Fußball-WM: Die Deutschen:Tiefe Trauer, großer Stolz

Lesezeit: 2 min

Wohl zum ersten Mal empfindet der Fußballfan nach dem Ausscheiden einer deutschen Elf keine Wut, sondern Trauer und Stolz. Ein größeres Kompliment ist dieser Mannschaft nicht zu machen.

Jürgen Schmieder

31,1 Millionen Menschen sahen die Halbfinal-Partie zwischen Deutschland und Spanien im Fernsehen, mehr Zuschauer wurden bei einer TV-Übertragung bislang noch nie gemessen. Wer nach dem Spiel nicht gleich abschaltete, der sah ein Mädchen auf der Tribüne des Moses-Mabhida-Stadions in Durban. Es war ungefähr sieben Jahre alt, klammerte sich an eine kleine Flagge, die schwarzrotgoldene Gesichtsfarbe war verschwommen. Sie heulte hemmungslos und war weder durch Zureden noch durch Kopftätscheln zu beruhigen.

Tiefe Trauer: ein deutscher Fan nach der Niederlage gegen Spanien. (Foto: getty)

Dieses Bild stand symbolisch für den Gemütszustand vieler Fußballfans an diesem Abend. Auf der Leopoldstraße in München waren kurz nach Mitternacht noch Fans zu sehen, die Arm in Arm nach Hause wackelten, die deutsche Flagge um die Hüften geschwungen. Erwachsene Menschen, die einander stützen. Manch einer hatte Tränen in den Augen. Kaum einer diskutierte über die Partie gegen Spanien, die die deutsche Elf verdient verloren hatte. Kaum einer war wütend, kaum einer schimpfte.

Alle trauerten - und fast alle waren trotz der Niederlage stolz auf diese deutsche Mannschaft.

Ein ähnliches Bild wurde auch aus anderen deutschen Städten gemeldet. Die Anhänger der Jogi-Löw-Elf seien zwar tief enttäuscht, aber friedlich vom Public Viewing, aus Kneipen und Biergärten nach Hause gegangen, berichteten nahezu übereinstimmend Polizeisprecher aus den größeren Städten. Laut Polizei feierten viele deutsche Fans - anders als vor vier Jahren nach der Niederlage gegen Italien - gemeinsam mit den Anhängern der siegreichen Spanier.

Der deutsche Fußballfan empfindet nach dem Ausscheiden der deutschen Elf keine Wut und keinen Groll, sondern Trauer und Stolz. Erinnert man sich an die Turniere der vergangenen Jahre, dann ist dies ein höchst erstaunlicher Vorgang.

WM-Fans beim Feiern
:Karneval in Deutschland

Ja, ist denn schon wieder Fasching? Die Fußballbegeisterten auf den Fanmeilen von Berlin bis München rüsten sich mit Fanartikeln für die große Halbfinalparty gegen Spanien - und feiern WM-Karneval. Die Bilder.

Man denke nur an die Weltmeisterschaften 1994 und 1998, als der deutsche Anhänger Zorn hegte gegen die eigene Elf, die kläglich im Viertelfinale gegen Bulgarien beziehungsweise Kroatien ausschied. Man denke an die Häme und den Spott, mit dem die Nationalmannschaften nach dem Scheitern in der jeweiligen Vorrunde der Europameisterschaften 2000 und 2004 bedacht wurden. Die Teilnahme an den Endspielen der Europameisterschaft 1992 und 2008 und der Weltmeisterschaft 2002 wurde zwar freudig zur Kenntnis genommen, wirklich begeistert waren aber nur wenige - zu holprig war jeweils der Turnierverlauf, zu wenig mitreißend die Spielweise.

Traurig und dennoch stolz: deutsche Fans auf der Tribüne in Durban. (Foto: dpa)

Das Turnier 2006 im eigenen Land stellte einen Sonderfall dar, es war ein singuläres Event, bei dem sich die deutschen Anhänger weltoffen als friedliche und freundliche Fans präsentierten. Die Niederlage im Halbfinale gegen Italien war bitter, doch verlangte das Protokoll des sogenannten Sommermärchens ein Happy End in Form eines Sieges im Spiel um Platz drei und eine Fortsetzung der Public-Viewing-Party auf der Berliner Fanmeile.

Nun, 2010, hat es die deutsche Elf mit teils formidabler Spielweise geschafft, die Menschen für sich zu gewinnen. Es war kein deutscher Panzer, der da ins Halbfinale rollte, es war keine euphorisierte Mannschaft wie vor vier Jahren - es war ein Team voller Spielfreude, taktischer Intelligenz und sympathischem Auftreten abseits des Spielfeldes.

Das Spiel um Platz drei am Samstag ist deshalb nicht der Dramaturgie eines Märchens geschuldet, auf die geforderte Party in Berlin wird verzichtet. Der Berliner Senat hatte sich beim Deutschen Fußball-Bund bemüht, die Elf zu einer Abschlussfeier auf die Fanmeile nach Berlin zu holen. Team-Manager Oliver Bierhoff erklärte, dass die Spieler darauf verzichten würden, was nur allzu verständlich ist.

Sie trauern ebenfalls, und Heinz Rühmann sagte einmal: "Ein Mensch, der trauert, redet nicht viel und geht nicht unter die Leute. Er schweigt." Und deshalb gibt es in diesem Jahr zu Recht keine Party mit den Fans.

Auch einen Tag nach dem Spiel diskutieren die Menschen nicht heftig über diese Niederlage. Die deutsche Elf war einem Gegner unterlegen, der in dieser Form von wohl keiner anderen Nationalmannschaft zu bezwingen ist. Das erkennen die Fans an.

Sie reagieren mit Trauer und Stolz - und das ist das größte Kompliment, das sie dieser deutschen Nationalelf machen können.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: