Florian Kohfeldt beim VfL Wolfsburg:Die Spiritusflasche vermisst das Feuer

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Unverständnis bei Wolfsburg-Trainer Florian Kohfeldt. Seiner Mannschaft fehlt das Aufbäumen auf dem Rasen. (Foto: Susanne Hübner/imago)

Knick im Lebenslauf oder Rüstzeug für eine größere Karriere? Nach dem Aus des VfL Wolfsburg in der Champions League liegt eine schwere Zeit vor Trainer Florian Kohfeldt - die Mängelliste ist lang, das Potenzial jedoch groß.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Eigentlich schon ein ungewöhnliches Duo, das sich am Mittwochabend in der Wolfsburger Arena entgegenlief. Von der einen Seite kam Michael Frontzeck, von der anderen Seite Florian Kohfeldt, zwei Fußballtrainer verschiedener Generationen und zwei sehr unterschiedliche Charaktere. Der Ältere, Frontzeck, ist der Assistent des Jüngeren, Kohfeldt, was für sich genommen keinen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Nicht allzu häufig kommt es jedoch vor, dass sowohl der Vorgesetzte als auch sein Zuarbeiter schon mal Jahrgangsbester des DFB-Trainerlehrgangs waren, Frontzeck zu Beginn des Jahrtausends, Kohfeldt im Jahr 2015.

Und nun, an diesem bitterkalten Abend, kamen sie sich also am Spielfeldrand entgegen, schnellen Schrittes, sie gaben sich die Hand und besiegelten damit auch formell das Aus des VfL Wolfsburg in der Champions-League-Gruppenphase, nach einem wirklich desolaten 1:3 gegen den OSC Lille. Es war das fünfte sieglose Spiel der Werkself in Serie, darunter vier Niederlagen, vor wenigen Tagen hatte es erst ein 0:3 in Mainz gegeben, die Torbilanz in diesem Zeitraum lautet 2:11.

Wolfsburg ist Kohfeldts erste Station außerhalb der eigenen Komfortzone

In sonntäglichen Fußball-Talkrunden wird nach solchen Serien gerne von einer manifesten Krisensituation des Klubs gesprochen, wenngleich die Krise in der Regel nicht alle Beteiligten gleichermaßen betrifft. Dem Co-Trainer Frontzeck, 57, tritt man zum Beispiel nicht zu nahe, wenn man ihm nicht mehr die ganz großen Karriereambitionen unterstellt - trotz seiner guten Noten im Lehrgang und Tätigkeitsnachweisen an gleich mehreren Traditionsstandorten. Frontzeck war einige Jahre ohne Job gewesen, ehe er im Sommer Mark van Bommel zur Seite gestellt wurde, und nach der Trennung vom unglücklichen und überforderten Niederländer ging er als Teil der Erbmasse in den Trainerstab des Nachfolgers über.

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Für Kohfeldt, den anderen Jahrgangsbesten, der 2018 vom DFB sogar zu Deutschlands Trainer des Jahres gekürt wurde, bedeutet die aktuelle Wolfsburger Rezession hingegen eine Herausforderung, mit der er in seiner noch jungen Laufbahn so noch nicht konfrontiert war. Er wurde sozialisiert und ausgebildet bei Werder Bremen, einem familiären Traditionsklub mit großer Vergangenheit und beschränkten Mitteln in der Gegenwart. Wolfsburg ist gewissermaßen das exakte Gegenmodell zu seinem langjährigen Arbeitgeber, es ist zugleich Kohfeldts erste Station außerhalb der eigenen Herzens- und Komfortzone.

Und nun liegt es an ihm, ob diese Aufgabe einen Knick im Lebenslauf hinterlassen wird - oder ob sie in Erinnerung bleiben wird als eine Phase, in der sich der 39-Jährige das nötige Rüstzeug anlegte, das einem talentierten Trainer dabei hilft, zu einem wirklich angesehenen Branchenmitglied heranzureifen.

Der Auftritt gegen Lille sei "nicht befriedigend" gewesen, sagte Kohfeldt

Von einer echten Krise, sagte Kohfeldt nach der Niederlage gegen Lille, wolle er zwar noch nicht sprechen. Allerdings habe man zuletzt "viele Leistungen aneinandergereiht, die nicht gereicht haben, um zu punkten". Und das, fügte der Coach hinzu, sei "nicht befriedigend". Überdies attestierte Kohfeldt seinem Team einen Mangel an defensiver Stabilität, er vermisste den Esprit im Angriff und ein entschiedenes Aufbäumen der Akteure auf dem Rasen.

In der Tat: Die Wolfsburger spielten bereits in den vergangenen Wochen, als würde ihnen langsam der Saft ausgehen, wie ein E-Auto mit Vollausstattung, das irgendwie zur nächsten Ladestation geschoben werden muss. Den einzigen VfL-Treffer erzielte der Angreifer Renato Steffen in der 89. Minute, aber da war es längst zu spät. Zur Trostlosigkeit des Abends passte, dass nur 6544 Fans in der Wolfsburger Arena zusahen, nicht einmal die Hälfte der coronabedingt nur noch erlaubten 13 281 Zuschauer.

Der VfL hat im Vergleich zur Vorsaison seinen Markenkern verloren

Für Kohfeldt ist das alles irgendwie neu: In Bremen war er eine Art Mangelverwalter, er war aber auch eine personifizierte Spiritusflasche, die das Umfeld und die Anhänger jederzeit entzünden konnte. Im tristen Wolfsburg wird sich das eher nicht vollbringen lassen. Beim VfL findet Kohfeldt jedoch eine qualitativ hochwertige Mannschaft vor, die in der Vorsaison auf dem dritten Platz einlief und vom nach Frankfurt abgewanderten Trainer Oliver Glasner mit einleuchtender Autorität und nach klaren fußballerischen Prinzipien dirigiert wurde. Glasner ist nach Dissonanzen mit dem Sportchef Jörg Schmadtke nach Frankfurt geflüchtet, mit ihm haben die Wolfsburger auch ihren Wesenskern verloren, ihre Galligkeit, ihre Gier und ihre Intensität auf allen Winkeln des Platzes.

Und nun? "Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass wir jetzt einfach traumhaften Kombinationsfußball spielen werden", sagte Kohfeldt mit Blick auf das anspruchsvolle Programm des VfL in der Vorweihnachtszeit. Ein Satz, den man auch in Bremen häufig zu hören bekam.

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