FC Ingolstadt:Wieder im Aufzug

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Es gibt wenige Trainer im Profigeschäft, die so schnell zwischen Lockerheit und Verbissenheit hin- und herschalten können: Ingolstadts Rüdiger Rehm (Mitte). (Foto: Stefan Bösl/Imago)

Schanzer-Trainer Rüdiger Rehm war der erste Coach, der auf vier gelbe Karten kam, als Spieler hält er den Rekord für die meisten Zweitliga-Platzverweise. Mit seiner emotionalen Art möchte er die Schanzer einen Stock nach oben führen.

Von Christoph Leischwitz

Auf die Milchglastür zur Profiabteilung haben sie beim FC Ingolstadt nun ein großes, rot eingefärbtes Foto geklebt, darauf umarmen sich die Spieler und der Trainer jubelnd. Es wirkt zeitlos, ist aber noch recht neu. "Das war ein sehr wichtiges Spiel", sagt Rüdiger Rehm über jenen 8. Oktober, "auch fürs Mannschaftsgefüge, das war für uns so ein entscheidender Moment in dieser Saison." Es handelt sich um das 2:1 beim Drittliga-Derby gegen den TSV 1860 München. Die Wochen davor hatten die Schanzer nicht gut gespielt. Außerdem handelt es sich bei diesem Sieg um eine Art Lieblingssieg von Rehm: mit hochgekochten Emotionen, die zum Erfolg geführt haben.

Zwei Monate Winterpause sind rum, wenige Tage vor dem ersten Spiel des Jahres 2023 sitzt Rehm in einem Besprechungszimmer neben besagtem Foto, die Sonne scheint ihm durchs Fenster ins Gesicht. Der 44-Jährige wirkt unheimlich entspannt, erholt geradezu, dabei ist er ein Trainer, der in elf Jahren noch keine längere Pause hatte. Und der eigentlich endlich aus diesem Aufzug raus will, der ihn ab und zu in die zweite Liga fährt, dann aber auch wieder hinunter in die dritte. "Ich arbeite gerne langfristig, aber auch gerne schnell erfolgreich. Wenn die Möglichkeit besteht, werden wir alles dransetzen, da noch reinzurutschen", sagt er über die Aufstiegsplätze der dritten Liga. Mit einem Sieg am Montagabend gegen Erzgebirge Aue (19 Uhr, Sportpark) wären die Schanzer schon mal Zweiter.

Es gibt wenige Trainer im Profigeschäft, die so schnell zwischen Lockerheit und Verbissenheit hin- und herschalten können wie Rehm. Der Umgang mit Emotionen hat seine Karriere maßgeblich geprägt. Auf dem Papier liest sich das nicht gut. Als Trainer war er der Erste im deutschen Profifußball, der auf vier gelbe Karten kam, als diese eingeführt wurden. Als Spieler hält Rehm zusammen mit Willi Landgraf den Rekord der meisten Zweitliga-Platzverweise (neun). Aber: "Es waren keine Tätlichkeiten! Ich war ab und zu auch einfach ein bisschen zu langsam", sagt er lächelnd. Würde der Trainer Rüdiger Rehm denn gerne den Spieler Rüdiger Rehm in seiner Mannschaft haben? Noch ein Grinsen. "Nur von der Einstellung her, nicht von den Fähigkeiten." Er sei "sicher nicht aufgefallen wegen tollen Finten oder Fallrückziehern".

Sie hatten ihn in Ingolstadt ja auch nicht gerade in guter Erinnerung - weil er 2019 mit dem SV Wehen Wiesbaden eine spannende Relegation gewann gegen die Schanzer, in einem direkten Duell zweier Aufzug-Teams. Die Wiesbadener unter seiner Ägide waren meist eklig zu bespielen, wegen ihrer grellgelben Auswärtstrikots wurden sie bisweilen auch gerne "giftige Leuchtstifte" genannt. Rehm empfindet das als "Lob".

"Das Gefühl des Sieges muss in die Körper rein, muss ins Publikum rein, muss in den Verein rein", sagt Rehm

Rehm will man nicht als Feind haben, als Freund aber dann doch sehr gerne. Er sorgt sich darum, dass die Mannschaft regelmäßig zusammen frühstückt. Er fährt unter der Woche gerne mal spontan nach Hause in den Landkreis Heilbronn, um mit der Familie zu Abend zu essen. Oder um mit alten Freunden auf ein Bier zu gehen. So etwas dürfe auch bei einer 60-Stunden-Woche nach Möglichkeit nicht zu kurz kommen. Rehm erzählt, dass er auch gerne in Fankneipen geht, um die Stimmung aufzusaugen und ins Gespräch zu kommen. Manchmal auch noch rund ums Stadion des VfB Stuttgart, wo er als Jugendlicher als Fan im Block stand.

Rehm war im Fußballlehrer-Jahrgang 2015 einer von ganz wenigen, die die Doppelbelastung als Schüler und Trainer hatten, er war lange bei der SG Sonnenhof Großaspach. Er ist bereits in seiner elften Saison, am Montag bestreitet er sein 290. Spiel als Trainer im Profifußball. Auch, weil er wenige Pausen und langfristige Verpflichtungen hatte. Die Ausnahme: drei Monate Arminia Bielefeld, 2016. Im Profigeschäft, sagt Rehm, müsse man sich selbst bei wegweisenden Schritten oft sehr schnell entscheiden. In diesem Fall eben falsch.

Zuvor, in Großaspach, waren die Bedingungen nicht sehr profihaft gewesen. So lagen Trainingsplatz und Duschen oft Kilometer auseinander. Als sich schließlich im Herbst 2021 Malte Metzelder vom Zweitliga-Letzten Ingolstadt bei ihm meldete, war für Rehm einerseits klar, dass er wieder in einen Aufzug stieg. Aber er sah eben auch zwei Dinge, die ihm aufgrund seines Werdegangs besonders wichtig sind: eine professionelle Infrastruktur und die Möglichkeit, langfristig zu arbeiten.

Nach dem Abstieg tat Rehm etwas, das er nicht besonders gerne tut: Er legte den Fokus auf die Abwehrarbeit. "Nach so einem Neuanfang ist es wichtig, Siege einzufahren, auch wenn sie mal nicht so glanzvoll sind. Das Gefühl des Sieges muss in die Körper rein, muss ins Publikum rein, muss in den Verein rein", sagt er. Das klappte: Schon fünfmal 1:0 gewonnen, 14 Gegentore in 17 Spielen. Jetzt aber Angriff: Im Winter habe man "an den Offensivmöglichkeiten geschraubt", sagt er, es gilt, das Spiel mit dem Ball zu optimieren, Umschaltmomente besser zu nutzen.

Fünf Jahre, ja, das könne er sich sehr gut vorstellen in Ingolstadt. Denn, und dabei schmunzelt er erneut, das würde ja bedeuten, dass man erfolgreich zusammengearbeitet hat. Wenn es mit dem Aufstieg heuer noch klappt, dann danach hoffentlich ohne Aufzug.

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