Fußball:Löw will in Geschichtsbücher - «Blödes Gerede» beenden

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Santo André (dpa) - Die Laufkilometer von Joachim Löw in Brasilien sind - anders als die seiner Spieler - nicht registriert. Es dürften einige hundert zusammengekommen sein - am Strand und am Spielfeldrand.

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Santo André (dpa) - Die Laufkilometer von Joachim Löw in Brasilien sind - anders als die seiner Spieler - nicht registriert. Es dürften einige hundert zusammengekommen sein - am Strand und am Spielfeldrand.

„Das tut mir gut“, berichtete der Bundestrainer von seinen morgendlichen Läufen am Meer. „Er ist auch bei 70 Kilometern“, scherzte Torjäger Thomas Müller. Die Sporteinheit manchmal schon vor sechs Uhr in der Früh war in den 33 Tagen in Santo André für den Bundestrainer auch ein Ausgleich für den Stress in den Coachingzonen von Salvador, Fortaleza, Recife, Porto Alegre, Rio de Janeiro und Belo Horizonte. „Am Strand reagiert er sich ab“, bemerkte Kapitän Philipp Lahm. „Eine WM ist etwas ganz anderes als ein normales Länderspiel“, bekannte Löw schon vor dem Turnierstart.

Nun steht der DFB-Chefcoach vor einer Partie, deren Bedeutung die aller vorherigen 111 Spiele in seiner Verbands-Laufbahn seit 2006 übertrifft. WM-Finale 2014 im Tempel Maracanã - mit dem ersten Triumph eines europäischen Teams in Südamerika kann sich Löw einen herausragenden Platz in den Fußball-Geschichtsbüchern sichern.

Wie der Chef der Titelmission einen Erfolg in Rio feiern würde, können sich auch seine engsten Vertrauten noch nicht vorstellen. „Jogi ist so, wie er ist. Es ist schwer zu bewerten, was in dem Moment passiert“, bemerkte Bierhoff am Freitag vor der Abreise aus Santo André: „Ich gehe nicht davon aus, dass Jogi da wild über den Platz rennt. Er wird sich freuen und zufrieden sein.“

„Für mich ist er ein fantastischer Trainer“, urteilte Rekordtorjäger Miroslav Klose schon vor Löws wichtigstem Match als Bundestrainer. „Er hat immer eine klare Linie, das ist wichtig für die Spieler“, ergänzte Kapitän Philipp Lahm. Gegen Argentinien kann sich die Generation Klose, Lahm und Schweinsteiger nicht nur selbst krönen, sondern zugleich auch die mittlerweile achtjährige Amtszeit ihres Trainers. „Er hat klare Vorstellungen“, sagte Manager Oliver Bierhoff: „Wir nehmen die Spieler mit.“

„Ich hoffe, dass wir Vier uns kurz umarmen können nach dem unglaublich weiten Weg, den wir gemeinsam gegangen sind“, blickte Manager Oliver Bierhoff schon mal kurz auf den möglichen Moment des Triumphes. Löw, seine Assistenten Hansi Flick und Andreas Köpke sowie Bierhoff sind seit 2006 das Führungsquartett des DFB-Teams.

Bis zur „WM der Strapazen“, wie Löw treffend vorausgeschaut hatte, konnte sich der 54-Jährige weitgehend freimachen von allen Meinungen, Wünschen und Forderungen, nach 24 Jahren endlich wieder einmal die wertvollste Fußballtrophäe der Welt nach Deutschland zu holen. „Wenn man sagt, Deutschland ist jetzt mal wieder dran, damit kann ich nichts anfangen“, bemerkte Löw. Doch natürlich ist ein Titel auch für ihn „etwas Besonderes“, wie er jüngst zugab. Mindestens ein Tor mehr zu schießen als zu bekommen, diese alte Fußballweisheit, bestimmte in Brasilien mehr als zuvor Löws Konzept und seine Matchpläne.

Zweiter bei der EM 2008, Dritter bei der WM 2010, Dritter auch bei der EURO vor zwei Jahren in Polen und der Ukraine - ohne Frage hat nach Jürgen Klinsmann dessen ehemaliger Assistent Löw das deutsche Nationalteam wieder fest und kontinuierlich in der Weltspitze etabliert. Löw sieht die Chance zum ganz großen Coup 2014 vor allem auch als Erfolg seiner beharrlich verfolgten Linie. „Irgendwie haben wir es uns erarbeitet, dass wir immer drangeblieben sind, dass wir eine gute Vorbereitung hatten, dass wir viel investiert haben. Und dass wir natürlich auch sehr gute Spieler haben“, sagte der zehnte Bundestrainer der DFB-Historie.

Die Hälfte davon hat Titel gewonnen: Sepp Herberger (WM 1954), Helmut Schön (EM 1972, WM 1974), Jupp Derwall (EM 1980), Franz Beckenbauer (WM 1990) und Berti Vogts (EM 1996). Danach blieben Erich Ribbeck, Rudi Völler, Klinsmann und bisher auch Löw titellos. Für den ersten DFB-Trainer Otto Nerz steht der dritte Platz bei der WM 1934 als bestes Ergebnis. „Bei den letzten vier Weltmeisterschaften stand die deutsche Nationalmannschaft jeweils mindestens im Halbfinale. Das spricht für Konstanz und Kontinuität“, betonte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, der 1990 in Rom den WM-Endspielsieg gegen Argentinien als Pressechef erlebt hatte. 24 Jahre später sieht der zum Verbandsboss aufgestiegene Niersbach Löw als Glücksfall, verlängerte den Kontrakt mit dem punktbesten aller Bundestrainer lange vor der WM bis nach der Europameisterschaft 2016 in Frankreich. „Ich würde ihm diesen Titelgewinn gönnen“, sagte der DFB-Präsident in Brasilien zu seinem wichtigsten Mitarbeiter: „Schon deshalb, dass das blöde Gerede aufhört, mit ihm wäre der Sprung auf das oberste Podest nicht möglich. Das stimmt ganz einfach nicht.“ Gerade nach dem schwierigen Achtelfinale gegen Algerien habe Löw auf alle Kritik professionell, ruhig, entspannt und souverän reagiert. „Das überträgt sich sofort auf die Mannschaft“, meinte Niersbach.

Die Mannschaft folgt Löw. „Das Schöne ist, dass sich kaum etwas verändert hat seit 2006, als er noch Zweiter war hinter Jürgen Klinsmann“, skizzierte Routinier Klose die Rolle des Bundestrainers. „Er hat schon immer mit den Spielern viel geredet. Er hat taktische Dinge reingebracht“, sagte der Stürmer vor seinem zweiten WM-Endspiel. Dazu kämen Löws Qualitäten, „dass er das ganze Team sieht, dass er immer wieder neue Sachen ins Training einbringt. Das hat er bisher immer sehr gut gemacht“, betonte Klose.

„Es ist einfach klasse“, bemerkte Flick, der gegen Argentinien letztmals als Assistenztrainer auf der Bank sitzen wird und nach dem Turnier auf den Posten des DFB-Sportdirektors wechselt, zum Zusammenwirken im engsten Führungszirkel der Nationalmannschaft. Löw ist bei einem Turnier im Tunnel, sein Weg erschließt sich nicht jedem. „Jeder soll seine Meinung haben, es macht doch auch Spaß, über Fußball zu reden“, meinte der Bundestrainer zu konträren Diskussionen. „Wir machen das intern nicht anders. Ich verfolge eine klare Linie und werde diese nicht der öffentlichen Meinung anpassen, nur um dieser Meinung zu entsprechen“, betonte Löw.

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