Fußball:England imitiert die deutsche Strategie

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  • Englands Fußballer treffen am Freitagabend im Länderspiel auf die DFB-Elf.
  • Zuletzt haben englische Junioren-Teams drei begehrte Titel gewonnen - langfristig soll auch die Nationalmannschaft davon profitieren.
  • Doch in den Klubs haben es die Talente schwer. Jüngst kritisierte Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick die englischen Vereine.

Von Sven Haist, London

Gleich an seinem ersten Tag bei der Nationalmannschaft wurde der Debütant Tammy Abraham vom englischen Fußballverband der Öffentlichkeit vorgestellt. Normalerweise werden neue Spieler erst mal ferngehalten von den wenig zurückhaltenden Medien auf der Insel, und der Termin hätte mit genügend anderen, renommierten Spielern besetzt werden können. Der 19 Jahre alte Abraham hat gerade mal 13 Einsätze in der Premier League vorzuweisen. Immerhin gelangen dem Angreifer des FC Chelsea, der zu Swansea City ausgeliehen ist, dabei vier Treffer.

Hinter dem Vorgehen der Football Association (FA) steckte das Kalkül, die Aufmerksamkeit des Landes auf die Erfolge im Nachwuchsbereich zu lenken - und damit weg von den unansehnlichen Leistungen des A-Nationalteams. In der Qualifikation für die WM 2018 spielte die Mannschaft unter Anleitung des Trainers Gareth Southgate sukzessive das Wembley-Stadion leer. Southgates durchschnittliche Spielerkarriere ging bisher über in eine durchschnittliche Trainerkarriere. In Erinnerung von früher blieb seine Kritik an einer Halbzeitansprache des schwedischen Coaches Sven-Göran Eriksson: "Wir erwarteten Winston Churchill und bekamen Iain Duncan Smith", sagte er. Der britische Politiker Smith war im Gegensatz zu Churchill rhetorisch nur mäßig begabt.

Der Zeitpunkt, den die FA für die Positionierung ihrer Talente gewählt hat, ist kein Zufall. Das dritte Aufeinandertreffen zwischen England und Deutschland innerhalb der vergangenen 20 Monate, beim Testspiel am Freitagabend (21 Uhr) in London, gehört zu einer Vereinbarung über den Austausch von Fachwissen im sportlichen und strukturellen Bereich. Die englischen Führungskräfte haben Deutschlands Entwicklung zum Weltmeister als Leitbild auserkoren. Dem Vorbild werden nun in Wembley erste Ergebnisse präsentiert.

In diesem Jahr hat sich England drei begehrte Nachwuchstitel gesichert. Mit den U17- und U20-Junioren gelang der Gewinn der Weltmeisterschaft, die U19 holte den EM-Pokal. In bisher 45 Pflichtspielen in diesem Jahr blieben alle Nationalteams ungeschlagen. Das Aus der U17 und U21 bei den jeweiligen Europameisterschaften ereignete sich erst im Elfmeterschießen, weshalb beide Partien als Unentschieden gewertet werden.

Englands Strategie ähnelt der in Deutschland

Die Grundlage für die vielversprechende Generation bildet der "Elite Player Performance Plan". Der englische Verband hat die Regelungen gemeinsam mit der Liga vor fünf Jahren erarbeitet und umgesetzt. Die Strategie ähnelt dem lange zuvor etablierten System in Deutschland. Neben der fußballerischen Förderung enthält das Programm ein Konzept zur Stärkung der Persönlichkeit und der akademischen Bildung. Peinlichkeiten wie jene, dass eine Gruppe von Nationalspielern es einst beim Testspiel in Südafrika vorzog, schlafen zu gehen, als den inzwischen verstorbenen Freiheitskämpfer Nelson Mandela zu treffen, will sich England künftig ersparen.

Mit dem kostspieligen Bau des nationalen Fußballzentrums St. George's Park im Nordwesten der Insel hat die FA ein Zuhause für ihre Nationalmannschaften in der Zeit von Länderspielen errichtet. Das Zusammenleben auf dem Trainingsgelände soll die Interaktion und den Informationsaustausch anregen. An den Maßnahmen lässt sich die Aufholjagd erkennen, die England eingeleitet hat, um die anhaltende internationale Erfolglosigkeit nach dem einzigen Titelgewinn bei der Heim-WM vor mehr als 50 Jahren zu beenden. Das kollektive Versagen gegen Island (1:2) im Achtelfinale der EM 2016 machte am deutlichsten, dass die Spieler nicht wussten, wie sie mit der stets hohen Erwartungshaltung der Nation umgehen sollen. Sie blickten ratlos zu Trainer Roy Hodgson am Seitenrand, der genauso ratlos zurückblickte.

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Für den Sprung in die Weltspitze bedarf es nach dem Nachwuchsbereich auch einer Runderneuerung im A-Team - speziell, was die Spielweise anbelangt. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit ist Southgate nun ein Wagnis eingegangen. Bei der Zusammenstellung des Kaders brüskierte er durch die Berufung von vier Debütanten die diesmal nicht berücksichtigten Daniel Sturridge, Alex Oxlade-Chamberlain (beide Liverpool), Jack Wilshere (Arsenal) und Chris Smalling (Manchester United).

Die Tücken dieser Idee offenbarten sich umgehend nach sechs kurzfristigen Absagen der zum Teil wichtigsten Spieler des Southgate-Teams. Ohne Jordan Henderson (FC Liverpool), Raheem Sterling, Fabian Delph (beide Manchester City), Torjäger Harry Kane, Dele Alli und der jüngsten Entdeckung Harry Winks (alle Tottenham Hotspur) geht es für England in den Test-Duellen mit Deutschland und Brasilien (nächsten Dienstag) wohl lediglich um passable Resultate. Die größte Rückzugswelle seit November 2006 hätte gar die Option geboten, weitere Teenager der erfolgreichen Juniorenteams zu nominieren. Bloß helfen die durch ihre Unerfahrenheit in dieser Situation - noch - nicht weiter.

Trotz der Bemühungen des Verbandes den Vereinen die Vorzüge anzupreisen, mehr heimische Spieler in den Profimannschaften einzusetzen, obliegt die Umsetzung den Klubs. Im Massenblatt Sun kritisierte jüngst Leipzigs Sportdirektor Ralf Rangnick die englischen Vereine: "Phasenweise sieht es so aus, als würde ein Milliardär die Talente wie Briefmarken horten. Wenn er Besuch hat, präsentiert er stolz seine Sammlung. Und wenn der Besuch weg ist, legt er sie zurück ins Regal."

Deswegen sind im Sommer auch einige Spieler aus den sündteuren Akademien ausgezogen. Der prominenteste Fall ist der Wechsel des englischen Supertalents Jadon Sancho, 17, von Manchester City zu Borussia Dortmund. Auf der Insel sind die Reserveteams der Spitzenvereine aus dem Ligasystem ausgegliedert und spielen in einer Privatrunde. Das erschwert den Übergang für die Junioren, zumal die Profitrainer in den Klubs meist dem unmittelbaren Erfolg alles unterstellen.

Mit Geschick lässt sich jedoch selbst aus dem derzeitigen Aufgebot Englands eine ambitionierte Mannschaft formen. Dass Southgate dazu in der Lage ist, hat er noch nicht bewiesen. Momentan ist die Atmosphäre eher so, dass die Spieler irgendwann mal sagen könnten, sie hätten einen Trainer erwartet, der sie zum WM-Titel führt - stattdessen aber hätten sie Southgate bekommen.

© SZ vom 09.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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