Fußball:«Nacht der Schande» schockt England

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Englands Gary Cahill lag nach dem 1:1 gegen Russland enttäuscht auf dem Rasen. (Foto: Guillaume Horcajuelo)

Marseille (dpa) - Geschockt durch die Hooligan-Gewalt und niedergeschlagen vom Last-Minute-Ausgleich erreichten Wayne Rooney & Co. am Sonntagnachmittag ihr EM-Quartier.

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Marseille (dpa) - Geschockt durch die Hooligan-Gewalt und niedergeschlagen vom Last-Minute-Ausgleich erreichten Wayne Rooney & Co. am Sonntagnachmittag ihr EM-Quartier.

Die „Nacht der Schande im Stade Vélodrome“ (Mail on Sunday) beim 1:1 gegen Russland hinterließ sichtbar Spuren im englischen Team - das in ihrer Basis in Chantilly direkt den nächsten Schrecken erlebte. Die Europäische Fußball-Union droht den Three Lions mit Ausschluss, sollte es zu weiteren Ausschreitungen ihrer Fans während des Turniers kommen.

„Es war schockierend. Ich habe solche Szenen in einen Fußballstadion seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen“, sagte Martin Glenn, Generalsekretär des englischen Verbands FA, in einem Video-Statement. Aufgenommen wurde dies vor der drastischen letzten Warnung des UEFA-Exekutivkomitees. Es habe ein „antisoziales Verhalten“ von Fans in der Stadt gegeben. „Leider kam noch ein Niveau an Kriminalität von anderen hinzu, darunter organisierte russische Gangs und Einheimische, die die Szenerie wirklich geändert haben“, betonte Glenn.

Wenige Augenblicke vor dem Schlusspfiff stürmten russische Hooligans über die Tribüne auf die gegnerischen Zuschauer zu und prügelten wild auf sie ein. Als Fans der Three Lions aus ihrem Block im Stadion von Marseille geflüchtet waren, redete Torwart Joe Hart vom Rasen aus beschwörend auf sie ein: „Bleibt hier, bleibt sicher.“

Drei Tage hintereinander lieferten sich Fans beider Teams und Einheimische Straßenschlachten. „Es gibt niemals eine Entschuldigung für diese gedankenlosen Idioten. Sie bringen Schande über uns alle“, kritisierte der „Mirror“ die Krawalle englischer Fans rund um den Alten Hafen von Marseille. „Zurück im dunklen Zeitalter?“, fragte die „Mail on Sunday“ angesichts der Erinnerungen an frühere Vorkommnisse.

Vor dem brisanten britischen Duell mit Wales am Donnerstag muss das Team von Nationaltrainer Roy Hodgson nun nicht nur die erschreckenden Jagdszenen und den drohenden Ausschluss, sondern auch die verpassten zwei Punkte verarbeiten. Dafür erhielt das Team am Montag den ersten komplett freien Tag bei dieser EM. „Es ist sehr enttäuschend, dass wir nicht gewonnen haben“, sagte der starke Kapitän Rooney. „Wir hatten unsere Chancen - aber das ist Fußball, wir müssen sie auch nutzen.“

Das englische Team verpasste damit auch im neunten Anlauf einen Sieg zum EM-Start. „Oh, warum werden wir immer bestraft, wenn wir träumen?“, fragte der „Mirror“. Weite Teile des Auftritts gegen Russland machen jedoch Mut für die weiteren Aufgaben. Vor allem Rooney wusste in seiner neuen Nationalmannschaftsrolle im linken Mittelfeld zu gefallen, lenkte durch die gewonnenen Freiheiten hinter den Sturmspitzen bis zu seiner Auswechslung überlegt den englischen Angriff. „Ich denke Wayne hat ein sehr gutes Spiel gemacht“, lobte Coach Hodgson. „Am Ende war er ein bisschen müde.“

Kurz vor Ende verlor die komplette englische Defensive die Konzentration, als Russlands Wasili Beresuzki in der Nachspielzeit den Rückstand durch den feinen Freistoßtreffer von Eric Dier (73. Minute) ausglich. „Englands gebrochenes Herz“, kommentierte der „Telegraph“. „Unsere Emotionen gingen ganz schnell von ganz oben nach ganz unten“, bekannte der englische Torschütze.

Gegen Wales, das sein erstes Turnierspiel seit 58 Jahren mit 2:1 gegen die Slowakei gewann, kommt es jetzt zum Aufeinandertreffen mit Superstar Gareth Bale. „Er ist ein fantastischer Spieler, einer der besten fünf der Welt“, sagte Rooney über den Stürmer von Real Madrid. „Er ist die größte Gefahr von Wales. Aber wir müssen unser Spiel spielen und sie werden auch sehr viel über uns nachdenken müssen.“

Aus den Köpfen müssen die Spieler auch mögliche Sorgen um ihre Familien bei deren EM-Urlaub in Frankreich bekommen. Die Angehörigen mehrerer Spieler erlebten die Ausschreitungen von Marseille mit, die Ehefrau von Jamie Vardy erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei. „Das war eine der schlimmsten Erfahrungen jemals bei einem Auswärtsspiel! Ohne Grund mit Tränengas beschossen, eingesperrt und behandelt wie Tiere“, twitterte Rebekah Vardy in der Nacht zu Sonntag.

Sie bezog sich damit auf Geschehnisse vor dem Spiel, als die Polizei offenbar nach Auseinandersetzungen von englischen und russischen Anhängern auch in Stadionnähe Tränengas eingesetzt hatte. „Es gab dazu keinen Grund. Es gab dort keinen Ärger. Die Polizei war eine Schande“, sagte Rebekah Vardy der „Sun“ (Sonntag).

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