Fußball-WM: Cristiano Ronaldo:Wenn die Fingernägel leiden

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Endlich wieder für Portugal treffen, immer der Beste sein: Cristiano Ronaldos Ehrgeiz steigert sich bei der WM von Tag zu Tag - und die Nervosität auch. Darunter leidet seine Schönheit.

Javier Cáceres, Johannesburg

Cristiano Ronaldo wird die Haare schön haben, was denn sonst. Die Augenbrauen werden makellos gezupft sein, und auch die Sportuniform der portugiesischen Nationalelf wird perfekt sitzen, wenn er in Port Elizabeth gegen die Elfenbeinküste auf den Platz marschiert, vorneweg als Kapitän. Ein paar schnelle Schritte wird er machen, zu einem Sprung ansetzen und die Knie an die Brust reißen. Den Grad seiner Nervosität wird man an dieser Marotte nicht ablesen können: Er macht das immer so. Vor jedem Spiel. Nur eine Detailansicht seines Körpers könnte verraten, wie groß das eingestandene Lampenfieber tatsächlich ist: seine Fingernägel. "Ich kaue an ihnen. Wenn ich abgelenkt bin oder nervös", sagt Ronaldo, 25. Es plagt ihn darob ein schlechtes Gewissen. Jedoch: "Es ist stärker als ich."

Der Beste sein und auch mit der Nationalelf etwas gewinnen: Cristiano Ronaldo beim Training vor dem ersten Spiel. (Foto: dpa)

Gemessen an der Dimension der Herausforderung, der sich Ronaldo bei der WM gegenüber sieht, dürften die Nägel in den vergangenen Tagen ziemlich gelitten haben. Sein Gegenmodell, Lionel Messi vom FC Barcelona, hat beim WM-Auftakt der Argentinier gegen Nigeria schon eine erste Duftmarke hinterlassen und reichlich Lob eingeheimst; den eh schon bemerkenswerten Rechtfertigungsdruck für Ronaldo hat das erst recht erhöht. Im vergangenen Sommer wurde er dank Real Madrids Galácticos-Politik zum teuersten Spieler-Transfer der Fußballgeschichte (96 Millionen Euro Ablöse), doch trotz einer beachtlichen Saison blieben Titel aus. "Ich fühle mich frustriert und traurig", sagte er vor der fünften WM-Teilnahme Portugals. Das Gefühl der Leere kennt er nur zu gut.

Auch bei den großen Fußballmessen, egal ob Welt- oder Europameisterschaften, hat er an Titeln bislang höchstens riechen können - 2004, bei der EM im eigenen Land. Bei der WM 2006 in Deutschland beeindruckte er zwar durch seine Meisterschaft am Ball, verscherzte sich aber alle Sympathien durch aufreizende Versuche, Freistöße zu schinden. Aus diesem Grund ging der Preis des besten U21-Spielers seinerzeit an Lukas Podolski, nicht an Ronaldo. Solche Niederlagen nagen an ihm. "Ich will hier explodieren", sagte er - und korrigierte sogleich, dass er nicht etwa meine, dass er noch irgendjemandem etwas zu beweisen habe: "Ich mag es, nicht bloß ein Mal zu explodieren, ich habe im Fußball schon eine Menge erreicht. Wenn ich 'explodieren' sage, dann meine ich: gut spielen, eine gute WM hinlegen. Ich will der Beste sein. Immer." Da spielen die Erwartungen der portugiesischen Heimat eine völlig untergeordnete Rolle.

Dort wird er schon länger skeptisch beäugt. Ähnlich wie bei Messi musste er Vorwürfe ertragen, es mangele ihm an patriotischen Gefühlen, Energie spare er sich für seine Arbeitgeber auf. Unfug, sagte Ronaldo - und erinnerte daran, dass er am Tag nach dem Tod seines Vaters für Portugal spielte. Allerdings wartet man in Portugal nun schon seit zwei Jahren auf ein offizielles Tor Ronaldos mit der Nationalelf; er erzielte es bei der EM 2008 gegen Tschechien. Auch wegen seiner Erfolglosigkeit vor dem Tor (null Treffer bei 35 Torschüssen in der WM-Qualifikation) mussten es elf Millionen Portugiesen Ronaldo nachtun - und bei den WM-Relegationsspielen gegen Bosnien an den Fingernägeln knabbern.

"Ich glaube nicht nur, ich habe sogar die Gewissheit, dass ich Tore erzielen und Portugal helfen werde, Spiele zu gewinnen!", tönte nun Ronaldo. Ihm hilft wohl, dass er fern der Heimat spielt, vor Zehntausenden portugiesischstämmigen Auswanderern, sie stellen seit den Siebzigern eine der größten Kolonien in Südafrika dar und haben ein ungleich ungezwungeneres Verhältnis zu Ronaldo.

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"Irgendjemand hat mir mal gesagt, dass Tore wie Ketchup seien, erst kommen sie gar nicht, dann alle auf einmal", erklärte Ronaldo im portugiesischen Teamquartier Magaliesburg. Dieser "Irgendjemand" war der heutige HSV- und frühere Real-Madrid-Stürmer Ruud van Nistelrooy, und derjenige, der das Zitat vor einiger Zeit weitertrug, war sein argentinischer Kollege bei Real Madrid, Gonzalo Higuaín, mit dem sich Ronaldo nicht sonderlich gut versteht.

Auch mit den portugiesischen Mannschaftskameraden soll es zu Spannungen gekommen sein. Dass er der Team-Safari fernblieb - weil er zusammen mit Trainer Carlos Queiroz einen Termin bei Nelson Mandela wahrnahm - sorgte für Spekulationen über Privilegien; Atlético-Madrid-Stürmer Simao musste vor der Presse dementieren, sich mit Ronaldo überworfen zu haben: "Wir haben noch nie ein Problem miteinander gehabt."

Doch selbst wenn: Ronaldo ist sich selbst weitgehend genug. Als er von seinem Biografen gebeten wurde, eine Traumelf zusammenzustellen, malte er ein Spielfeld auf und notierte die Namen seiner Mutter, seiner Geschwister - und seines Managements. Es sorgte dafür, dass Ronaldo vor der WM abgeschottet blieb, Interviews wurden - von seiner PR-Beraterin? - nur schriftlich erledigt. Es bewerkstelligte auch, dass die Marke Cristiano Ronaldo größere Rendite abwirft als die Marke Lio Messi. "Dazu habe ich nicht so viel zu sagen", schrieb er (oder sie?) der Zeitung Público.

Zumindest kann sich Ronaldo schon vor Spielbeginn überlebensgroß auf der Riesenleinwand sehen - als Hauptdarsteller eines Werbespots, der vor jedem Spiel läuft. Und das dürfte dem spiegelfixierten Ronaldo fast so gut gefallen wie die tägliche, unermüdliche Arbeit an den Bauchmuskeln.

© SZ vom 15.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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