Barcelona in der Champions League:"Barça, bankrott"

Der nächste Tiefpunkt: Der einst große FC Barcelona fällt in München in sich zusammen - und blickt sorgenvoll in die Zukunft. Die Reaktionen fallen drastisch aus.

Von Javier Cáceres

Man könnte sich vermutlich einen beliebigen Augenblick heraussuchen. Aber wenn es einen Moment gab, der nach Kapitulation roch, dann war es die 72. Minute.

Xavi Hernández, der neue Trainer vom FC Barcelona, ließ in der Münchner Arena die elektronische Auswechseltafel hervorholen, und darauf erschienen die Rückennummern von Ousmane Dembélé und Frenkie de Jong. Nicht, dass man zu diesem Zeitpunkt auch nur ansatzweise eine Hoffnung auf ein sogenanntes Fußballwunder hätte begründen können. Das neuerliche Debakel gegen den FC Bayern, das sich fast nahtlos an das 2:8 von Lissabon und das 0:3 vom Camp Nou anschloss, durfte als vollendet angesehen werden; nach dem Treffer von Jamal Musiala zum 3:0-Endstand waren schon zehn Minuten ins Land gegangen.

Selbst Trainer Xavi hatte mit dem Abend in München abgeschlossen

Nun war äußerlich sichtbar, dass Xavi mit dem Abend abgeschlossen hatte und versuchte, nach vorn zu blicken. Und dass es ihm nur noch darum ging, zwei der teuersten Spieler des Kaders für den Liga-Alltag zu schonen. "Der Abstieg nimmt kein Ende", schrieb die Zeitung La Vanguardia. Die Überschrift des Textes mutete wie eine Grabinschrift an: "Barça, bankrott."

Fürwahr, das ist so. Der neulich, also in vorpandemischen Zeiten, noch so großartige, in vielerlei Hinsicht als beispielhaft betrachtete FC Barcelona ist "der Champions League unwürdig", schrieb die Zeitung El País. Das Team steigt in die Europa League ab - just da der Verein noch immer dem Fiebertraum der "Super League" nachhängt. "Ab in die Hölle", frohlockte die Sportzeitung As. Daran hatten auch die Kerzen nichts ändern können, die Präsident Joan Laporta vor der Partie in der Münchner Frauenkirche angezündet hatte. Weniger aus Frömmigkeit denn aus Verzweiflung, nach dem Motto: Nicht, dass am Ende Aberglaube doch was nützt.

Tat er nicht. "Der FC Bayern hat uns unterworfen", sagte Xavi. Er sei in der Kabine gewesen und habe den Spielern gesagt, dass "dies ein Wendepunkt sein" und "eine neue Etappe begründet" werden müsse, es sei für ihn ein schwerer Schlag gewesen, dass sein Team "so wenig Selbstliebe" gezeigt habe. Am Donnerstag wartete die Zeitung Sport mit der Kolportage aus, dass Xavi in der Halbzeit in Rage geriert: "Einige von Euch wissen nicht, was es bedeutet, für Barça zu spielen", sagte er. Kapitän Sergio Busquets gab sich peinlich berührt. "Das hat der Klub, das haben die Fans nicht verdient. Aber das ist die Realität", sagte er. Präsident Laporta richtete einen Apell ans Volk: "Mehr denn je müssen wir in die gleiche Richtung rudern", flehte er. Nur sind die Wellen der trüben Gewässer, in die sich Barça manövriert hat, viel zu hoch, als dass sich ausmachen ließe, wohin es nun gehen muss.

Dass neben den Bayern auch Benfica (mit dem deutschen Mittelfeldspieler Julian Weigl) in die K.-o.-Runde der Champions League einzog, das war die sportliche Demütigung. Das eigentliche Drama ist wirtschaftlicher und finanzieller Natur.

Durch das Aus in der Champions League fehlen im Budget für die laufende Spielzeit nun Einnahmen von weit mehr als 30 Millionen Euro. Im Saison-Etat wird seit Jahren mit dem Erreichen des Viertelfinales kalkuliert, das macht allein an Preisgeldern des Ausrichters Uefa rund 20 Millionen Euro aus, an die Barça nicht mehr herankommt. Dazu summieren sich noch TV- und Sponsorengelder, die an die Erfolge in der Königsklasse gekoppelt sind, sowie die Einnahmen aus den Heimspielen, die sich bei Champions-League-Abenden auf rund sechs Millionen Euro pro Partie belaufen.

Barcelona fehlt das Geld - viel, viel Geld

In der Europa League könnte man solche Ausfälle nur dann kompensieren - ansatzweise zumindest -, wenn Barça das Endspiel des Wettbewerbs erreichen sollte, in dem sich eine Reihe gesünderer Klubs und Mannschaften um die Trophäe balgen werden, darunter Seriensieger FC Sevilla, der in Salzburg strauchelte. "Jetzt müssen wir halt die Europa League gewinnen", sagte Xavi zwar. Die Debatten der kommenden Tage werden aber auch um die Frage kreisen, ob sich Barça überhaupt darauf einlassen sollte - ob es in anderen Worten nicht besser wäre, sich auf den Ligabetrieb zu konzentrieren.

Barça liegt sechs Punkte hinter dem Tabellen-Vierten Atlético Madrid; und die Qualifikation für die kommende Champions League ist nicht nur aus Prestige-Gründen elementar. Den FC Barcelona plagen nach Jahren sportlicher und finanzieller Inkompetenz 1,3 Milliarden Euro Schulden. Und ob sich die Behauptung Laportas halten lässt, dass der Klub über den neuen Trikotwerbevertrag, der gerade ausgehandelt wird, mehr Geld herausschlagen wird als bisher, muss wohl auch erst noch bewiesen werden.

Was unter anderem bedeutet, dass noch stärker gehaushaltet werden muss - und kaum Mittel zur Verfügung stehen werden, um eine Mannschaft zu verstärken, die es bitter nötig hätte. Das bedeutet auch, dass der FC Barcelona eine Reihe von Großverdienern loswerden muss und auch Spieler auf den Markt werfen wird, die sich satt verdient und enttäuscht haben wie zum Beispiel sündhaft teure Fehlinvestitionen wie Coutinho, Dembélé oder de Jong, oder für die Zukunft stehen, etwa Ansu Fati.

Vielleicht lassen sich auch noch ein paar Euro für den deutschen Torwart Marc-André ter Stegen erlösen, der vor ein paar Jahren noch für besser gehalten wurde als Manuel Neuer vom FC Bayern. Am Mittwoch griff er beim 2:0 durch Leroy Sané grotesk daneben. Was nicht heißt, dass ihm das Aus anzulasten wäre. Busquets nahm das Vereinsmanagement der vergangenen Jahre und auch die Mannschaft ins Visier: "Um an so einen Punkt zu kommen, muss man viel falsch machen." Historisch viel falsch.

Letztmals spielte Barça in der Saison 2003/2004 um die Trophäe, die nun in der Europa League vergeben wird und einst Uefa-Cup hieß. Das war die erste Spielzeit des zwischenzeitlich abgewählten und Anfang dieses Jahres wiedergewählten Präsidenten Laporta. Was seinerzeit folgte war der Aufstieg zum Imperium. Der Klub holte vier Henkeltöpfe (2006, 2009, 2011 und 2015). Die Saison 2003/2004 aber war die letzte, bevor Barcelona das Debüt eines jungen Mannes namens Lionel Messi bestaunen durfte. Jenes Messi, der im Sommer unter Tränen nach Paris zog. Und nun eine Leere hinterlassen hat, die an die Zeiten von Laszlo Kubala in den 1960er-Jahren erinnert, als Barça auf Jahre hinaus von der Bildfläche verschwand.

Messi entfernt sich, obschon er gerade mit dem "Ballon d'Or" für den besten Spieler des Jahres ausgezeichnet wurde, immer weiter von seinen besten Tagen. Dennoch schaffte er es, fünf Champions-League-Tore für PSG zu erzielen. Das ganze Barça-Ensemble kam in sechs Vorrundenspielen auf zwei. Das sind genauso viele wie Schachtjor Donezk und gerade mal eins mehr als Dynamo Kiew und Malmö FF erzielten.

"Dies ist ein Rückschritt ...", hauchte Busquets in den Münchner Abendhimmel, und versuchte danach, den Satz noch ein wenig abzufedern: "... ein Rückschritt, um Anlauf zu nehmen." Doch das firmiert bestenfalls unter Zweckoptimismus, auch wenn Barça ein paar tolle Talente hat. "Dieses Barça klingt nach einem unendlichen Requiem", schrieb La Vanguardia.

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