Fußball:1:5 erschüttert Spanien - Del Bosque: «Alle blamiert»

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Salvador (dpa) - Debakel, Demontage, Demütigung - selbst der stets in sich ruhende Vicente del Bosque sah sich direkt nach dem deprimierenden 1:5 (1:1) gegen die Niederlande außerstande, den kompletten Einbruch des Titelverteidigers adäquat zu beschreiben.

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Salvador (dpa) - Debakel, Demontage, Demütigung - selbst der stets in sich ruhende Vicente del Bosque sah sich direkt nach dem deprimierenden 1:5 (1:1) gegen die Niederlande außerstande, den kompletten Einbruch des Titelverteidigers adäquat zu beschreiben.

Die zweithöchste Niederlage in der spanischen WM-Geschichte hinterließ beim zuvor so zuversichtlichen Erfolgstrainer Spuren. „Es ist kein glücklicher Moment, ich fühle mich sehr schlecht, bin enttäuscht“, gab del Bosque zu. Der 63-Jährige wirkte mitgenommen, hütete sich aber davor, sich zur Kritik an einzelnen Akteuren hinreißen zu lassen. „Das tue ich nie. Ich werde jetzt nicht mit dem Finger auf einzelne Spieler zeigen. Wir haben alle versagt und uns blamiert.“

Knapp 24 Stunden nach der Schlappe wirkte del Bosque aber wieder gewohnt ruhig, gelassen, zuversichtlich und mit einem sympathischen Lächeln. In einer überraschend angesetzten Pressekonferenz im Trainingsquartier in Curitiba sagte er: Das 1:5 sei „keine endgültige Niederlage“, sondern eine Einzelniederlage gewesen. Die Mannschaft werde sich davon langsam erholen und im vorentscheidenden Gruppenspiel gegen Chile wieder voll motiviert antreten.

Die Spieler standen hingegen auch noch einen Tag nach der Schlappe regelrecht unter Schock. „Es gibt keine Entschuldigung“, sagte Sergio Ramos geknickt. Alle hätten nach der Rückkehr aus Salvador schlecht geschlafen. „Es ging mir immer im Kopf herum.“ Zugleich gab sich der Abwehrchef kämpferisch: „Wir sind weiter voller Stolz, Motivation und Hunger“, versicherte der Real-Star.

Für Ramos war die demütigende Niederlage „mehr ein mentales als ein physisches Problem“. Verteidiger Jordi Alba sagte: „Keiner konnte sich vorstellen, dass wir fünf Tore kassieren.“ Das sei ein extremer Ausrutscher gewesen. Beide versicherten mit ernster Miene, dass das Team zusammenstehe und trotz der schwierigen Situation weiter fest ans Weiterkommen glaube. Gegen Chile will sich die „selección“ am Mittwoch wieder wie ein echter Weltmeister präsentieren.

Schließlich hatte Spanien nur 1950 beim 1:6 gegen Brasilien mehr Tore kassiert als am Freitagabend gegen die in der zweiten Spielhälfte wie im Rausch auftrumpfenden Holländer. „1:5 - eine Katastrophe von historischem Ausmaß. Spanien kassiert in einem Spiel mehr Gegentreffer als bei der WM 2010 und der EM 2012 zusammen“, rechnete die Sportzeitung „Marca“ vor. Selbst die seriöse „El País“ sparte nicht mir harscher Kritik: „Die spanische Elf, die seit 2008 in keinem EM- oder WM-Spiel mehr als ein Gegentor kassiert hat, erlebt einen totalen Kollaps, ein Inferno. Der Weltmeister liegt am Boden.“ Auch „As“ sprach von einem „Totalschaden“ und sieht das Ende einer Ära schon gekommen: „Spaniens glorreiche Fußballer-Generation zeigt Symptome der Erschöpfung.“

Das ist genau die Frage, die sich nun wohl jeder stellt. Hat der einst so erfolgreiche „Tiki-Taka“-Stil der Ü-30-Generation um Xavi, Andrés Iniesta und Xabi Alonso ausgedient? Oder ist das 1:5 nur eine schmerzhafte Momentaufnahme? Am Samstag wehrte sich del Bosque gegen die Kritik, das Team sei zu alt, nicht fit genug und mit 16 Spielern von Südafrika stünden zu viele im aktuellen WM-Kader.

Unübersehbar war jedoch, dass die Spanier nach der glücklichen Führung durch Xabi Alonso (27. Minute/Foulelfmeter) und dem Ausgleich durch Robin van Persie (44.) in der zweiten Spielhälfte nichts mehr zuzusetzen hatten. Oranje dagegen drehte mächtig auf und kam durch den überragenden Arjen Robben (53./80.) sowie Stefan de Vrij (64.) und abermals van Persie (72.) zu weiteren Treffern. „In der zweiten Halbzeit waren wir extrem desorganisiert“, räumte der Coach ein.

Die sonst so stabile Abwehr um Champions-League-Sieger Sergio Ramos und Gerard Piqué glich einem Torso. Torhüter Iker Casillas sah bei mehreren Treffern schlecht aus und hatte vor dem 1:4 durch van Persie einen Blackout. „Wir bitten um Entschuldigung, ich als Erster“, sagte der Kapitän. „Wir müssen die Kritik ertragen.“

Del Bosque erklärte, er werde die Ursachen für die Pleite „in Ruhe analysieren“. Zu personellen Konsequenzen wollte der Erfolgscoach nichts Konkretes sagen: „Es kann sein, dass es Wechsel gibt, da es ein anderes Spiel ist. Aber jetzt ist nicht der Moment, darüber zu reden.“

Barcelonas Mittelfeldstar Xavi hatte noch einen Tag vor dem Duell betont, man werde den seit vielen Jahren erfolgreichen Spielstil mit viel Ballbesitz und Kontrolle nicht verändern. „Entweder wir gewinnen, oder wir sterben mit dem Stil.“ Nun es gibt nicht wenige, die bereits den Beerdigungstermin kommen sehen. Bezeichnenderweise erschien „Marca“ mit einem schwarzen Titelblatt und der Aufforderung: „Bringt das wieder in Ordnung!“

Der niederländische Trainer Louis van Gaal hatte das Problem der Spanier erkannt und seine gesamte Taktik danach ausgerichtet. Seine Mannschaft stand kompakt, verteidigte mit sieben Mann und nutzte mit ihren überfallartigen Kontern über die schnellen Robben und van Persie die Schwächen der Weltmeister gnadenlos aus. Dabei ließen die Spanier den Ball zunächst gut kreiseln, verbrauchten aber auch viel Energie und versäumten es, das zweite Tor nachzulegen.

„Wir waren der Sache heute nicht gewachsen“, räumte der nach gut einer Stunde für Diego Costa eingewechselte Fernando Torres ein. „Wir haben kein Rezept gefunden und den Holländern zu viel Raum gelassen. Sie waren einfach besser.“ Sergio Ramos fand, nach dem 1:2-Rückstand habe sich „negative Energie“ in der Mannschaft breitgemacht. „In unseren Köpfen liefen Dinge ab, die dort nicht ablaufen sollten.“

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