Fußball:Mainz-Präsident Strutz: «Geschichte nicht wiederholbar»

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Mainz (dpa) - Aus einem von der Insolvenz bedrohten Club hat Harald Strutz den FSV Mainz 05 zusammen mit einer Handvoll Getreuer in seiner 25-jährigen Präsidentschaft zu einem etablierten und geachteten Mitglied der Fußball-Bundesliga gemacht.

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Mainz (dpa) - Aus einem von der Insolvenz bedrohten Club hat Harald Strutz den FSV Mainz 05 zusammen mit einer Handvoll Getreuer in seiner 25-jährigen Präsidentschaft zu einem etablierten und geachteten Mitglied der Fußball-Bundesliga gemacht.

Zu seinem Jubiläum am 18. September zieht der dienstälteste Erstliga-Präsident im dpa-Interview Bilanz. Der 62-jährige Jurist lobt die Originalität des Clubs und seine Protagonisten. Er hebt Manager Christian Heidel sowie die Trainer Wolfgang Frank, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel hervor und warnt vor Fehlentwicklungen im Profi-Fußball.

Frage: Herr Strutz, 25 Jahre Präsident von Mainz 05, dazu Vizepräsident des DFB, Vizepräsident des Ligaverbandes, Fraktionsvorsitzender der FDP im Mainzer Stadtparlament - und Musik machen Sie auch noch. Wie viele Stunden muss Ihr Tag haben?

Harald Strutz:Man darf nicht vergessen, dass vieles nicht täglich stattfindet. Was mich tagtäglich beschäftigt, ist Mainz 05, meine Anwaltskanzlei und die Familie. Die Band probt einmal die Woche, aber das ist Freizeit, das ist einfach nur Rock, das ist Spaß. Außerdem habe ich die große Begabung, organisieren zu können. Das ist auch das Erfolgsgeheimnis von Mainz 05.

Dafür, dass Sie am 18. September 1988 fast in das Präsidenten- Amt gedrängt worden sind, machen Sie das schon ziemlich lange.

Strutz:Nicht fast, es war so. Ich hab mich zwar für die Ergebnisse von Mainz 05 interessiert, war aber nie im Stadion. Dass ich 1. Vorsitzender wurde, war in der Tat Zufall. Ich habe halt „Ja“ gesagt. Damit hat sich mein Leben verändert und das einer Vielzahl anderer Menschen auch, nicht nur das meiner Familie. Wir haben mit viel Leidenschaft viel für die Jugend in dieser Stadt getan, viel für das Image. Wir haben einfach etwas ganz Besonderes aufgebaut. Mainz - das ist nicht mehr nur Fastnacht und ZDF, sondern auch Fußball, Emotion, Leidenschaft, Freude, Tränen, Trauer und zwar jedes Wochenende.

Nennen Sie drei, vier ganz markante Punkte Ihrer Amtszeit.

Strutz:Ich kann es in Perioden einteilen. Von 1988 bis 92 ging es um die wirtschaftliche Solidierung. Dann kam der leider viel zu früh verstorbene Trainer Wolfgang Frank dazu, der den Verein gepusht hat mit seinen Ideen, seinen Visionen. Dann die Ära Jürgen Klopp, die 2001 begann. Da hatten wir uns schon konsolidiert, hatten auch schon ein Image, eine gesellschaftliche Stellung und politische Verbindungen. Alle haben gesehen, dass wir sehr seriös arbeiten. Dann kam diese Aufbruchstimmung mit unseren Fans, die Leidenszeit mit dem Scheitern bei Union Berlin, in Braunschweig, dieser unglaubliche Aufstieg 2004. Dann folgte die schwierigste Entscheidung: Den Aufstiegstrainer Jörn Andersen vor dem Saisonstart zu entlassen. Schließlich haben wir Thomas Tuchel das Vertrauen geschenkt und sind innerhalb von sechs Jahren in die Coface Arena umgezogen. Es ist kein übersteigertes Selbstbewusstsein, sondern realistisch zu sagen, dass sich eine solche Geschichte wie bei Mainz 05 nicht wiederholen kann. Du kannst heute nicht mehr in die Bundesliga kommen, wenn du so anfängst wie wir, ohne Investor und Sponsoren. Man muss schon mal tief Luft holen, um das selbst glauben zu können.

Wie hat sich der Fußball in Ihrer Amtszeit verändert?

Strutz: Die radikalsten Veränderungen ergeben sich eigentlich aus den wirtschaftlichen Veränderungen. Der Bundesliga-Fußball, ich hab ja drei Fernseh-Verträge mit unterschreiben können, lebt von der unfassbaren Aufstockung der Einnahmen aus dem TV-Bereich. Mit der Folge, dass nicht nur die Mannschaften besser werden, sondern auch die gesamte Infrastruktur der Stadien. Was sich auch verändert hat, ist die Einstellung der Fans. Heute ist der Fußball ein Event. Die Menschen suchen Gemeinschaftlichkeit und Emotion.

Ist zu viel Geld im System?

Strutz: Nein. Die Leute, die so argumentieren, wissen nicht, was durch den Fußball alles bewegt wird. Abgesehen von den Steuereinnahmen bewirken die Vereine über die Bundesliga-Stiftung enorm viel Karitatives. Es werden große Summen ausgeschüttet, um Menschen, die in Not sind oder Institutionen, die kein Geld bekommen von den Gemeinden, zu unterstützen. Über 27 000 Aktionen sind unterstützt worden. Wir allein haben in den letzten zwei Jahren hier in Mainz und der Region über 380 000 Euro ausgeschüttet.

Welchen Stellenwert hat Trainer Thomas Tuchel?

Strutz: Alle sprechen immer noch nur über Kloppo. Thomas Tuchel ist genauso eine starke Persönlichkeit. Wir gewinnen durch ihn Spieler, die wie bei Klopp wegen des Trainers kommen. Es wird spannend sein zu sehen, wie sich der Weg von Tuchel nach Mainz 05 gestalten wird. Ich bin froh, dass wir einen Trainer haben, der so emotional ist, der sich nicht verstellt, der zeigt, wenn ihm etwas nicht passt. Wer fachlich so viel drauf hat, der darf auch mal mürrisch sein.

Gibt es Entwicklungen in der Liga, die Ihnen missfallen? Deutschland ist immer noch ein kleines Biotop dank der 50+1-Regel.

Strutz:Das ist gut, das sollte so bleiben. Wenn ein Verein sich an einen Investor verkauft, verliert er viel von seiner Originalität. Wenn diese Entwicklung bei uns Einzug erhält, werden wir in der ersten und zweiten Liga immer die gleichen Vereine haben. Dann hat auch aus den unteren Spielklassen niemand mehr die Chance, hochzukommen. Das hat auch Auswirkungen auf die Anhänger, wenn wir nur noch Retortenvereine ohne Tradition haben. Mir ist wichtig, dass wir unser Fan-Wesen erhalten, wie es ist.

Es ist demnach auch bewusst gewollt, dass bei Mainz 05 kein Spieler mehr als eine Million Euro verdient?

Strutz:Wir müssen jetzt nicht über Gehälter reden. Aber Tatsache ist, dass wir unsere Spieler nicht mit Euros zuschütten, sondern ihnen die Möglichkeit bieten, sich weiterzuentwickeln und zu präsentieren. Das ist unsere Philosophie. Es geht auch darum, dass die Spitzenclubs nicht vergessen, dass die Bundesliga ein Wettbewerb ist. Und wenn keine echte Konkurrenz da ist, dann mangelt es auch an Überraschungsmöglichkeiten. Immer nur die Bayern im Fernsehen, das wird doch langweilig. Der Wettbewerb darf nicht sterben. Wir sind bereits auf dem Weg, dass Langeweile eintreten könnte.

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