch interpretiert. Ein in Deutschland lebender Türke hat die gleichen Probleme, ob Mesut Özil nun in der Nationalelf spielt oder nicht. "Es war aber zu beobachten, dass viele Menschen aufgrund der Typen, die im Kader standen, an dieser Mannschaft partizipierten", sagt Mermer. An den Eingangstüren türkischer Restaurants hingen deutsche Fahnen, auf den Fanmeilen waren Menschen mit Migrationshintergrund zu sehen mit deutscher Flagge auf der einen Wange und dem Namen Klose auf der anderen.

So wie die Wirkung einer Nationalelf nach innen meist überschätzt wird, so wird die nach außen unterschätzt. "Die Nationalelf wird als Symbol einer Nation wahrgenommen", sagt Mermer. "Das Verhalten der Spieler wird auf die Menschen im Land heruntergebrochen." Vor wenigen Jahren gab es da noch den verbissenen Torhüter Oliver Kahn, den Schwalbenkönig Jürgen Klinsmann oder den furchterregenden Toni Schumacher. Nun gibt es den unbeschwerten Thomas Müller, den lächelnden Lukas Podolski und den leichtfüßigen Mesut Özil. Diese Elf wird im Ausland gemocht - und die Menschen in Deutschland freuen sich, dass diese Elf gemocht wird.

Ob diese neue Form der Anerkennung nun auch auf andere Bereiche übertragen werden wird, das bleibt abzuwarten. Freilich gilt der deutsche Urlauber immer noch als dauernörgelnder Querulant, der morgens seinen Liegestuhl am Pool mit einem Handtuch besetzt. Ein deutsches Auto wird nicht mit einem Ferrari verglichen werden, nur weil die Nationalelf spritzig daherkommt. "Aber es findet ein Umdenken über Stereotypen statt", sagt Mermer.

Es ist eine neue Generation Fußballer, die Verspieltheit und Offenheit zelebriert - möglicherweise überträgt sich diese Kultur der Leichtigkeit auf das Bild der Gesellschaft als Ganzes. Der ehemalige ghanaische Fußballer Abédi Pelé, der einige Jahre in Deutschland für 1860 München gespielt hat, formuliert es so: "Ihr habt jetzt eine Nationalelf, die zu euch passt."

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