Fußball:FIFA sucht nach Fansturm Lösungen für Sicherheitslücken

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Rio de Janeiro (dpa) - Die Erstürmung des Pressezentrums im legendären Maracanã durch zahlreiche chilenische Fußballfans hat FIFA, WM-Organisatoren und Brasiliens Behörden offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt und bedenkliche Lücken im WM-Sicherheitskonzept offenbart.

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Rio de Janeiro (dpa) - Die Erstürmung des Pressezentrums im legendären Maracanã durch zahlreiche chilenische Fußballfans hat FIFA, WM-Organisatoren und Brasiliens Behörden offensichtlich auf dem falschen Fuß erwischt und bedenkliche Lücken im WM-Sicherheitskonzept offenbart.

Auch einen Tag nach dem Vorfall in Brasiliens Fußball-Heiligtum unmittelbar vor der Partie zwischen Spanien und Chile (0:2) konnten weder der Weltverband noch die staatlichen Sicherheitskräfte Maßnahmen für den weiteren Turnierverlauf verkünden.

„Die Diskussionen laufen noch. Die Geschehnisse müssen genau bewertet werden. Wir hatten ein Meeting, um die Situation zu bewerten und um sicherzustellen, dass sich der Vorfall nicht wiederholt“, sagte der für Sicherheit zuständige OK-Verantwortliche Hilario Medeiros in Rio de Janeiro. Immerhin FIFA-Sicherheitschef Ralf Mutschke redete Klartext und nannte den in der WM-Historie einmaligen Vorfall „beschämend“ für den Weltverband.

Ein Versäumnis in den generellen Sicherheitsvorkehrungen wurde von allen Seiten dementiert. 1087 Stewards privater Sicherheitsdienste seien im Stadion im Einsatz gewesen, außerhalb der Arena waren es 3000 staatliche Ordnungshüter. Die chilenischen Eindringlinge waren im Pressezentrum gestoppt worden, wo für kurze Zeit chaotische Zustände geherrscht hatten.

Der Sicherheitsdirektor des Justizministeriums, Andrey Passos Rodrigues, wich konkreten Fragen nach Konsequenzen aus. „Maßnahmen müssen getroffen werden, aber anhand einer Analyse der Ereignisse“, sagte der Regierungsvertreter. Für das kommende Spiel im Maracanã werde man Lösungen finden. Die Partie am Sonntag zwischen Belgien und Russland dürfte aber ohnehin keine Fan-Konflikte dieser Art hervorrufen. Spannender ist die Frage, welche Maßnahmen für die kommende Partie Chiles gegen die Niederlande am Montag in São Paulo oder das Spiel Argentiniens am Samstag gegen Iran in Belo Horizonte getroffen werden.

Korrigiert wurde die Zahl der festgenommenen Chilenen. 87 Personen wurden von der Polizei in Gewahrsam genommen. Zunächst war von 85, dann von 88 Fans gesprochen worden. Wie viele Fans insgesamt ins Stadioninnere gelangt waren, ist weiterhin unklar. Die Chilenen sind mittlerweile wieder freigelassen, müssen Brasilien aber innerhalb von 72 Stunden nach der Festnahme verlassen - sonst droht ihnen die Abschiebung.

Während WM-OK und Regierungsvertreter betonten, dass es bei dem Einsatz privater und staatlicher Sicherheitskräfte nach ihrer Kenntnis keine Verletzten gegeben habe, räumte Mutschke ein, dass er auch von Verletzten „gehört habe“. Eine Frau soll sich den Arm gebrochen haben. Ein Mann wurde nach Augenzeugenberichten von einem Polizist mehrfach mit dem Kopf gegen ein Metallschließfach gestoßen. Am Donnerstag zeugte nur noch eine zersplitterte Glastür am Eingang von den Ereignissen, die der Internationale Sportjournalistenverband AIPS aufs schärfste verurteilte.

Die Fans aus Chile, ohne Karten für die WM-Partie, hatten zielsicher eine Schwachstelle in den Sicherheitsvorkehrungen entdeckt. Der Presseeingang in der riesigen Betonschüssel in Rio de Janeiro ist der einzige nicht von Metalldrehkreuzen versperrte Weg ins Maracanã. Außerdem liegt er an der Schnittstelle der Zuständigkeit staatlicher Polizeieinheiten außerhalb des Stadions und privater Sicherheitskräfte innerhalb der Arena.

In ersten Reaktionen hatten sich Behörden und WM-OK gegenseitig die Schuld an den chaotischen Zuständen zugeschoben. Nun versuchten beide Seiten, einen Schulterschluss zu demonstrieren. „Wir sitzen im gleichen Boot. Es gibt keinen Kampf zwischen der FIFA und brasilianischen Behörden“, versicherte Mutschke.

Dennoch tauchen plötzlich viele Sicherheitsfragen auf. Zumal es sich nicht, wie von LOC und FIFA behauptet, um ein „singuläres“ Ereignis handelte. Schon vor dem ersten Spiel im Maracanã am Sonntag hatten argentinische Fans versucht, über einen Zaun ins Stadion zu gelangen. Offenbar haben die WM-Macher die große Masse an Fans unterschätzt, die gerade aus anderen Ländern Südamerikas ohne Karten nach Brasilien kommt.

In Fortaleza kamen vor dem Spiel zwischen Brasilien und Mexiko 300 Stewards nicht zur Arbeit. Die Polizei musste kurzfristig ihre Aufgaben übernehmen. Ein ähnlicher Vorfall hatte sich in Brasilía ereignet und zu verspätetem Einlass Hunderter Zuschauer geführt. In Cuiaba hatte ein Fan Feuerwerkskörper beim Spiel Chile gegen Australien (2:1) gezündet.

Laut Mutschke stellten die Ordner vor dem Spiel Chiles gegen Spanien „zahlreiche Butterfly-Klappmesser und Tische voll an Pyrotechnik und Böllern sicher“. Dies wurde als Zeichen gewertet, dass die Sicherheitskräfte ihre Arbeit erfolgreich verrichten.

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