Fußball:Michel Platini: Gefallener Fußball-Romantiker

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Lausanne (dpa) - 32 Jahre nach dem EM-Titel als genialer Spielmacher ist der Spitzenfunktionär Michel Platini am Tiefpunkt angekommen.

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Lausanne (dpa) - 32 Jahre nach dem EM-Titel als genialer Spielmacher ist der Spitzenfunktionär Michel Platini am Tiefpunkt angekommen.

Ausgerechnet bei der Fußball-EM in seiner Heimat wird der Franzose allenfalls als geduldeter Gast auftauchen. Vom Internationalen Sportgerichtshof CAS gesperrt, als UEFA-Präsident zurückgetreten und auch als möglicher FIFA-Chef im Jahr 2019 verhindert.

Bei dem von ihm auf 24 Mannschaften aufgeblähten Turnier wird der 60-Jährige nicht in den Ehrenlogen sitzen und nicht den Pokal überreichen dürfen. Eine bittere Rolle, denn die Mammut-EM ist auch sein Projekt. Als wäre dies nicht schon Strafe genug für den sportpolitisch ambitionierten Machtmenschen, muss Platini auch noch um seinen EM-Rekord fürchten. Mit neun Treffern führt der einstige Dirigent der Équipe tricolore noch immer die EM-Torjägerliste an.

In diesem Sommer jedoch könnten die bislang sechsmal erfolgreichen Zlatan Ibrahimovic und Cristiano Ronaldo dem Franzosen diese Bestmarke streitig machen. „Ich verliere nicht gerne“, hatte Platini jüngst in einem Interview der Zeitung „Le Monde“ gesagt und philosophisch-kryptisch formuliert: „Jedes Mal, wenn ich mich der Sonne nähere, wie Ikarus, brennt es überall.“ Nun liegt die Funktionärskarriere des abgestürzten UEFA-Chefs in Schutt und Asche.

Auf dem Fußball-Feld machte er ganz selten grobe Fehler, auf dem Parkett der Sportpolitik hat ihn die Fortune jetzt verlassen. Aus dem Machtzirkel des von ihm geliebten wie geförderten Milliardengeschäfts hat sich Platini erst einmal herausmanövriert. Der ersehnte Aufstieg zum FIFA-Chef ist perdu - auch wenn der unbeirrbare bis sture Platini den Gang durch die Zivilgerichte in der Schweiz ankündigte.

Im stillen Kämmerlein wird sich Platini oft genug geärgert haben, dass er seinen einzigen Förderer und heutigen Erzfeind wie Schicksalgenossen Joseph Blatter nicht zum Präsidentenduell im Mai 2015 herausgefordert hat. Im Lichte des Korruptionsskandals wäre ein Sieg vielleicht doch möglich gewesen. Seine Kandidatur der zweiten Chance durch den geplanten Rückzug Blatters im Februar 2016 hatte Platini nun gründlich geplant, rechtzeitig die Kontakte zu wichtigen Stimmenbeschaffern wie Scheich Ahmad al Fahad al Sabah intensiviert.

Von Platini war man als Spitzenfunktionär eigene Führungsstärke und Durchsetzungsvermögen gewohnt. In seinen acht Jahren an der UEFA-Spitze hat er den europäischen Fußball mit maximalem Expansionsdrang zu ökonomischen Topwerten geführt. Krude wirkende Ideen, wie eine EM mit 24 Teams oder ein Pan-Europa-Turnier 2020 in 13 Ländern, setzte er - auch gegen verhaltenen deutschen Widerstand - ebenso durch wie die Nationenliga ab 2018.

Großer moralischer Schwachpunkt war Platinis Unterstützung für Katar als WM-Gastgeber 2022. Es dürfe nicht „vergessen werden, dass er eine Schlüsselfigur des beschämendsten Moments in der Geschichte des Spiels war“, schrieb jüngst die britische Zeitung „Independent“. Zumindest einen faden Beigeschmack hatte der überraschende EM-Zuschlag an Polen und die Ukraine 2012 - wenige Monate nachdem der Franzose gerade durch die Stimmen osteuropäischer Verbände ins Amt gekommen war. Angebliche Korruptionsbelege konnte ein vermeintlicher Zeuge nie in der UEFA-Zentrale in Nyon präsentieren.

Gelegentlich wirkt der 60-Jährige ein wenig zu schnoddrig für die Welt der Fußball-Anzugträger - die Haare verwuschelt, das Hemd gerne aufgeknöpft oder die Krawatte sorglos gebunden, aber dafür mit einem schelmischen Lächeln ausgestattet und der Schlagfertigkeit, kritische Fragen mit liebenswertem Sarkasmus abzubügeln. Ein Romantiker und Visionär solle er sein, so das gängige Urteil - aber er war auch ein knallharter Geschäftsmann. Zum Verhängnis wurde Platini nun ausgerechnet die alte Seilschaft mit Blatter.

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