Fußball-WM:"Auch Hooligans fürchten die russische Polizei"

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Fußball-WM: Ein russischer Fan beim Spiel gegen Saudi-Arabien: bislang sind sie nicht durch Gewalt aufgefallen.

Ein russischer Fan beim Spiel gegen Saudi-Arabien: bislang sind sie nicht durch Gewalt aufgefallen.

(Foto: Kirill Kudryavtsev/AFP)

Fanexperte Robert Claus erklärt, was bei der Fußball-WM unternommen wird, um Straßenschlachten zu verhindern, welche Gefahren drohen - und welch widersprüchliche Rolle der russische Staat spielt.

Interview von Martin Schneider, Moskau

Robert Claus hat Europäische Ethnologie und Gender Studies studiert. Seit 2013 ist er Mitarbeiter der "Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit" (Kofas). Claus arbeitet als freier Moderator und Autor. 2017 erschien sein Buch "Hooligans - Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik" im Verlag Die Werkstatt.

SZ: Herr Claus, bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich gab es in Marseille Straßenschlachten russischer Hooligans, beim Confederations Cup im vergangenen Jahr und bei der WM ist bisher alles ruhig - warum?

Robert Claus: Das hat verschiedene Gründe. Der russische Staat hat einiges aufgefahren, es gab Ankündigungen, dass man durchgreifen wird. Und in Frankreich hat sich das Vorrundenspiel Russland gegen England angeboten, weil da zwei Hooligan-Szenen aufeinandertrafen. Bei dieser WM gibt es in der Vorrunde kein vergleichbares Hochrisikospiel.

Bei den Ausschreitungen in Frankreich haben sich russische Politiker positiv oder mindestens verharmlosend zu den Vorfällen geäußert. Nun greift der Staat ein - hat ein Umdenken stattgefunden?

Ich würde das nicht als Umdenken bezeichnen. Es passt durchaus zur Strategie des russischen Staates, sich selbst als starker Akteur darzustellen und gleichzeitig auf die anderen zu zeigen, um zu sagen: 'Seht her, wir können ein Turnier sicher durchführen.' An der Figur Alexander Schprygin kann man das ganz gut erkennen. Der war Vorsitzender der russischen Fan-Föderation, was jahrelang der Dachverband der Hooligans bei der Nationalmannschaft war. In Frankreich griff er etwa bei der Vergabe von Visa und Tickets ein - und dann wurde er im September 2016 medienwirksam von Polizisten, die von einem Kamera-Team begleitet wurden, auf einer Hotel-Toilette verhaftet.

War das die einzige Maßnahme?

Nein, es gab auch Razzien bei sogenannten Ackermatches. Da treffen sich zwei Hooligan-Gruppen auf dem Feld und prügeln sich dort. Es gab diverse Festnahmen, bei der WM wird die umstrittene Fan-ID benutzt, mit der der Staat kontrollieren kann, wer ins Stadion geht. Es gibt noch eine ganze Reihe von Maßnahmen, vor allem hat die Polizei medial angekündigt, dass sie hart durchgreifen wird. Das ist ein repressives Statement, denn auch Hooligans fürchten die russische Polizei. Und es gibt - wie in Deutschland übrigens auch - Gefährderansprachen.

Dann bekommen die Hooligans Besuch von der Polizei?

Genau, das ist ein Hausbesuch. Die Leute werden informiert, dass sie sich im Fokus der Polizei befinden, und davor gewarnt, Straftaten zu begehen. Das gibt's in Briefform, aber auch in persönlicher Form.

Und die Hooligan-Szene lässt sich dadurch einschüchtern? Sie lässt sich ja quasi die größtmögliche Bühne vor der eigenen Haustür entgehen.

Hools gucken immer, was möglich ist, oft auswärts in anderen Ländern, weil sie dort weniger erkannt werden. Wenn der russische Staat etwas ermöglichen würde, dann würden sie es eventuell nutzen. Es ist immer eine Aushandlung von Gewalt- und Machtfragen. Die WM ist aber auch nicht die einzige Bühne - russische Hooligans waren auch im Europapokal dieses Jahr aktiv. Außerdem gibt es neben den Massenrandalen, die wir in Marseille gesehen haben, verschiedene Gewaltformen.

Inwiefern?

Russische Hooligans bei der Fußball-EM

Archivbild von den Ausschreitungen russischer Hooligans bei der EM vor zwei Jahren in Marseille

(Foto: picture alliance / Guillaume Hor)

Das eine sind die erwähnten Ackermatches, wo sich Hooligan-Gruppen am Stadtrand treffen, im Prinzip eine Art Gruppenkampfsport betreiben und danach ein Foto zusammen machen. Dabei kommen keine Dritten zu Schaden, deswegen ist das, wenn man so will, die harmloseste Variante. Die zweite Form kennen wir aus Berichten deutscher Fans von Europapokal-Fahrten. Da ziehen Trupps von drei bis fünf Hooligans durch die Stadt, halten Ausschau nach Fans mit schwarzer Haut, nach Fans, die eine Regenbogen-Fahne zeigen oder nach Fans in gegnerischen Trikots - die werden dann kurz angesprochen und dann fangen sie sich eine. Es gibt zahlreiche Berichte von Leipzig-Fans oder BVB-Anhängern - aber diese Form der Gewalt erzeugt nicht die medialen Bilder und findet nicht die große Resonanz wie in Marseille. Es kann sein, dass wir davon bei der WM noch hören werden.

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