Fußball:Sané macht den Markt verrückt

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Leroy Sané im Trainingslager der Nationalmannschaft in Ascona. (Foto: dpa)

Ein irrer Transfersommer steht bevor. Der junge Nationalspieler Leroy Sané wird dabei besonders begehrt sein - und mit gefährlichen Summen klarkommen müssen.

Von Philipp Selldorf, Ascona

Selbstredend ist es bedauerlich, dass die zu den sieben Weltwundern zählende, kolossale Zeus-Statue des Bildhauers Phidias nicht mehr existiert. Den Götterboss und seinen Thron hatte der Künstler aus Gold, Elfenbein und Ebenholz gefertigt. Nun lässt sich aber 2350 Jahre später feststellen, dass es gar keines Bildhauers bedarf, um solche Pracht zu schaffen, es geht offenbar auch mit vernünftiger Ernährung und ein bisschen Fußballtraining.

Sieht man von der Tribüne des Stadio Communale in Ascona den Mittelstürmer Mario Gomez, 30, im strahlenden Sonnenlicht auf dem Trainingsplatz stehen, dann könnte man ja meinen, er sei geradewegs aus dem Olymp herabgestiegen. Gomez hatte nie die Statur eines Schwächlings und hat nie ausgesehen wie Jerry Lewis in "Der verrückte Professor", aber so marmorn und kolossal wie heute war er wahrscheinlich noch nie. Bloß die phosphoreszierenden Sportsocken wollen nicht zum antiken Ideal passen.

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Hinter Gomez liegt ein gutes Jahr, 26 Tore für Besiktas Istanbul haben ihn zurückgeführt in die Nationalmannschaft. Damit haben nicht viele gerechnet, als er vor der Saison als Leihspieler vom AC Florenz in die türkische Süperlig wechselte, auf ein vermeintliches Nebengleis des europäischen Spitzenfußballs. Nun ist er wieder ein gefragter Mann, und Gomez verhält sich dazu auf professionelle Art: Er verspricht nicht zu viel und nicht zu wenig. Er könne sich "definitiv vorstellen" in Istanbul zu bleiben, sagte er der FAZ, er kann sich aber auch definitiv vorstellen, wieder auf ein Hauptgleis zu wechseln - "ich will immer noch so hoch hinaus wie möglich".

Das Glück des Angreifers ist, dass er mit diesem Thema genügend Erfahrung hat, dem FC Bayern war er vor sieben Jahren 30 Millionen Euro wert, das hat viel Aufsehen erregt damals. Den Grünschnäbeln, die mit ihm den sagenhaft gepflegten Rasen in Ascona betreten haben, kann Gomez also erzählen, wie es ist, als junger Mensch auf dem Fußballermarkt gegen Geld aufgewogen zu werden. Im Unterschied zu Julian Brandt (Leverkusen), Leroy Sané (Schalke) und Julian Weigl (Dortmund) hatte er allerdings schon fünf Jahre in der Bundesliga gespielt und jede Menge Tore geschossen, bevor er dem Drang nach Höherem folgte.

Reschke hält die Summen für gefährlich

Leroy Sané saß am Freitag in Ascona neben Julian Brandt in der DFB-Presse- runde und wurde gefragt, was er dabei empfinde, täglich auf allen Medien-Kanälen mit dem angeblichen Kaufinteresse der europäischen Spitzenvereine konfrontiert zu werden.

Ein bisschen unsicher wegen des gefährlichen Themas, aber auch ein bisschen gelangweilt wegen der monotonen Antwort, die er nun wieder zu geben hatte, erwiderte er: "Klar kriegt man das ein bisschen mit, aber ich versuche das auszuschließen." Er wollte damit sagen, dass er seinen Lebensalltag frei zu halten versuche von den Spekulationen. Aber wie soll das gehen, wenn einer 20 Jahre alt ist, erst seit knapp anderthalb Jahren in der Bundesliga spielt - und wie ein rares Wildtier von einer ganzen Meute europäischer Top-Vereinen gejagt wird?

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Vertreter der großen Berateragenturen, Bundesligamanager und andere Eingeweihte sind sich darin einig, dass in diesem Sommer auf Europas Transfermarkt so viel Geld kursiert wie in keinem Sommer zuvor, und dass es deshalb, wie einer dieser Kenner prophezeit, "krachen wird wie nie zuvor". Dass der Lärm sich noch in Grenzen hält, liegt unter anderem an dem trivialen Umstand, dass die Verantwortlichen in den englischen Klubs nach der langen Saison erst einmal Urlaub machen. Doch spätestens im August werden die Teams der neuen Trainer in Manchester (Pep Guardiola, José Mourinho) und London respektive Chelsea (Antonio Conte) mit Verstärkungen ausgestattet werden.

Wie seine Kollegen sieht auch Michael Reschke, Technischer Direktor bei Bayern München und seit vielen Jahren mit der Spielerbörse vertraut, dem Knallen gespannt entgegen ("Es wird ein total verrückter Markt werden"), er sieht aber noch etwas anderes: Dass nämlich die jungen Spieler überfordert werden durch die großen Summen und das Wettbieten. "Die Relationen auf der Werteskala verschieben sich, und das ist definitiv eine Gefahr für das Fußballgeschäft", meint Reschke. Die großen Klubs, vorwiegend die englischen, sondieren im überschaubaren Angebot dieselbe Handvoll Talente. Leroy Sané ist eines davon.

Bei Schalke 04 hat noch kein Bieter eine Offerte abgegeben, aber bei Sanés Managementfirma "T 21 +" sind schon etliche Klubs vorstellig geworden (angeblich, aber unbestätigterweise auch die Bayern). Dass Sanés Vater Souleymane schon seit knapp fünf Jahren in der Berateragentur seiner früheren Bundesligakollegen Jürgen Milewski und Jens Jeremies beschäftigt ist, das wird auf Schalke als hilfreich angesehen. Der Schutz durch das Elternhaus verschafft den Spielern, die ihr Leben lang vorwiegend Fußball gespielt haben, ein wenig Halt in der realen Welt.

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Auch Julian Brandt wird von seinem Vater gemanagt. "Er hat die Reife und die Erfahrung", sagt der 20-Jährige ungewohnt unbeholfen. Bei Bayer Leverkusen wird immer lobend hervorgehoben, dass Brandt den Verführungen des Profifußballs intellektuell gewachsen sei. Allerdings hat er es zurzeit auch ein bisschen leichter als der neben ihm sitzende Sané, der mit seinen speziellen Fähigkeiten in der Branche Schlüsselreize weckt. Seine Stärken? "Dass ich schnell bin und das Spiel in die Tiefe suche", sagt Sané am Freitag auf mehrfaches Befragen. Er spricht es wie ein Geständnis, weil er sich nicht selbst loben will - und weil er vielleicht auch ahnt, dass er sich damit ins Verhältnis zu seinem Nebenmann setzt.

Die meisten Leute hier im Pressezelt glauben, dass der Bundestrainer zwischen Sané und Brandt wählen wird, wenn er am Dienstagabend seinen endgültigen EM-Kader benennt. Und die allermeisten Leute glauben, dass Joachim Löw sich für Sané und notgedrungen gegen Brandt entscheiden wird - sachdienliche Hinweise werden schon vom Testspiel der Nationalelf gegen die Slowakei am Sonntag in Augsburg erwartet (17.45 Uhr, live in der ARD).

Mit der ihm eigenen Mischung aus Tempo, Technik, Tordrang bietet Sané das größte Versprechen auf die wichtigsten Angriffskomponenten, und das gefällt nicht nur dem Bundestrainer. Das macht auch den Markt verrückt. Alle Kenner rechnen mit Preisen von 50 bis 60 Millionen Euro, umso mehr, falls Sané während der EM durch gute Szenen auffallen werde.

Leroy Sané entscheidet am Ende selbst, ob er sich von den Zahlen beeindrucken lassen will. "Ich habe einen Vertrag mit Schalke und fühle mich dort wohl", sagt er in Ascona und drückt damit mutmaßlich in beiden Satzteilen seine Überzeugung aus. Aber mit einem Bekenntnis zu Schalke ist diese Aussage nicht zu verwechseln. Die Entscheidung über seine sportliche Heimat hat Sané lediglich vertagt: Erst mal warte er ab, ob er mit zur EM fahren dürfe oder alternativ ins olympische Aufgebot berufen werde - "und dann entscheide ich". Mario Gomez würde ihm recht geben: "Langfristige Pläne gehen im Fußball sowieso nicht auf", weiß er.

© SZ vom 28.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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