Fußball: VfL Wolfsburg:Vorösterliche Gnade

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Der VfL Wolfsburg stellt sich seinen Fans. Doch statt tobsüchtiger Anhänger erlebt der Abstiegskandidat eine erstaunlich ruhige Konfrontation - dank einer professionellen Besänftigungspolitik.

Boris Herrmann

Der Mann an der Musikanlage hat entweder eine sehr kleine CD-Sammlung. Oder er hat Humor. Gleich wird die gesamte Mannschaft des VfL Wolfsburg mit ihrem Trainerstab im Fan-Haus neben dem Stadion erwartet. Das Krisenteam von Felix Magath hat sich tatsächlich bereit erklärt, sich von seiner wütenden Anhängerschaft mal ordentlich ausschimpfen zu lassen. Der bisherige Saisonverlauf hat ja selbst die leidgeprüftesten Bewohner der Autostadt gegen das eigene Team aufgebracht. Nach dem ebenso peinlichen wie ernüchternden Spiel am vergangenen Wochenende gegen St. Pauli schallten sogar erstmals beherzte "Absteiger, Absteiger"-Rufe durch die Arena. Rund 250 Wolfsburger Wutbürger warten jetzt also darauf, ihre Meinung noch einmal im familiären Kreis zum Ausdruck bringen zu dürfen. Und was spielt der Mann an der Musikanlage? Er spielt: "We are the champions."

Wurde Zeuge der Wolfsburger Fan-Barmherzigkeit: VfL-Trainer Felix Magath. (Foto: REUTERS)

Sie waren einmal Champions. Und das ist vielleicht ein Teil des Problems. Dass dieser Klub jemals wieder das untere Ende der Tabelle sehen würde, das konnte sich hier bis vor kurzem niemand vorstellen - weder der Aufsichtsrat, noch die Spieler und schon gar nicht das Publikum. Und entsprechend tief sind sie dann eben alle gemeinsam in die Realität hineingefallen. Niemand weiß so recht, wie dieses Treffen ausgehen wird, das im Bundesliga-Betrieb wahrlich nicht üblich ist. Kurz bevor die Mannschaft anrückt, gibt der Fan-Beauftragte Michael Schrader zur Sicherheit noch einmal kurz die Spielregeln vor: "Sagt ihnen alles, was ihr wollt. Nur eine Bitte: Fäkalsprache bringt uns allen nichts."

Schultern auf Kniehöhe

Drei Minuten später kauern sich die verzagten Profis vor einem Schild mit der Aufschrift: "Deutscher Meister 2009" zusammen. Die Schultern von Josué hängen fast auf Kniehöhe, Grafite studiert die Maserung des Bodenbelags, Diego kaut Kaugummi. Von hinten brüllt jemand: "Schaut euch doch mal an, wie ihr schon dasteht!" Felix Magath sagt: "Liebe Fans, schönen guten Abend." Dann passiert Erstaunliches.

Es dauert nicht lange, bis ein zaghafter Applaus zum Jubel anschwillt. Einzelne Zwischenrufe wie "Klatscht doch nicht für die Abstiegsidioten" gehen bald in der Masse unter. Die jungen Radikalen aus der Ultragruppe verlesen ein Manifest. "Wir wollen keine Plattitüden mehr hören", heißt es darin. Dann verlassen sie unter Ausstoß zahlreicher Plattitüden den Saal. Deutlich mehr Dialogbereitschaft bringen die stattlichen Herren vom "Volkswagen Fanklub" auf, die mit Rücksicht auf die fremdsprachigen Fußball-Millionäre ihre, nun ja, Kritik sogar auf Englisch vortragen: "Our hearts beat for the VfL."

Dass es hier um eine Herzensangelegenheit geht, versuchen auch die VfL-Spieler Marcel Schäfer, Simon Kjaer und Sascha Riether zu vermitteln. Und Magath, der seine Vereine wie seine Krawatten zu wechseln pflegt, erklärt, dass es zum Leben eines Fans nun einmal dazu gehöre, dass man auch damit leben müsse, wenn es nicht so laufe. Kein Widerspruch. Selbst als Magath seine spärliche Punkteausbeute unter anderem auf die Schiedsrichter schiebt, wird er mit vorösterlicher Gnade bedacht.

Schon seit Wochen werden die VfL-Fans professionell umschmeichelt. Sie konnten mit auf den Trainingsplatz, sie durften das Trikot für die kommende Spielzeit gestalten, sie bekamen Besuch zu Hause. Und dass sie jetzt auch noch die Gelegenheit zur konfrontativen Aussprache bekamen, hat die meisten offenbar so gefreut, dass sie diese Gelegenheit ungenutzt verstreichen ließen.

Kapitän Schäfer sagte beim Rausgehen: "Wir haben konstruktive Lösungen besprochen, um die Klasse zu halten." Magath gab nebenan schon wieder Autogramme.

© SZ vom 21.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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