Fußball:#tousensemble: Molenbeek hofft auf besseres Image

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Brüssel (dpa) - Terror, Razzien, Schießereien - Die Brüsseler Gemeinde Molenbeek hat es in den vergangenen Monaten zu trauriger Berühmtheit gebracht. Als "Keimzelle" und "Brutstätte" des Terrorismus war sie abgestempelt worden.

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Brüssel (dpa) - Terror, Razzien, Schießereien - Die Brüsseler Gemeinde Molenbeek hat es in den vergangenen Monaten zu trauriger Berühmtheit gebracht. Als „Keimzelle“ und „Brutstätte“ des Terrorismus war sie abgestempelt worden.

Viele Menschen auf den Straßen haben das Terror-Image ihrer Gemeinde satt. Die Fußball-Europameisterschaft im Nachbarland Frankreich kommt ihnen da gerade recht.

Denn einige Top-Kicker des Landes kommen aus dem vermeintlichen Problemviertel. Die Einwohner hoffen nun, dass Europa durch den Fußball in den kommenden Wochen mit anderen Augen auf Molenbeek und Belgien blicken wird. Die Roten Teufel, wie die Nationalmannschaft genannt wird, sollen es als Mitfavorit richten - auch wenn der EM-Auftakt gegen Italien mit 0:2 verloren ging.

Ein trister Regentag in Molenbeek, unter der Woche. Schmucklose Backsteinhäuser, die meisten drei Etagen hoch, und unzählige Müllsäcke an den Hauseingängen prägen das Straßenbild. Ruhig geworden ist es in der arabisch geprägten Gemeinde am Rande der Brüsseler Altstadt.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie hier den nächsten festnehmen“, glaubt jedoch Françoise Frère. Die junge Frau scheint genervt von den Fragen. Journalisten in ihrem Viertel könne sie eigentlich nicht mehr sehen. „Hoffentlich bleibt es hier während der EM ruhig. Der Stimmung würde es gut tun“, sagt die Mittzwanzigerin und verschwindet in einem der schmalen Backsteinhäuser.

In den vergangenen Monaten hatte es hier immer wieder Razzien schwer bewaffneter Militärs und Polizisten gegeben. Gefasst wurde unter anderem Salah Abdeslam, einer der Verdächtigen der Anschläge von Paris im November 2015 und zu dem Zeitpunkt einer der meistgesuchten Terroristen Europas.

Von EM-Stimmung ist in Molenbeek noch wenig zu sehen. Eine Bar hat eine schwarz-gelb-rote Girlande aufgehängt. An einer Haltestelle klebt ein Sticker mit dem Hashtag #tousensemble - „alle zusammen“, das Motto der belgischen Nationalelf. Vereinzelt wehen belgische Flaggen an Fenstern, auch an denen der Plattenbauten direkt am Sippelberg-Stadion. Dort werden Nachwuchskicker ausgebildet. Das Trainingszentrum soll Mädchen und Jungen eine Perspektive geben.

Doch wie nah der Islamismus an den Trainingsplätzen des Viertels sein kann, zeigt das Beispiel von Jugendtrainer Azzedine. „Vor fünf Jahren haben mich hier in Molenbeek Leute angesprochen. Sie wollten, dass ich nach Syrien gehe“, erzählte er der Deutschen Welle. Seine Eltern und sein Imam hätten ihn davon überzeugt, in Brüssel zu bleiben.

Längst scouten auch Top-Clubs wie RSC Anderlecht in dem Brüsseler Problemviertel. „Molenbeek ist für uns wie ein Meer voller Talente“, sagte kürzlich der Leiter der RSC-Nachwuchsabteilung, Jean Kindermans, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Es sei leicht für den Club, Talente in den etwa vier Kilometer entfernten Vorort Anderlecht zu holen und auszubilden. RSC habe ein höheres Ansehen.

Romelu Lukaku ist einer von denen, die es mit dem Fußball aus dem Problemviertel heraus geschafft haben. Der Stürmer, aktuell beim englischen Premier-League-Club FC Everton unter Vertrag, ist in dem Viertel aufgewachsen. Zuletzt hatte der Torjäger kongolesischer Abstammung sogar noch ein Haus in Molenbeek. Englische Medien berichteten jedoch, er wolle es verkaufen - wegen der vielen Terror-Razzien.

Mit Vincent Kompany kommt ein zweiter Superstar der Belgier aus der knapp 100 000 Einwohner zählenden Gemeinde. Der eigentliche Kapitän der Teufel verpasst das Turnier jedoch wegen einer Muskelverletzung. In Molenbeek genießt der Abwehrspieler von Manchester City höchstes Ansehen. Spricht man Jugendliche im Viertel auf ihren Lieblingsspieler an, fällt fast ausschließlich der Name „Kompany“.

Ende des vergangenen Jahres verteidigte er öffentlich das Ansehen der angeblichen Terroristen-Hochburg. Molenbeek sei nicht der Ort, wie ihn die Medien darstellten, sagte er der britischen Tageszeitung „The Independent“. Der Ort sei jedoch eine „sehr, sehr lange Zeit“ vernachlässigt worden, was es Menschen „sehr einfach“ gemacht habe, unbemerkt „durch das Raster zu fallen“, bemerkte Kompany.

#tousensemble - ein passenderes Motto scheint es für die Molenbeeker zur EM kaum zu geben. Mohammad Achaoui, der an einer Haltestelle auf die Bahn wartet, fasst es so zusammen: „Der Fußball stärkt unser Nationalgefühl. Vor allem das der Leute aus dem Viertel. Er bringt uns wieder zusammen. Und die Sache mit dem Terrorismus vergessen wir hoffentlich. Zumindest die nächsten Wochen.“

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