Fußball-EM in Polen und der Ukraine:Was die Politik beim Finale lernen sollte

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Während jeder Krisengipfel von Nationalinteressen ausgehöhlt wird, wurde das EM-Turnier von einer neuen europäischen Fußballästhetik getragen. Spielfreudige Italiener treffen nun im Finale auf Spanien. Die Politiker könnten daraus lernen, was Disziplin bedeutet - und wie man aus einem Haufen Exzentriker verantwortungsbewusste Männer macht.

Birgit Schönau

Es ist ein merkwürdiger Zufall: Während die Regierungschefs von Spanien und Italien in Brüssel um Krisenhilfe für ihre Länder kämpften, gelang ihren Nationalteams der Einzug ins Finale. Oder ist es gar kein Zufall? Manchmal konnte man nämlich bei dieser EM das Gefühl haben, dass der europäische Fußball weiter ist als die Politik. Denn während jeder Krisengipfel von Nationalinteressen ausgehöhlt wird, wurde das Turnier von einer neuen europäischen Fußballästhetik getragen.

Schauplatz des EM-Finals zwischen Spanien und Italien: das Olympiastadion in Kiew. (Foto: dpa)

Die nationalen Schulen sind abgeschafft oder - im Falle von England - ad absurdum geführt, ein unverkrampft-leichtes Offensivspiel bewegt Europas Mächte des Ballsports. Und ausgerechnet der Süden eilt voran. Spanien, oft kopiert, aber noch nicht erreicht, steht erneut im Finale. Der Gegner heißt Italien. Er hat sich komplett neu erfunden, fußballerisch jedenfalls.

Man könnte dieses EM-Finale abtun mit der Theorie von panem et circenses: Brot und Spiele fürs Volk, dann hält es still. Man könnte spotten, dass in den Ländern der Finalisten nicht viel funktioniert - außer Fußball. Doch das wäre überheblich und viel zu kurz gedacht. In Italien zumindest hat sich zuletzt viel verändert. Früher wurde das Land von Silvio Berlusconi dominiert, der seine Partei nach dem Anfeuerungsruf für die Nationalelf "Forza Italia" nannte und der seinen Klub AC Mailand auch zur politischen Imagepflege nutzte.

Heute regiert ein Mann, der kürzlich anregte, den Fußballbetrieb für zwei, drei Jahre zwecks Selbstsäuberung anzuhalten. Mario Monti ist zwar auch Milan-Fan wie Berlusconi, geht aber eigentlich nie ins Stadion; am Sonntag nach Kiew will er jetzt aber doch fliegen. Vorher hat er sich mit den Dingen beschäftigt, die er für ernster, für wichtiger hält.

Ins Stadion zog es immer schon Angela Merkel. Ihre Ausgelassenheit auf der Tribüne anlässlich des deutschen Sieges über einen hoffnungslos unterlegenen Gegner mag Merkel zu Hause populärer gemacht haben - in Europas Süden fand man solches Verhalten befremdlich. Deutsches Triumphgeheul empfindet man dort nicht als passende Begleitmusik zu Europas Krise: Die Deutschen sind sowieso der Klassenprimus. Müssen sie auch noch auf dem Fußballplatz den Ton angeben?

Nun, so weit kam es nicht - nicht zuletzt, weil die Strategie des Joachim Löw von einer gewissen, vielleicht typisch deutschen Starrheit und Siegesgewissheit geprägt war.

Das Finale in Kiew werden anpassungsfähige, chronisch tiefstapelnde Italiener gegen Spaniens Ästheten bestreiten; ohne Frau Merkel, die wegen der Menschenrechtslage in der Ukraine dann auch nicht in politische Verlegenheit kommt. Und doch wünscht man sich, dass Europas Regierungschefs am Sonntagabend hinschauen werden.

Wenn die Politik den Fußball schon nutzt, könnte sie zur Abwechslung auch mal von ihm lernen. Sie könnte lernen, wie man aus einem Haufen Anarchos und verwöhnter Exzentriker eine Mannschaft verantwortungsbewusster Männer macht, die ihre Siegprämie den Erdbebenopfern in der Emilia Romagna spenden würden: Italiens Trainer Prandelli führt es gerade vor. Die Politik könnte staunen über die Leichtigkeit, mit der Spanien seine Erfolge herbeizaubern konnte, und anerkennen, wie viel Disziplin in dieser Choreographie steckt.

Bisweilen wünscht man sich, dass auch das ermüdende Feilschen der Politiker einmal per Elfmeterschießen beendet werden könnte. Weil es an dem, was die Kicker bei dieser EM schon haben, so offensichtlich fehlt.

© SZ vom 30.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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