Blickt der englische Fußballfan nach Deutschland, sieht er drei Weltmeistertitel. Er sieht auch drei EM-Titel, dazu sieht er die Bundesliga mit ihren schönen Stadien und den netten Fußball, der darin bisweilen geboten wird. Das ist soweit alles ganz okay, er respektiert das, aber es berührt ihn nicht.
Stadien gibt's in England auch, einen WM-Titel hat man auch schon gewonnen, und, mindestens ebenso schön, die Deutschen 2001 in München mit einem 5:1 vom Platz gefegt. Unvergesslich. Nein, Neid gibt es da keinen beim englischen Fußballfan, er denkt sich: Hier ist's gut und dort ist's gut, aber dann blickt er noch einmal genauer hin und entdeckt, dass die deutsche Nationalelf von einer wunderbaren Debatte umwölkt wird.
Verlängert der Nationaltrainer jetzt oder nie oder später? "Ach", seufzt da der englische Fußballfan, "wie herrlich." Eine richtige Debatte, von außen ein wenig fad anmutend, dafür innen mit Wut und Kalkül geführt, ein Ränkespiel voller Intrigen und Lügen, mit geheimnisvollen Allianzen, kurzum: Es wird noch richtig Politik gemacht. Da wird der englische Fußballfan dann doch ein wenig neidisch, denn eine so angenehm komplizierte Debatte würde zu Hause niemand führen. Da geht's immer nur um Sex.
Aktuell wird in England bekanntlich über John Terry diskutiert, der als Kapitän der Nationalmannschaft abgesetzt wurde, weil er mit dem französischen Unterwäsche-Model Vanessa Perroncel eine Affäre unterhielt, obwohl er verheiratet ist und Madame Perroncel mit dem Nationalelf-Kollegen Wayne Bridge ein Kind hat.
Damit hat Terry seine Frau und seine beiden Kinder brüskiert, zudem hat er gegen den Ehrenkodex innerhalb von Mannschaften verstoßen, demzufolge die Frauen von Mitspielern tabu sind. Man vergleiche nun einmal die Zutaten der Debatten. In Deutschland: Ränkespiele, Allianzen, Politik. In England: Unterwäsche-Model (französisches!), Ehebruch, Ehrenkodex.
Der englische Fan beneidet den deutschen Fan zutiefst, denn dieser kann bis zur WM eine ausufernde Debatte verfolgen, bei der es nicht um Unterwäsche-Models geht, nicht um Sex, und - das findet der Engländer fast am besten - nicht einmal um Fußball.