Fußball-WM:Marcos Rojo rettet Argentinien

Lesezeit: 3 min

Ekstatische Freude: Marcos Rojo (rechts) feiert mit Lionel Messi seinen Siegtreffer gegen Nigeria. (Foto: AFP)
  • Argentinien steht kurz vor dem Aus bei der Fußball-WM, doch Verteidiger Rojo trifft noch zum 2:1-Sieg gegen Nigeria.
  • Damit stehen Argentinien und Kroatien im Achtelfinale - Nigeria und Island scheiden aus.
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Von Javier Cáceres, Sankt Petersburg

Der Abgesang auf Lionel Messi und Argentinien ist aufgeschoben: In Sankt Petersburg besiegte der zweimalige Weltmeister im abschließenden Spiel der Gruppe D Nigeria 2:1 und zog nahezu in letzter Minute ins WM-Achtelfinale ein. Als Argentinien sich schon auf einen schmählichen WM-K.o. einstellen musste und nach dem zwischenzeitlichen Ausgleichstor von Victor Moses (51.) faktisch ausgeschieden war, traf Innenverteidiger Marcos Rojo aus elf Metern nach einer Flanke von Mercado volley zum Siegtreffer. Es war der erste argentinische Torschuss der zweiten Halbzeit, der das 45-Millionen-Land vor dem Untergang bewahrte.

Als Gruppenzweiter trifft Argentinien nun am Samstag in Kasan auf Frankreich. "Ich wusste, dass Gott mit uns ist und uns nicht verlassen würde", erklärte Messi nach Abpfiff und fügte treuherzig an: "Wir waren zuversichtlich, dass wir dieses Spiel gewinnen würden." Sein Team blieb nach dem Ende der Partie noch minutenlang auf dem Platz, Ángel Di María und Gonzalo Higuaín liefen Tränen über das Gesicht.

Die Nervosität, die in den vergangenen Tagen im argentinischen Lager herrschte, reichte bis in die letzten Stunden vor dem Spiel hinein. Mochte die Ehefrau Messis, Antonella, auch noch so überzeugend ankündigen, dass sie ihrem Gatten nachreisen würde - in der Heimat war wieder von angeblichen Beziehungsproblemen die Rede. Bis das Stadion in St. Petersburg seine Tore geöffnet hatte, war die Nachricht des Tages gewesen, dass Doña Celia bei einem Klatschsender in Argentinien angerufen hatte, um eine Frau zurechtzuweisen, die behauptete, vor ein paar Jahren eine Affäre mit ihrem Sohn gehabt zu haben. Doch als das Stadion sich gefüllt hatte, legte sich so etwas wie das Flair der Bombonera in Buenos Aires über die Arena. Die argentinischen Fans waren in massiver Überzahl. Zur Freude des Altmeisters Diego Maradona, der auf der Tribüne seine Show abzog, und zum Leidwesen von Trainer Jorge Sampaoli, der bei der Verlesung der Aufstellung massiv auspfiffen wurde.

Ist Trainer Sampaoli schon entmachtet?

Glaubt man dem Geraune aus Argentinien, steht Sampaoli nur noch pro forma auf dem Spielberichtsbogen. Er gilt als entmachtet. Die neuerliche Umstellung auf ein 4-4-2-System wurde offenkundig von den Spielern erzwungen, nachdem Sampaoli im Spiel gegen Kroatien (0:3) mit seinem 3-4-3 Schiffbruch erlitten hatte. Der Wechsel im Tor galt vorab als sicher: Franco Armani durfte ein Debüt in der A-Mannschaft feiern, nachdem Willy Caballero gegen Kroatien einen Fehler begangen hatte, der die 0:3-Niederlage einleitete. Zudem kamen Rojo, Banega, Di María und Higuaín für Salvio, Acuña, Agüero und Meza.

Jedoch: Argentinien begann wie erwartet - das heißt, nervöser als ein Wal in japanischen Gewässern. Insbesondere Javier Mascherano leistete sich im zentralen Mittelfeld Fehler, die wohl in seiner aktuellen Wahlheimat China durchgehen, nicht aber auf der Bühne namens WM. Messi immerhin wirkte elektrisiert und willens, die Hoffnungen seiner Mannschaft und seiner Nation zu schultern. In der 14. Minute hatte er seinen Auftritt: Banega schlug einen langen Ball über die Abwehr der Nigerianer hinweg, Messi nahm ihn an der Strafraumgrenze mit dem Oberschenkel an, legte ihn sich mit dem linken Fuß zurecht und traf aus halbrechter Position aus neun Metern mit dem schwächeren rechten Fuß ins entfernte Toreck. Es war der hundertste Treffer der laufenden Weltmeisterschaft.

Die Nigerianer wirkten fortan noch harmloser; die Argentinier mit einem Mal gefestigt. Allerdings gab es nur noch eine nennenswerte Aktion - von Messi, von wem sonst. Aus halblinker Position traf er bei einem Freistoß den rechten Pfosten. Doch nach der Pause kam der Schock. Bei einer Ecke klammerte Mascherano seinen Gegenspieler Leon Balogun, der sich geschickt in den Körper des Argentiniers fallen ließ. Der türkische Schiedsrichter Cakir zeigte auf den Punkt, deutete an, dass der Videoschiedsrichter ihn bestätigt habe - und bestand auf der Ausführung: Victor Moses verwandelte sicher (51.) und eröffnete damit ein neues Spiel. Mit dem Ergebnis war Nigeria weiter und Argentinien draußen. Und das bedeutete, dass die Argentinier Geiseln der Panik waren, während die Nigerianer mit Leichtigkeit agierten.

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"Uns haben nur ein paar Minuten gefehlt", stellte Nigerias deutscher Trainer Gernot Rohr später enttäuscht fest, als das Schicksal seiner Auswahl besiegelt war: "Aber so ist das Leben, wir müssen es akzeptieren." Sein jungen Team, so ergänzte er, habe noch "nicht genug Erfahrung" gehabt. Denn bei Argentinien reagierte Trainer Sampaoli nun und brachte Cristian Pavón, einen Stürmer, der das Angriffsspiel belebte; in der 72. Minute kam Meza doch noch. Doch die Argentinier hatten keine durchstrukturierten Ideen und vor allem zu keinem Abschluss, während Rohr verzweifelt versuchte, sein nigerianisches Team nach vorne zu treiben. Unmittelbar danach gab es Aufregung im Strafraum der Argentinier: Bei einem Konter schoss Odon Ighalo (73.) knapp daneben, zuvor aber hatte Verteidiger Rojo den Ball mit der Hand berührt. Referee Cakir konsultierte den Videoschiedsrichter und entschied: kein Elfmeter. Erst in der 80. Minute kam Argentinien zu einer klaren Chance. Higuaín, der Schurke aus dem WM-Finale 2014, blieb freilich der Mann der klaren verpassten WM-Torgelegenheiten und schoss aus acht Metern weit übers Tor. Doch dann kam Rojo.

© SZ vom 27.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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