Wenn man einem Maler den Pinsel aus der Hand nimmt, kurz bevor er sein Gemälde vollendet hat, ist das für ihn schmerzhaft genug, zumal wenn es das Bild seines Lebens werden sollte. Aber wenn sich dann der ehemalige Praktikant an der Fertigstellung versucht, womöglich noch assistiert vom hauseigenen Fitnesstrainer, muss es eine Qual sein. Man kann sich also in etwa vorstellen, wie sich der heutige Hobbymaler und vormalige Fußball-Manager Dieter Hoeneß, 56, fühlen muss, wenn er bedenkt, in wessen Hände sein Vermächtnis gefallen ist, der Hauptstadtklub Hertha BSC.
Über Michael Preetz, 42, einst Mittelstürmer in Berlin, dann eine Art Praktikant in der Geschäftsstelle, später Leiter der Lizenzspielermannschaft und heute der neue Geschäftsführer, hatte sich Hoeneß ja stets mit dem zweifelnden Unterton geäußert, mit dem lebenserfahrene Künstler über die nächste Generation sprechen. Und Trainer Lucien Favre, 51? Ihn sah Hoeneß immer schon auf dem Trainingsrasen am besten aufgehoben. Ein begnadeter Fußball-Lehrer sei der Schweizer ("deshalb habe ich ihn geholt"), aber kaum talentiert als strategischer Baumeister einer Fußballelf.
Probleme in der Defensive
Das ist der thematische Überbau jener Selbstfindungsphase, die Hertha BSC gerade durchlebt. Preetz und Favre haben allen Grund, an der Ligatauglichkeit ihrer Defensivreihe zu zweifeln nach drei Niederlagen nacheinander (1:2 in Mönchengladbach, 1:2 bei Bröndby Kopenhagen, 0:1 in Bochum). Bei den Stürmern sieht es auch nicht gut aus (ein Stürmertor). Und sollten die Berliner an diesem Donnerstag (18.15 Uhr/DSF) das Ausscheidungs-Rückspiel gegen Bröndby Kopenhagen nicht gewinnen, bliebe nichts übrig von der Euphorie des Vorjahres, nicht mal die 1,5Millionen Euro, welche die Qualifikation zur Europa League versprach. So weit die kurzfristigen Nöte und Befindlichkeiten. Aber es gibt da eben diese übergeordnete Deutungsebene: ein Versprechen, das aus der Hoeneß-Ära stammt, als Versprechen noch "Drei-Jahres-Plan" heißen durften.
Einen solchen hatte Hoeneß im September 2007 auf den Markt geworfen, als Hertha im ersten Jahr unter Favre überraschend (und sehr vorübergehend) die Tabellenspitze erklommen hatte. 2008 als "Stabilisierungsjahr", 2009 ins internationale Geschäft - und 2010 sollte es dann die Champions-League-Qualifikation sein, so ging das Versprechen. Und zwar hatte Hoeneß stets glaubhaft versichert, dieses Ziel sei keinesfalls aus der Euphorie geboren gewesen, es entstamme seiner strategischen Weitsicht. Nur abgesprochen hatte es Hoeneß damals eben mit keinem. Mit wem auch - dem Praktikanten? Dem Fitnesstrainer? Zwei Spielzeiten lang lag die Hertha im Plan. Doch ein Jahr vor der Abrechnung hat man Dieter Hoeneß dann Pinsel und Farbeimerchen weggenommen.
Von dem Drei-Jahres-Plan hat sich Michael Preetz nach seiner Amtsübernahme als erstes distanziert. "Wir können nicht mit minus acht Millionen Euro in die Saison starten und den Leuten was von der Champions League erzählen", sagte er. Stattdessen gab Preetz ein Saisonziel aus, das Hertha BSC im Grunde nicht von Klubs wie Hannover 96 oder Eintracht Frankfurt unterscheidet: einen "einstelligen Tabellenplatz". Und das nach Rang vier im Vorjahr inklusive Meisterschaftsträumen bis zum vorletzten Spieltag. Man kann das unambitioniert nennen oder Verrat am Werk des Vorgängers. Oder einfach: Realismus.
Acht Millionen Euro, so viel müssen Preetz und Favre im Vergleich zur Vorsaison entweder über Transfers erwirtschaften oder beim Gehaltsetat einsparen. Das hohe Salär des Stürmers Andrej Woronin? Nicht länger zu bezahlen! Der zweite Torgarant der Euphorie-Saison, Marko Pantelic? Bis heute ohne neuen Verein - aber in Favres Kosten-Nutzen-Rechnung nicht mehr darstellbar. Hoffenheim nutzt die Ausstiegsklausel im Vertrag von Josip Simunic, dem bis dahin besten Innenverteidiger der Liga?
Alles muss raus
Kein Aufheulen, sondern Aufatmen an der Spree - wann kriegt man schon sieben Millionen für einen 31-Jährigen? Und so weiter: Hertha BSC wirkte zuletzt weniger wie ein um Verstärkungen bemühter Fußballklub, eher wie ein Gemischtwarenladen: Alles muss raus. Es ist eine Gratwanderung zwischen wirtschaftlicher Konsolidierung und drohendem sportlichem Mittelmaß, das ahnt wohl auch der Kapitän Arne Friedrich, wenn er die Klubführung nach jedem Spiel flehend zum Handeln auffordert ("Uns fehlt die Qualität!"), aber dann immer nachschiebt: "Ich weiß, dass der Verein Schulden hat."
Doch so dramatisch die Entwicklung derzeit klingt, für Ingo Schiller, den für Finanzen zuständigen Hertha-Geschäftsführer, ist sie einfach nur Liga-Alltag. Weniger TV-Geld wegen des geplatzten TV-Vertrags mit Sirius, weniger Sponsorengeld wegen der Krise - Schiller nennt das eine "Parallelverschiebung, die alle Klubs betrifft, außer sie haben einen großen Geldgeber im Rücken oder sind in der Champions League dabei". Zudem verweist Schiller darauf, dass "schon die alte Geschäftsführung den Etat beschlossen hat" (Hoeneß soll intern aber für mehr Risiko plädiert haben). Und er verweist auf den "hochkarätigen Stürmer", den man dank der Transfererlöse noch verpflichten werde. Und zwar "in jedem Fall" - selbst wenn es schiefgehen sollte gegen Kopenhagen.